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Porträt des Dichters als junger Mann: William Saroyan lehnte den Empfang des Pulitzerpreises für sein Stück "The Time of Your Life" 1939 ab. Wenigstens erschien 1948 die Verfilmung mit James Cagney.

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Wien – Im Grunde seines Herzens wäre der Rosinenpacker John seinem Kumpel Pete wohlgesonnen. Die Hochstimmung der Roaring Twenties ist in den USA der großen Depression gewichen. Autoren wie der armenische Einwanderersohn William Saroyan (1908–1981) nehmen sich der Ärmsten der Armen mit pflichtschuldigem Eifer an. Sie statten ihre Klienten, die Verlierer und Herumtreiber an Kaliforniens sonnenverbrannter Küste, mit unschätzbaren Glücksgütern aus.

Junge Männer wie Pete und John schuften in den Jahren nach 1930 für einen Stundenlohn von wenigen Cents in einem Abpackbetrieb. Beider Hoffnungen gründen in ihrer Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei. Dort wird man für einen Dollar in der Woche mit der Aussicht auf die Revolution vertröstet. Eher im Vorübergehen erfährt der Leser, dass es mit dem Vertretungsanspruch der rührigen kalifornischen Marx-Filiale nicht weit her sein kann. Von 200 Arbeitern vor Ort bekennen sich gerade einmal 19 zur Idee der Weltrevolution.

Saroyan war als Schreiber mit jedem Zoll kein Sozialrevolutionär. Als witziger Selbstdarsteller gefiel sich dieser nicht ganz uneigennützige Anwalt der kleinen Leute am ehesten als Possenreißer. Keine seiner Figuren hätte Saroyan jemals verraten, es sei denn für eine gute Pointe.

Antihelden wie "Pete" oder "John" bevölkern den Short-Story-Band Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich quasi zu Dutzenden. Ihnen ist dank ihres Autors und Urhebers durchaus gegeben zu sagen, was sie leiden: wenig bis gar nichts. Denn ungeachtet aller falschen Glücksversprechungen weiß das Personal dieser Erzählwelt sehr wohl, was es geschlagen hat. Die Packer bilden selbst das beste Pack. Wer gegen die Übermacht der Verhältnisse nichts auszurichten vermag, der muss selbst schauen, wo er bleibt.

Neid auf das schöne Leben

Pete zum Beispiel, der eingeschriebene Kommunist, hat sich für seine Mußestunden eine "vornehme Lady" angelacht. Sie hat ihm einiges an überschüssigen Pfunden, an Lebensjahren und vor allem an Dollarnoten voraus. Genosse John kocht über vor Wut. Es kostet Saroyan wenige Seiten Rollenprosa, um Johns klassenkämpferische Motive vor den Augen des Lesers als unlauter vorzuführen. Natürlich neidet John seinem Kollegen bloß die neuen Maßanzüge und die Spazierfahrten in der Luxuslimousine.

Das Fass zum Überlaufen bringt in der Erzählung Revolution freilich des Freundes Schmockerei, jetzt auch noch die französische Sprache zu erlernen. Man vertröstet John mit dem Hinweis auf die Revolution von 1789. Befragt nach dem Fortgang seiner Sprachstudien, muss der korrumpierte Sozialist das Erlernen von Sätzen wie dem folgenden einräumen: "Können Sie mir sagen, wo es hier zur Toilette geht?" Johns Kampf gegen das Hereinbrechen von Dekadenz und Verweichlichung mündet in eine wüste Keilerei.

Saroyan, der Dichter mit dem Raubtiercharme, hüllte sich sein Leben lang in das Fell des Gesellschaftslöwen. Er selbst hielt sich für ein Geschenk des kleinen Armenien an die gesamte Menschheit. Als Gesellschaftsanalytiker beerbte er den Dekadenzschriftsteller F. Scott Fitzgerald. Genies wie Ernest Hemingway begegnete er mit monströser Herablassung ("Hemingway ist selbst da, wo er ein Dummkopf ist, zumindest ein akkurater Dummkopf"). Stücke – für die er dann den Pulitzerpreis ablehnte – klopfte er in knapp einer Woche herunter.

Ein Heft voller Eintrittskarten

16 Kurzgeschichten, entstanden zwischen 1934 und 1942, hat man in dem Auswahlband Wo ich herkomme ... zusammengetragen: ein ganzes Heft voller Eintrittskarten in eine wunderbar witzige, erhebende, mitunter sogar zu Tränen rührende Erzählwelt. Jeder dieser melancholischen Verlierer trägt sein Herz auf der Zunge; der Bub, der die Schulpause nützt, um Birnen aus Nachbars Garten zu pflücken, und dafür eine Abreibung erhält (Fünf reife Birnen). In der trotzigen Psyche des Kindes aber bildet der Genuss der Frucht die "Summe des Lebens".

Man lernt in Nikolaus Stingls herrlich swingender Übersetzung Hobos kennen, Buchmacher, Versicherungsvertreter und philippinische Ringer. Sie alle eint das Beharren auf einem Begriff von Würde, der mit materieller Sicherstellung nur recht unzureichend beschrieben wäre. Saroyans Wettkünstler setzen voller Bedacht immer auf das falsche Pferd. In der nutzlosen Schönheit dieser Geste, in der Feier des Augenblicks, liegt ihr ganzer verquerer Stolz. (Ronald Pohl, 8.11.2017)