Für szenische Umsturzversuche wird Christof Loy nicht gebucht. Auch nicht für Randglossen zum Fall Weinstein oder zur #MeToo-Bewegung. Fürs genaue Hinsehen und Hineinhören aber schon. Er hat jetzt am deutschen Nobelopernhaus in München die Saison mit Mozarts Le nozze di Figaro eröffnet. Im Graben mit dem abenteuerlustig auf Mozart losgehenden Konstantinos Carydis am Pult.

Auf der Bühne mit einem Ensemble aus Talenten am Anfang der Karriere, Mozartroutiniers und Größen der Branche. In dieser Produktion sind sie alle im Ensemblemodus. Singen und spielen mit- und nicht gegeneinander. Oder nur da, wo es hingehört. Christian Gerhaher etwa, der seinem melancholischen Frankfurter Don Giovanni jetzt einen ähnlichen Grafen Almaviva hinzufügt, kämpft sogar mit sich selbst.

Mozart als Verbündeter

Loy nimmt Mozart als Verbündeten seiner Nachwelt, also als unseren Zeitgenossen. Hier gibt's kaum sichtbare soziale Unterschiede in der Kleidung, allenfalls welche des Geschmacks. Aber es gibt Obsessionen und Paare in vier verschiedenen Lebensaltern. Alle mit ihren eigenen Problemen. Vom Früchtchen Barbarina und ihrem Cherubino bis zu Marcellina und Bartolo, die im Alter ihrem "falschen" Leben eine "richtige" Wendung geben. Mit dem Honeymoon-Paar Susanna und Figaro im Zentrum. Der erkalteten Liebe von Almaviva und Rosina zum Trotz sind die beiden entschlossen, es miteinander zu versuchen.

Loy präsentiert ein Beziehungslehrstück, das für Schwarz-Weiß oder Gut-und-Böse nicht taugt. Und das in der Mittsommernachtsverwirrung im nächtlichen Garten für alle greifbar wird. Auch das letzte Erschrecken Figaros zielt aufs Allgemeingültige, aufs zwischenmenschlich Utopische, auf das sich Mozart so vorzüglich versteht. Nicht auf den Widerschein einer Revolution.

Alles beginnt während der atemberaubend flotten Ouvertüre mit einer Minimarionette. Figaro vermisst den Raum fürs Bett. Susanna macht ihm klar, was hinter dem Geschenk des Grafen steckt. Dann springt auch noch Cherubino aus der Kiste. Schließlich taucht der Kopf von Figaro auf und der ganze Mann purzelt auf die richtige Bühne.

In einen Salon, mit romantischem Landschaftsbild auf der Rechten und (zunächst) viel zu kleinen Türen auf der Linken. Loys Inszenierung ist mit sich und dem Stück im Reinen, haut nicht über die Stränge. Vor allem lässt er den Figuren ihre Ambivalenz. Es kann gut sein, dass es die Demut vor wachsender Lebenserfahrung ist, die alle im Laufe des Abends kleiner werden lässt.

Federica Lombardi ist eine höhensichere Gräfin an der Seite von Christian Gerhaher. Olga Kulchynska beginnt verhalten, um dann eine souveräne Susanna zu werden. Alex Esposito ist der elegant singende Figaro. Solenn' Lavanant-Linke der überzeugende Cherubino. Anne Sofie von Otter spielt als Marcelline auch sich selbst und wertet diese Rolle genauso auf wie Manuel Günther den Basilio. Einmütige Zustimmung. (Joachim Lange, 8.11.2017)