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Der "Angriffstunnel Nummer 4" ist zu einer von vielen Touristenattraktionen in der Demarkationszone zwischen Nord- und Südkorea geworden. Angeblich gab es Pläne für weitere 20 Invasionstunnel.

Foto: APA/EPA/JEON HEON-KYUN

"Nordkorea ist eine Hölle, die niemand verdient hat", sage US-Präsident Donald Trump am Dienstag bei seiner Rede in Südkorea. Er bezog sich auf die Bewohner des Landes, der Spruch hat aber auch für die Nachbarn in Seoul eine gewisse Gültigkeit. Denn auch wenn der US-Präsident von konkreten Drohungen abgesehen hat: Die Kriegsgefahr ist so groß wie lange nicht. Zwar haben die Stadtbewohner gelernt, mit Drohungen zu leben: Aber doch schauen viele dieser Tage mit einer gewissen Sorge in Richtung der Demilitarisierten Zone (DMZ), die Nord- und Südkorea trennt.

Stephen Tharp, ein stämmiger Mann mit Südstaatenakzent, schwarzer Sonnenbrille und Militärschnitt, kennt den Grenzstreifen wie kein Zweiter. Bereits während der 1980er-Jahre patrouillierte er hier als US-Soldat. Während der 90er-Jahre wurde er ins Friedensdorf Panmunjom entsandt, um dort Verhandlungen mit den Nordkoreanern zu führen. Nach seiner Pension führt er nun Interessierte durch das militärische Sperrgebiet, einen vier Kilometer breiten verminten Grenzstreifen, der mittlerweile an einigen Stellen für Zivilisten geöffnet ist.

Makaberer Eindruck

Tourismus an dem "furchteinflößendsten Ort der Welt", wie einst Bill Clinton sagte, scheint angesichts der angespannten Lage auf den ersten Blick makaber. Tharp, der dutzende Nordkorea-Krisen mitgemacht hat, winkt ab: Wie fast alle US-Amerikaner, die in Südkorea leben, fühlt er sich hier wesentlich sicherer als in seinem Heimatland. "Allein in den vergangenen zwei Jahren sind in den USA mehr Leute durch Waffengewalt gestorben als US-Soldaten während des gesamten Koreakriegs", sagt er.

An diesem sonnigen Herbsttag führt er Touristen in den bergigen Ostteil der Demarkationszone – zum "Angriffstunnel Nummer 4": Nur spärlich ausgeleuchtet, verbindet der 1,70 hohe Felsgang beide Koreas. An den Wänden tauchen gelbe Markierungen auf – Spuren der Dynamitstangen, mit denen die Nordkoreaner sich über zehn Jahre lang ihren Weg ins Feindesland gesprengt haben.

Vom nordkoreanischen Regime wurde ihre Existenz lang abgestritten, dabei sind die Indizien eindeutig: Im Kriegsfall wollte der damalige Herrscher Kim Il-sung durch diese hindurch eine Invasion des Südens starten. "Einem nordkoreanischen Überläufer zufolge gab es Pläne für weitere 20 solche Invasionstunnel. Dass man sie wirklich gebaut hat, halte ich aber für äußerst unwahrscheinlich", sagt Tharp.

Präsent mit Hintergedanken

Auch wenn die südkoreanische Öffentlichkeit weit von Kriegshysterie entfernt ist, lassen sich Anzeichen erhöhter Anspannung finden: Zum Chuseok-Fest Anfang Oktober schenkten einige Unternehmen ihren Angestellten Notfallrucksäcke mit Taschenlampen, Reisrationen und Transistorradios. Als Trump auf Twitter mit "Feuer und Wut" gegen Nordkorea drohte, schnellten in Südkorea kurzfristig Goldkäufe nach oben, zivile Notfallübungen wurden deutlich ausgeweitet. Trotzdem sagt John Delury von der Yonsei-Universität in Seoul: "Die Südkoreaner haben eine zu geringe Risikoeinschätzung. Sie nehmen Trump vor allem als Schauspieler wahr. Damit unterschätzen sie ihn."

Nach all den Drohungen seitens Trump sei der Nordkorea-Konflikt ein zentraler Bestandteil seiner politischen Identität geworden: "Er hat alle möglichen Erwartungen geweckt, was er gegen Nordkorea unternehmen möchte. Am Ende nichts zu tun wäre ein Gesichtsverlust." Delury fordert die Südkoreaner dazu auf, ihre Meinung zu Trumps leichtfertigen Kriegsdrohungen am Rand des Besuchs klarzumachen.

Gegendemos eingekesselt

Schlussendlich waren am Dienstag aber vor allem konservative, US-Fähnchen schwingende Trump-Fans in der Seouler Innenstadt zu sehen. Der Zug der Gegendemonstranten wurde vor der Einfahrt zum Präsidentensitz von Polizeibussen eingekesselt. Trotz der Differenzen wollte Südkoreas linksliberaler Präsident Moon Jae-in seinen Gast nicht vergrämen.

Nur mit einer Aussage hat sich Trump deutlich in die Nesseln gesetzt: Ganz der Businessman, brüstete er sich großspurig damit, dass die Südkoreaner US-Waffen im Wert von mehreren Milliarden einkaufen würden: "Für die Südkoreaner macht es Sinn, und für uns bedeutet es Jobs." Ein zynischer Kommentar, schließlich betrachten viele Südkoreaner den Chef des Weißen Hauses als unberechenbaren Kriegstreiber, der wenig besorgt über die Leben der 50 Millionen Südkoreaner ist. "Wenn ein Krieg ausbricht, sterben hier die Leute – und nicht in den USA", sagt Studentin Cho Yoon-yeong, eine der Demonstrantinnen gegen Trump. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 9.11.2017)