Sprachwut: Josef Winklers Text wird am Freitag uraufgeführt.

Foto: Heribert Corn

Ackermann: Josef Winklers Herkunftsland ist das Kärntner Drautal. Auf diesem archaischen Boden herrschen die Gesetze von Pflügen und Säen, von elterlicher Gewalt und kindlicher Resignation. Der Grundton von Winklers Literatur wurde bereits im Debütband Menschenkind 1979 angeschlagen. Darin wird das Entsetzen über die menschliche Hinfälligkeit spürbar, die Angst vor dem Tod, das Zurückschrecken vor des Lebens Notdurft. Maßlos erstaunt registriert Winkler (64) die Spracharmut seiner Mitmenschen. Trotzig setzt er ihr seine bildhaften Worte entgegen.

Bühne: Winkler gehört seit der Zuerkennung des Büchner-Preises 2008 zu den wirklich arrivierten Autoren. Und doch haben die Theater um seine bildhaft kreisenden Texte meist einen Bogen gemacht. Die heutige Winkler-Uraufführung im Kasino stellt das Ergebnis eines Annäherungsprozesses dar. Der Auftragstext nennt sich umständlich: Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe! Dieses jüngste Werk enthält den ältesten Winkler: einen erzählerischen (!) Abstecher ins verwunschene Kindheitsland, mit verstockten Bauern, aufgebahrten Verstorbenen und den alten Nazis mit ihren brandaktuellen Hitlerbärtchen. Ein Bericht von der Scholle, für das Burgtheater inszeniert von der Katalanin Alia Luque.

Choreografie: Winkler verteilt keine Rollen, sondern setzt einen Mahlstrom aus Sprache in Gang. Nachdrücklich beschworen wird der tote Erzeuger ("Lieber Vater! Böser Vater!"). Dessen ostentative Maulfaulheit stellt die Entstehungsbedingung dar für das stockende Sprechen des Sohnes. Ort der Nichthandlung ist das Dorf Kamering. Dessen beide Hauptverkehrswege bilden die Balken eines Kreuzes.

Globocnik: Der Nazi-Massenmörder Odilo Globocnik wurde 1945 nach seinem Suizid in Paternion nahe Kamering verscharrt. Die Knochen des Verbrechers befinden sich im Untergrund der "SAUTRATTEN". Auf diesem Gemeinschaftsacker werden Roggen, Weizen und Hafer angebaut. Die Getreidesorten bilden die Ernährungsgrundlage für Mensch und Vieh, wobei die Grenzen zwischen den Gattungen mit Blick auf die Artikulationsfähigkeiten offenbar fließend sind.

Kälberstrick: Der Suizid durch Erhängen stellt ein ewig wiederkehrendes Motiv dar. Der Krieg behält nicht weniger als drei Onkel mütterlicherseits ein. Sie kehren wieder, aber "anders", transformiert in etwas, was man sterbliche Überreste nennt. Die nachwachsende Jugend, von den unaufgeklärten Verhältnissen in die Verzweiflung getrieben, verurteilt sich selbst zum Tod durch Erhängen. Zwei ineinander verliebte Nachbarsbuben gehen gemeinsam in den Untergang. Tod und Sexualität bilden ein unauflösliches Band.

Liturgie: Mit den Tröstungen der Religion verbindet Winklers Literatur der Hang zur formelhaften Beschwörung. Mit dem Gebrauch der immer gleichen Requisiten wird die Anwesenheit der verlorenen Verwandten quasi "erzwungen". Die Erhöhung des Vaters zum Popanz, der in der Küche den Kärntner Bauern liest, verweist nachdrücklich auf die biblische Dimension des (Nicht-)Geschehens.

Teufel: Die Verdammung des Vaters durch den Sohn verrät trotz aller Archaik Inbrunst und Zuneigung. Man beschwört die Wiederkunft des Erzeugers, um ihn sich besonders wirkungsvoll vom Leib zu halten. Lass dich heimgeigen, Vater... endet als Theatertext ungefähr dort, wo er begonnen hat. Vier Burgschauspieler schlüpfen ab Freitag, 20 Uhr, in die Winkler-Rollen, u. a. Tino Hillebrand und Branko Samarovski. (Ronald Pohl, 9.11.2017)