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Ganz weit oben auf der Liste an überlebensnotwendigen Dingen für Führungskräfte: lustvoll eine eigene Vision zu entwickeln ("Warum tun wir uns das überhaupt an?").

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"Jetzt kommst daher, ja schlafts ihr den ganzen Tag?" Ich stehe in einem Seminarraum im Schloss Mondsee und spiele einen wütenden Schichtarbeiter, der Überstunden schieben muss.

Mir gegenüber steht Günther, ein Pflegeheimleiter. Er mimt einen Mechaniker, der gefühltermaßen zum hundertsten Mal auf die Reparatur meiner bockigen Verpackungsmaschine vergessen hat. Und der lässt mein Anpflaumen nicht auf sich sitzen. "Bin eh gleich gekommen! Was redest du!"

"Geh, so ein Unsinn! Stunden hast wieder gebraucht! Ihr seids ein unorganisierter Haufen!"

Vor ein paar Minuten hat uns Markus gebrieft, der mit uns den Kurs "Leadership – die Kunst des Führens" besucht. Er ist vor kurzem zum Werkstättenleiter eines großen Produktionsbetriebes geworden und möchte sich als Führungskraft in einer brenzligen Situation beweisen.

Ein Survival-Kit in Sachen Führung

Wir, zwei 100-Kilo-Männer, 1,90 groß, stehen uns nun Nase an Nase gegenüber und beschimpfen uns. Für einen Moment sieht es so aus, als ob wir handgreiflich würden. Knisternde Atmosphäre. Und jetzt kommt Alex, 1,75 groß, und möchte unseren Streit schlichten ...

Wenn man bei Christine Moik ein Führungsseminar besucht, wird man solche und ähnliche Situationen aus dem Arbeitsleben häufig spielen können. "Erlebnislernen" nennt das die Unternehmensberaterin, die schon in jungen Jahren Führungskraft war und dabei eines erfahren hat: "Leadership aus Lehrbüchern büffeln bringt in der Praxis nur blutige Nasen. Das muss man schon am eigenen Leib erleben."

Christines Leadership-Lehrgang gilt als Geheimtipp, da er ein praxisorientiertes "Survival-Kit" in Sachen Führung bietet. Auf Empfehlung bin ich als Journalist zu ihr gekommen, mit einer vagen Idee, eventuell den Job zu wechseln und trockene Managementbegriffe mit Leben zu erfüllen.

Christines Motto, mit der wir von Anfang an per Du sind: Führungskräfte arbeiten mit Menschen und müssen Situationen oft blitzschnell einschätzen können – ohne vorher zu üben.

In ihren Leadership-Workshops setzt sie daher auf ein durchgängiges didaktisches Prinzip: Neben Theorieinput und Gruppenarbeit gibt es "Improvisationstheater". Auf die Bühne stellen und spielen. "Ich biete da den Rahmen, damit man auch einmal ohne Konsequenzen Fehler machen kann." Und so spielen wir, eine bunt zusammengewürfelte Kleingruppe aus Führungskräften und solchen, die es noch werden wollen.

Ähnliche Muster

Die Beispiele, die wir aus unterschiedlichen Branchen mitbringen und bearbeiten, ähneln sich, egal ob wir im Gesundheitswesen, in Industriebetrieben oder in der Medienbranche arbeiten: Schlecht organisierte Abläufe in Abteilungen, aus dem Ruder gelaufene Sitzungen, unmotivierte Teams, stressige Situationen, weil an allen Ecken und Enden gespart wird. Und manchmal kann das eskalieren. So wie bei Markus, dem Werkstättenleiter, der sich nun im Streitschlichten versuchen will. Sein "Versöhnungsplan" geht in die Hose. Günther und ich sind in unseren Rollen warmgelaufen. Wir spielen nicht mehr Wut, wir sind jetzt wirklich wütend. – Ein Ergebnis unserer Improtheater-Schulung. Ein Gespräch? Versöhnen? "Du bist nicht mein Chef", schmettere ich Markus als Schichtarbeiter entgegen. Auch Günther, der Markus' Mitarbeiter mimt, ist sauer. "Drei Produktionslinien kann ich nicht gleichzeitig betreuen!" Markus fühlt sich in die Enge getrieben und verspricht uns das Blaue vom Himmel. Dass sich alles bessern wird, er mit der Geschäftsleitung reden und für mehr Ressourcen sorgen wird. Günther und ich sind uns einig: "Das sagt ihr immer, aber getan hat sich nie was." Widerwillig versöhnen wir uns ...

Improvisationstheater ist eine Methode, mit der wir die Innenperspektive von Führung kennenlernen, nicht nur auf sachlicher, sondern auch auf emotionaler Ebene. "Genau auf diese aber", so Christine, "kommt es in der Realität an."

Markus hat jedenfalls etwas gelernt in dieser Sequenz: Es ist riskant, als Führungskraft Dinge zu versprechen, die man nicht halten kann. Das kann dem Image schaden. "Ich hätte da wohl klarer sein müssen – nicht nachgeben, damit mich die beiden lieben." Er lacht. In dieser Ausnahmesituation habe er auch eine "neue" Seite seiner Persönlichkeit kennengelernt. Er, der er sonst sachlich und straight sei, habe sich plötzlich einsam und verlassen gefühlt in seiner Rolle: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so reagieren würde." Heute würde er nicht mehr den Schlichter zu spielen versuchen. "Ein Fehler. Das Problem liegt ohnehin woanders."

Nach ein paar Workshops sehen wir es alle so wie Markus. Hinter den Konflikten stecken oft Mängel in der Organisation, kränkelnde Strukturen und Prozesse. Um das zu erkennen, müsse man genau hinschauen, sagt Christine. Denn man sieht nur, was man kennt und was man sehen will.

Warum machen wir das?

Wir lernen daher in den fünf Workshops zu je zwei Tagen überlebensnotwendige Dinge, um als Führungskraft zu überleben und Spaß am Tun zu haben. Etwa lustvoll eine eigene Vision zu entwickeln ("Warum tun wir uns das überhaupt an?"), indem wir uns mit eigenen Bedürfnissen beschäftigen. Wir lernen Unternehmensprozesse zu analysieren, die auf den ersten Blick hoffnungslos chaotisch ablaufen, und wie man sie neu aufsetzen kann. Wir lernen Ziele zu formulieren, die wirklich smart sind: spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminisiert. "Management by Objectives" und "Prozessmanagement" zum Angreifen. Die Theorie dazu bekommen wir von Christine themenspezifisch und mundgerecht serviert und können sie in ihrem 300-Seiten-Skriptum noch vertiefen. Im Kurs geht es aber immer um unsere ganz konkreten Alltagsprobleme. Etwa das Mittagessen in einem Pflegeheim neu zu organisieren. Klingt einfach, ist in Wirklichkeit aber ein komplexer Prozess, an dem dutzende Mitarbeiter in unterschiedlichsten Organisationseinheiten beteiligt sind. Christine gibt theoretische Inputs und praktische Hilfestellungen. "Führungskräfte müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen", sagt sie. "Wenn sie das nicht tun, ist das ein Führungsfehler."

Dann spielen wir wieder. Etwa aufgebrachte Teams, die nur mehr wenig Verständnis für Neuerungen der Leitung aufbringen. Okay. Und dann kann man sich wieder als "operative" Führungskraft im "Teambuilding" beweisen. Etwa mit einer "Mindmapping"-Methode die Teamsitzung strukturieren, Kritiker überzeugen oder mundtot machen, das Team motivieren.

Der humanistische Ansatz

Christines Credo: Wer führen will, muss seine Mitarbeiter ernst nehmen, ihnen auf Augenhöhe begegnen. Ein humanistischer Ansatz, der Persönlichkeit verlangt. "Aber", so Christine, "das kann man lernen. Man muss sich nur in seiner Rolle sicher fühlen und wissen, wie man seine Werkzeuge einsetzt."

Ihre Methode, uns Leadership näherzubringen, wirkt.

Werkstättenleiter Markus hat ein Konzept für die Implementation einer neuen Maintenance-Organisation entwickelt. Mehr Ressourcen, aber unterlegt mit Zahlen, Daten und Fakten. Er bekommt es von seiner Geschäftsführung bewilligt. Das Pflegeheimteam hat ein Qualitätshandbuch für sein Pflegeheim geschrieben. Die Vision von "Wir wollen die Besten sein" ausziseliert in hunderten Einzelmaßnahmen. Und was habe ich gelernt? Ich habe einen Verlag gegründet – und die ersten Bücher sind in Produktion. Man wird sehen, wie es weitergeht. "Prozessoptimierung" ist angesagt. (Norbert Regitnig-Tillian, 21.11.2017)