Die alten Räumlichkeiten des Parlaments, Schauplatz der von Maria Rauch-Kallat geschilderten Übergriffe.

Foto: matthias cremer

Es ist zwar schon eine Woche her, soll aber dennoch erwähnt werden, weil es zeigt, wie ungerecht die Welt ist. Alle heimischen Medien reden von Peter Pilz, aber was sich im ÖVP-Parlamentsklub getan hat, bleibt weitgehend vertraulich.

Weitgehend, denn immerhin hat Maria Rauch-Kallat in "Österreich" über Sex-Attacken im Parlament ausgepackt, mehr noch: Maria Rauch-Kallat spricht offen über die Belästigungen im Parlament. Also, ganz offen nicht, aber immerhin: Mir hat als junge Abgeordnete – gemeint war als junger Abgeordneten – ein älterer Kollege aus meiner Partei mehrmals an den Busen gegriffen. Endlich wird jetzt über dieses Tabuthema gesprochen.

An diesem Beispiel erweist sich der Vor- beziehungsweise Nachteil der Klubdisziplin, oft auch als Klubzwang diffamiert. In diesem Fall reicht sie über Legislaturperioden hinaus, denn der Vorfall dürfte seine aktuelle Besprechung in "Österreich" ausschließlich aus dem Fall Pilz rechtfertigen, weniger aus diesem Fall von zizerlweiser Unkeuschheit in einer christlichen Partei. Beim ersten Mal war ich starr vor Schreck, beim zweiten Mal habe ich noch immer nichts gesagt, aber beim dritten Mal habe ich lächelnd, aber laut und deutlich gerufen: "Nimm deine Hand von meinem Busen."

"Österreich", gewöhnlich immer an Aufklärung total interessiert, forderte nun in realistischer Einschätzung der Klubdisziplin erst gar nicht die Enthüllung des Sünders, sondern eine solche weiblicher Gefühle: War das schwierig für Sie? Die Wegweisung der schwarzen Abgeordnetenhand war letztlich kein Hindernis für Maria Rauch-Kallats Aufstieg zur ÖVP-Frauenministerin, was für die ÖVP spricht.

Aber klar: Das hat mich natürlich Überwindung gekostet. Er war auch furchtbar böse auf mich, was gegen deren Personalauswahl spricht. Denn er hat sich dann auch beim Parteiobmann über mich beschwert: "Die Kollegin behauptet, ich greif ihr auf den Busen." Fairerweise tat er das in ihrer Anwesenheit. Ich war Gott sei Dank dabei und habe gesagt: "Ja, mein Lieber, weil du es getan hast." Damit war die Sache erledigt, ohne dass der Parteiobmann die Klubdisziplin strapazieren musste: Er hat's dann bei mir auch nie wieder probiert. Bei vielen anderen bedauerlicherweise schon. Und neben der Klubdisziplin verdankt er nur der Gnade der frühen Geburt, dass der Hashtag an ihm vorbeigegangen ist.

Auch über Vorgänge in der "Kronen Zeitung", die sogar der "Krone" zu tief waren, wusste das für seinen Tiefgang bekannte "Österreich" zu berichten. Auch er hätte 1968 eine 17-Jährige um eine Massage gebeten, hat Fellners Liebling Michael Jeannée in seiner Kolumne als Solidaritätsadresse nicht an Peter Pilz, Gott behüte, sondern an Dustin Hoffman gesendet. Riesenwirbel in der Redaktion. Die "Post von Jeannée" flog Freitag aus dem Blatt. So viel Einsicht in selbstproduzierten Schmarren würde man sich einmal von "Österreich" wünschen.

Der "Krone" war außerdem zugutezuhalten, dass sie in Zeiten des medialen Pilzbefalls der sexuellen Biederkeit wieder zu ihrem Recht verhalf. Wieder einmal wurde im bunten Teil aus Anlass des 70. Geburtstages der Queen das Geheimnis ihrer langen Liebe breitgetreten. Die Geheimnisse einer Ehe, die scheinbar ewig hält – Generationen von Hofberichterstattern versuchten sie zu lüften, da will man beim Abschreiben von einem englischen Adelsbiografen auch nicht fehlen.

Zwar haben die angeblichen Affären des Herzogs Elizabeth "not amused", aber für einen Hashtag hat es nie gereicht. Als Prinzgemahl müsste einer schon mehr Hand anlegen denn als Parteigründer. Parallelen in Kindheit und Jugend fördern den sittlichen Zusammenhalt, besonders wenn beide alles andere als unbeschwert aufwuchsen. Das konnte ja nur gutgehen.

Noch besser als reich heiraten ist das Rezept, mit dem Prof. Dr. Gerti Senger zur Beruhigung der aufgereizten Stimmung beizutragen versuchte: Für manche Menschen ist Sex weder angsterregend noch widerlich, sondern er ist ihnen schlichtweg gleichgültig. Nun lässt sich seriöserweise nicht jede Grapscherei unter Sex verbuchen, aber Gleichgültigkeit, besonders in schlichtweger Ausprägung, hätte es nie so weit kommen lassen, dass Maria Rauch-Kallat sich noch heute an die kollegiale Hand an ihrem Busen erinnern müsste. Wenn ein Mensch mit einem verlorenen sexuellen Ich einen passenden Partner findet, wird vermutlich keiner von beiden unter einem Defizit leiden.

Aber was, wenn nicht? (Günter Traxler, 11.11.2017)