ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache sichten mit ihren Verhandlungsteams derzeit die Ideen ihrer Experten.

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Wien – An Verhandlern mangelt es nicht, und doch beginnt es in der Volkspartei langsam zu rumoren. Mehrere Dutzend externe Experten und Parteifunktionäre sammeln derzeit in den 25 Untergruppen Ideen für eine türkis-blaue Regierung – und einst wichtigen schwarzen Teilorganisationen wird ihr Machtverlust immer bewusster.

Chefverhandler von ÖVP und FPÖ sind zu einer neuen Runde zusammengekommen. Themen sind Steuererleichterungen und die Pflichtmitgliedschaft bei Arbeiter- und Wirtschaftskammer.
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Mittlerweile hat jedes Koalitionsfachteam zumindest einmal getagt, am Freitagnachmittag haben die Chefverhandler rund um ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache dann eine erste Sichtung vorgenommen. "Phase II" wird das aktuelle Stadium in Verhandlerkreisen genannt: Die Staatskassa wurde gestürzt, jetzt sollen inhaltliche "Leuchtturmprojekte" angegangen werden.

Wenig Einbindung

Viel mehr als Überschriften sind bis jetzt aber nicht nach außen gedrungen. Das gilt nicht nur für die Medien, sondern auch parteiintern. Innerhalb der ÖVP gibt es hinter vorgehaltener Hand daher schon erstes Gegrummel. Man weiß nicht so genau, was der engste Kreis um Kurz plant, lautet einer der zentralen Vorwürfe.

Im Wirtschaftsbund – der in der Vergangenheit allein wegen seiner finanziellen Unterstützung großen Einfluss auf die Parteichefs hatte – fühlen sich viele zu wenig eingebunden. Dank großzügiger Spenden von privaten Förderern war Kurz im Wahlkampf weit weniger stark auf die traditionellen Parteistrukturen angewiesen. Das setzt sich auch jetzt nach dem Wahlkampf fort. Selbst langjährige Bereichssprecher klagen, keine Ahnung zu haben, was sich aus ihren jeweiligen Kapiteln im Regierungsprogramm finden wird. "Sie sollten uns einfach arbeiten lassen", meint einer – allerdings nur unter der Zusage, nicht namentlich genannt zu werden.

"Kleine Gruppe diskutiert unsere Zukunft"

Andere nehmen sich auch öffentlich kein Blatt vor den Mund: "Es ist eine kleine Gruppe, die über unsere Zukunft diskutiert", ärgerte sich der Tiroler Arbeiterkammerchef Erwin Zangerl (ÖVP) am Freitag bei einer Pressekonferenz, bei der die Tiroler Sozialpartner ihrem Unmut über mögliche Zentralisierungstendenzen im Gesundheitsbereich Luft machten. ÖVP wie auch FPÖ sprechen sich ja seit längerem für eine Zusammenlegung der Krankenkassen aus. Zangerl – ein bekannter ÖVP-Querulant – befürchtet eine "neoliberale Regierungsdiktatur" aus Wien.

Auch die Landeshauptleute gehen in die Offensive: Sie verkündeten vor dem Wochenende nach einem Treffen im Vorarlberger Feldkirch, dass sie die Kompetenzaufteilung mit dem Bund neu regeln und Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung abschaffen wollen. Darüber hinaus denken sie eine weitreichende Verfassungsänderung an: Paragraf zwölf, der die Grundsatzgesetzgebung durch den Bund festlegt und die Ausführungsgesetzgebung den Ländern überlässt, wollen sie ersatzlos streichen. Diese Regelung würde es dem Bund, wie berichtet, ermöglichen, ohne Zustimmung aller Länder die Mindestsicherung zu vereinheitlichen.

Rote Linien

Kurz hatte im ÖVP-Klub zuletzt über Fortschritte berichtet, den Abgeordneten aber auch mitgegeben, man müsse auf "rote Linien" bei den Freiheitlichen Rücksicht nehmen – und in diesem Zusammenhang die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern erwähnt. Die FPÖ würde diese am liebsten abschaffen. Der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer spricht sich im Gespräch mit dem STANDARD nun zwar weiterhin für eine Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft aus, ihm sei jedoch bewusst, dass es "einen finanziellen Aderlass geben wird".

Bodenseer schwebt eine "nach gewissen Kriterien gestaffelte Mitgliedschaft" vor: Jeder würde dann zwar einen geringeren Grundbetrag zahlen, alles weitere solle aber über "Zusatzpakete" geregelt werden. Auch die Strukturen der Wirtschaftskammer müssten dringend zeitgemäßer werden, ist der Tiroler überzeugt: "Die sieben Sparten haben sich überlebt, wir bräuchten stattdessen Cluster, in denen dann auch jene Leute zusammensitzen, die inhaltlich zusammenpassen. Das ist derzeit nämlich überhaupt nicht der Fall." So sei der Buchhandel beispielsweise nicht im Handel angesiedelt, sonder in der Sparte EDV – "völlig unlogisch", sagt Bodenseer.

Bei den Regierungsverhandlungen sieht auch er sich in erster Linie als "Zaungast" – bloß störe ihn das nicht so wie andere. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 10.11.2017)