Angela Eiter im mittleren und schwersten Bereich der Route: "Diese Passage ist extrem kleingriffig. Die weiten Züge kompensiere ich mit zusätzlichen kleinen Griffen zur Hilfe. Die Finger müssen hier ganz schön was aushalten, von der Haut bis hin zu den Weichteilen wie Ringbändern und Kapseln."

Foto: Red Bull Contentpool / Elias Holzknecht

"Auf diesem Bild meistere ich gerade die schwerste Stelle im unteren Teil der Route. Mit einer guten Portion Körperspannung und einer ausgereifter Klettertechnik helfe ich mir hier weiter."

Foto: Red Bull Contentpool / Javipec

"Noch wenige Meter folgen bis zum letzten schweren Zug. Durchhalten und gut festhalten heißt es, denn bei dem schwarzen Sinterstreifen geht es zur Sache. Die Züge dort oben werden noch schwerer, aber die Unterarme dicker, also müde."

Foto: Red Bull Contentpool / Javipec

Angela Eiter (31) lebt mit ihrem Ehemann und Kletterpartner Bernhard Ruech in Mieming im Tiroler Oberland. Sie bezeichnet sich selbst als "Semi-Profi" und betreibt als Brotjob zusammen mit ihrem Mann eine Kletterschule.

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STANDARD: Sie sind vierfache Weltmeisterin und dreifache Gesamtweltcupsiegerin. Würden Sie die La Planta de Shiva trotzdem als Ihren größten Erfolg bezeichnen?

Eiter: Vom medialen Interesse her ist es der größte Erfolg. Als ich vor zwei Jahren die Route erstmals probierte, habe ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Mir ging es darum, meine Grenzen auszuloten. Ob es letztlich gelingt, damit habe ich mich nicht befasst. Ich habe es sogar eher bezweifelt, dass ich da jemals raufkomme. Daher ist es für mich mindestens gleichwertig wie die größten Wettkampferfolge.

STANDARD: Wie hat die Vorbereitung für dieses Unterfangen ausgesehen?

Eiter: Das war sehr mühsam. In Summe bin ich in den vergangenen zwei Jahren sieben Mal nach Andalusien geflogen. Diese Distanz von meinem Heimatort Imst nach Spanien war für mich eine große Herausforderung, denn ich arbeite ja in der Route. Ich schau mir die Felsstruktur an und die Züge. Und dann bin ich wieder mehrere Monate nicht drinnen. In der Zeit vergisst man viel. Das war sehr schwierig, es im richtigen Moment auf den Punkt zu bringen.

STANDARD: Sie haben also jeden Griff und Tritt auswendig gelernt?

Eiter: Ja, ich habe mir zuerst einen Entwurf der Route im Kopf gemacht. Dann habe ich ihn zu Papier gebracht und versucht, die Route an meiner Kunstwand in Imst so wahrheitsgetreu wie möglich nachzubauen. Das ist mir nicht ganz geglückt, weil die Felsstruktur total anders ist. Ich habe also nur die Fitness an dieser künstlichen Route trainiert.

STANDARD: Gab es in dieser Vorbereitungsphase auch Rückschläge?

Eiter: Ja, letztes Jahr im Mai, als ich zum dritten Mal unten war, habe ich mir am zweiten Tag das Ringband verletzt und eine mehrmonatige Sehnenscheidenentzündung davongetragen. Unglücklicherweise habe ich mir im September 2016 auch noch die Sehne am linken Oberschenkel abgerissen. Das war dann der Tiefpunkt und ich sagte, wir können das Projekt canceln. Ich wollte es nicht um jeden Preis versuchen.

STANDARD: Wieso haben Sie Ihre Meinung doch noch geändert?

Eiter: Über den Winter habe ich die Verletzungen überwinden können. Um mehr Zeit für Regeneration zu haben, habe ich mithilfe des ASP-Red-Bull-Teams meine Trainingseinheiten umgestaltet und regelmäßig Physiotherapien absolviert. Ich habe bemerkt, dass mein Körper das hohe Trainingspensum, wie ich es zu Zeiten des Wettkampfkletterns hatte, nicht mehr verkraftet. Im Mai 2017 war ich wieder fit genug, um es erneut zu versuchen.

STANDARD: Bisher haben nur zwei Männer diese Route bezwungen. War Ihre Körpergröße von 1.54 Metern ein Handicap im Vergleich zu den größeren Herren?

Eiter: Die optimale Kletterstatur gibt es nicht. Man kann nur für eine bestimmte Route die optimale Statur haben. Ich kann sicher nicht alles klettern, etwa wegen meiner zu geringen Armspannweite. Bei der La Planta de Shiva sind jedoch so viele Griff- und Trittmöglichkeiten vorhanden, dass ich die weiten Züge der Männer umgehen und meinen eigenen Weg finden konnte.

STANDARD: Diese Route war im Schwierigkeitsgrad 9b. Sie sind bereits 9a geklettert. Wie kann man sich den Unterschied vorstellen?

Eiter: Das ist am ehesten mit Geschwindigkeitssportarten zu vergleichen, wo es darum geht, noch eine Nuance zu verbessern, um schneller zu sein. Da oben ist die Luft sehr dünn. Um in diesen Schwierigkeitsgraden zu klettern, muss alles zusammenpassen.

STANDARD: Und wer bestimmt, welchen Schwierigkeitsgrad eine Route aufweist?

Eiter: Das ist ein sehr heikles und umstrittenes Thema. Der Erstbegeher gibt den Schwierigkeitsgrad vor, basierend auf den Routen, die er schon geklettert ist.

STANDARD: Im Fall der La Planta de Shiva war das also der Tscheche Adam Ondra?

Eiter: Ja, genau. Ondra hat eine unfassbare Bandbreite an Routen, die er schon geklettert ist. Er ist momentan das Maß aller Dinge in unserem Sport. Wenn er einen Grad ausspricht, kann man ihm vertrauen. Die anderen, die diese Route ebenfalls klettern, können auf- oder abwerten, bis sich der Grad irgendwann einpendelt.

STANDARD: Wie groß sind die Leistungsunterschiede zwischen Frauen und Männern im Klettern?

Eiter: Für mich ist Klettern ein sehr individueller und eben kein geschlechterspezifischer Sport. Es geht nicht allein um physische Kraft, mentale Aspekte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

STANDARD: Sehen das die Männer auch so?

Eiter: Ich kann mich schon noch an meine Anfangszeiten erinnern, als Männer bisweilen den Schwierigkeitsgrad infrage gestellt haben, sobald eine Frau die Route geklettert ist, auch wenn ihn schon zahlreiche andere Kletterer davor bestätigt hatten. Aber wenn es plötzlich eine Frau schafft, kann es doch nicht so schwer sein.

STANDARD: Heute ist das nicht mehr der Fall?

Eiter: Es ist deutlich besser, ich erfahre viel Wertschätzung. Das Einzige, was viele Männer bei mir überrascht, ist, dass ich die weiten Züge kompensieren kann. Sie wundern sich, wie das möglich ist, weil das für sie eine enorme Kraftanstrengung bedeutet. Und dann komme ich mit meiner Größe daher und schaffe es trotzdem.

STANDARD: Streben Sie nach der La Planta de Shiva nun weitere Rekorde an?

Eiter: Nein, die Routen in dem Schwierigkeitsgrad sind dünn gesät und nicht viele davon werden mir zugute kommen. Ich möchte die Vielfalt dieses Sports mehr genießen. Neue Länder und ihren Fels kennenlernen, dort nach Abenteuern suchen. Mein Lieblingsfels dafür ist der Sinterkalk im Süden Europas. Denn im Granit kann es schnell unangenehm werden, wenn du nicht eine bestimmte Größe und Kraft hast.

STANDARD: Interessieren Sie sich auch für Free Solo Klettern ohne Sicherung?

Eiter: Nein, das ist ein Tabu für mich. Das muss einem angeboren sein. Denn letztlich ist es ein Wettbewerb mit dem Tod, man verlässt sich dabei allein auf seinen Kletterinstinkt, obwohl es Gefahren wie etwa Felsausbrüche gibt, die man nicht einschätzen kann. Es gibt genug Risiken beim Sportklettern, diese Herausforderung suche ich nicht. (Steffen Arora, 11.11.2017)