Wien – Victor hat's nicht leicht. Bei einem Firmenbesäufnis steht der Schüchterne abseits; wenig hilfreich für die Kontaktaufnahme mit feierfreudigen Kollegen ist auch, dass er eine Arie auf Antilopisch singt, nachdem sein Chef Nasenbluten bekommen hat. Also springt er im 13. Stock aus dem Fenster. Äußerlich unversehrt begibt sich der Unverstandene auf einen albtraumhaften Kurztrip: Er betätigt sich erfolglos in der Paartherapie und besingt auf Antilopisch liebeshungrige Mütter.

Absurde Arien bei Wien Modern durch die Neue Oper Wien.
Foto: Armin Bardel

Drei Doktoren diagnostizieren eine "afrikanische Depression". Zu mitternächtlicher Stunde beschimpft Victor – nun auf Deutsch – im Park eine abstrakte Skulptur, die auf Schmähungen mit antilopischem Gesang antwortet. In einem Zoo sucht der Außenseiter Nähe und Annahme bei den Tieren, aber nicht einmal das wird ihm gegönnt. Im erneuten Durchleben der Bürofeierhölle schließt sich dann der Geschichtskreis.

Beginn vielversprechend

So weit, so absurd und so spröde das Libretto von Durs Grünbein. Zu den Grundthemen Kapitalismuskritik und Konformitätszwang: ja, eh. Brav. Gähn. Die Musik von Johannes Maria Staud beginnt vielversprechend: Zur Bürofeier erklingt aus dem Graben erst filigranes Gläserklirren, dann folgt aber eine "Partymusik", die bestenfalls eckige Euphorie verbreitet. Grünbein wiederum fallen zum Gruppensaufen Sätze ein wie "Das ist die Nacht, da der Pudding brennt!" Zusammen mit der Tanzerei, die Dominique Mentha im kargen Bühnenbild von Ingrid Erb und Werner Hutterli inszeniert, ergibt sich eine der skurrilsten Szenen der jüngeren Musiktheatergeschichte, ein übermäßiger Szene-Text-Musik-Dreiklang des Schreckens. Fremdschämalarm!

Der ehemalige Direktor der Wiener Volksoper trägt zudem zum Missverständnis der absurden Geschichte bei, indem er die hohlen Büroheinis Tierköpfe tragen lässt und das Animalische so negativ konnotiert. Schon klar: Der moderne Mensch soll als ein im Kapitalismuskäfig gefangenes Tier dargestellt werden. Aber im Libretto des deutschen Dichters ist die Fauna durchwegs positiv besetzt: Victor sucht im Zoo Trost in der Nähe zu den Tieren. Und die tolle antilopische Fantasiesprache des Nonkonformisten Victor, sie inspiriert Staud immer wieder zu lyrischen Kantilenen.

In der Musik des Österreichers: metallische Schläge, Glissandi und reichlich Sekunden und Nonen. Am stärksten wirken die kurzen Orchesterzwischenspiele und die Tonbandzuspielungen, die A-cappella-Chorstellen sind eine zähe Angelegenheit. Klanglichen Abwechslungsreichtum und emotionale Vielfalt bietet Stauds Musik nur begrenzt. Gut: Das von Walter Kobéra geleitete Amadeus Ensemble Wien der Neuen Oper Wien lässt bei der österreichischen Erstaufführung des jungen Werks in Sachen Präzision und Prägnanz noch Luft nach oben.

Der Wiener Kammerchor und die Solisten bemühen sich, allen voran Wolfgang Resch, der einen glaubhaft schwachen Antihelden verkörpert. Begeisterung im Museumsquartier für eine musiktheatralische Mühsal, für eine unstimmige Absurdität. (Stefan Ender, 12.11.2017)