Wenn die Blutfedern aufwirbeln: Yang Lingping zeigt in "Under Siege" bildstarke Tanzästhetik.

Foto: Ding Yi Jie

St. Pölten – Schon Mao hat den Tanz zur Propaganda eingesetzt. Konkret in Revolutionsballetten wie Das weißhaarige Mädchen oder Das rote Frauenbataillon. Letzteres durfte sich auch US-Präsident Richard Nixon während seines China-Besuchs 1972 anschauen. Jetzt, 45 Jahre später, gibt es in China bekanntlich immer noch weder Meinungs- noch Presse- oder Kunstfreiheit. Das schwingt immer mit, wenn chinesischer Tanz bei uns gezeigt wird wie am Sonntag im Festspielhaus St. Pölten das Spektakel Under Siege der Choreografin Yang Liping.

In der Volksrepublik ist Yang (59) eine gefeierte und damit von der Partei-Kulturpolitik abgesegnete Choreografin. Der Vergleich mit den Revolutionsballetten zeigt, dass Chinas Kunstpropaganda subtiler geworden ist. Die Europäer sollen im einstigen "Reich der Mitte" hergestellte Produkte ja gerne kaufen – aber auch sehen, dass die chinesische Kultur sich verstärkt auf die eigene Identität besinnt. Und die ist komplexer als Maos Ideologie.

Eiserne Wolke

Man sollte Under Siege mit seinen prächtigen Kostümen, dem martialischen Inhalt und seiner ost-westlichen Tanzästhetik weder mit naiver Faszination bestaunen, noch auf seine kalkulierte PR-Rahmung reduzieren. Das Stück ist für breites Publikum gemacht, erlebte in der Volksrepublik gut 400 Aufführungen und hat auch im Festspielhaus viel Applaus geerntet. Die Tänzer sind fantastisch, das Bühnenbild von Oscar-Preisträger Tim Yip (Tiger and Dragon) ist beeindruckend, und die Geschichte, durch die ein von Guo Yi hinreißend dargestellter Erzähler führt, verweist auf Chinas lange Vergangenheit.

Es geht um die historische Schlacht von Gaixia von 202 v. Chr., in der das Han-Reich jenes der, wie es im Programm heißt, "westlichen" Chu besiegte. Machtwille, Männlichkeit, Liebe, Niederlage und Sieg. Die alte Geschichte eben. In Under Siege ergießt sie sich als Edelschmalz in eine Unmasse an rotgefärbten Federn, die das viele vergossene Blut symbolisieren. Über dem Geschehen hängt der Himmel voller Scheren, deren Spitzen bedrohlich nach unten weisen. Unter dieser eisernen Wolke wird gekämpft, getanzt, gelitten und am Ende triumphiert.

Allegorie der Wissensquellen

Der Erzähler findet dramatische Worte, die er wie ein Kobold mit überschnappender Stimme vorträgt, während an der Seite ungerührt eine Scherenschnittkünstlerin – Wang Yan – die passenden chinesischen Schriftzeichen anfertigt und hochhält. Genau diese papierweiß gekleidete Figur ist schließlich die wahre Protagonistin. Eine Allegorie der Verfertigung von Zeichen, der schriftlichen Überlieferung, der Quelle von Wissen.

Sie erzeugt eine Verschiebung neben dem Geschehen: Leicht ist das Papier, und leicht lässt es sich schneiden, so leicht wie die am Schluss des Stücks aufwirbelnden Blutfedern. Damit wird gesagt, dass keine Erzählung das Gewicht dessen erreicht, wovon sie berichtet. So ist etwa auch Das rote Frauenbataillon Geschichte geworden, leichthin erzählbar in aufwirbelnden Worten. Aber die Schere schließlich gilt als Werkzeug des Zensors. Eines, das über ganz China schwebt. (Helmut Ploebst, 14.11.2017)