Heiraten im Irak: 58 Jahre lang regelten staatliche Gerichte die Eheschließungen, nun wird das Personenstandsgesetz von 1959 von den Religiösen ausgehebelt – zum Nachteil der Frauen.

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Bagdad/Wien – Die treibende Kraft ist nicht der schiitische Klerus, sondern das irakische Justizministerium in den Händen der kleinen schiitischen Fadhila-Partei – Fadhila heißt Tugend -, wenn das irakische Parlament in wenigen Tagen ein Gesetz beschließen wird, das die Vergewaltigung von neunjährigen schiitischen Mädchen erlaubt. Genannt wird das Eheschließung. In erster Lesung wurde dem Entwurf des Gesetzes, das unter anderem das Heiratsalter herabsetzt, im mehrheitlich schiitischen Parlament bereits zugestimmt. Es gibt Proteste dagegen, aber auch durchaus dafür – von konservativen schiitischen Frauen.

Es ist nicht der erste Versuch, das irakische Personenstandsgesetz von 1959, das modernste der arabischen Welt, zu kippen. Bereits im Dezember 2003, dem Jahr der US-Invasion, die den irakischen Diktator Saddam Hussein stürzte, strich Abdelaziz al-Hakim, der damalige turnusmäßige Vorsitzende des von den USA eingesetzten Interimsregierungsrats, das Personenstandsgesetz ganz einfach per Dekret. Nach entsetzten Protesten widerrief US-Zivilverwalter Paul Bremer wiederum al-Hakims Beschluss. Es dauerte zehn Jahre bis zur nächsten Attacke: 2014 kam der Gesetzesentwurf bereits ins Parlament, fiel aber letztlich durch.

Die Schiitenführer begründen ihren Schritt mit der Verfassungswidrigkeit des alten Personenstandsgesetzes: Artikel 2a der irakischen Verfassung von 2005 – also unter amerikanischer Aufsicht, ja in der US-Botschaft geschrieben – besagt, dass kein irakisches Gesetz den Vorschriften des Islam widersprechen darf. In anderen Artikeln steht zwar, dass es keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Religionszugehörigkeit geben darf (Artikel 14). Aber dann gibt es wiederum Artikel 41, der vorsieht, dass alle irakischen Bürger bei ihrem Personenstand ihrer Religion, ihrer Sekte, ihrem Glauben und ihrer Wahl folgen können und dass dies per Gesetz geregelt wird.

Jafaritisches Recht

Und das wäre nun das erste Ergänzungsgesetz zu Artikel 41, jenes der jafaritischen Rechtsschule, das nur für die Schiiten gelten würde. Wenn sich sunnitische Islamisten ihrerseits der Sache annähmen, würde ihr eigenes aber wohl nicht viel anders aussehen. In Saudi-Arabien etwa hat sich das Justizministerium, das ein Heiratsmindestalter für Mädchen einziehen wollte, nicht gegen die Religiösen durchgesetzt.

Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, dass das Heiratsalter von Mädchen auf neun Jahre herabgesetzt wird und dass der Vater das alleinige Recht hat, die Eheschließung zu gestatten oder zu versagen (das heißt, dass die Mutter des Kindes nichts mitzureden hat). Darüber hinaus schreibt es das Recht des Mannes auf Geschlechtsverkehr auch ohne Zustimmung seiner Frau fest.

Im derzeitigen irakischen Personenstandsgesetz ist das Heiratsalter mit 18 festgesetzt, 15 mit Zustimmung der Eltern. Zwangsehen sind verboten, Polygamie und männliches Scheidungsrecht eingeschränkt, ein weibliches Scheidungs- und Sorgerecht ist verankert.

Gleiches Recht für alle

Vor allem wurde das Familienrecht den religiösen Richtern weggenommen und an eine staatliche Gerichtsbarkeit übertragen – mit gleichen Gesetzen für alle, was die gesellschaftliche Kohäsion fördern sollte. Das Gesetz stammt aus dem Jahr nach der antimonarchistischen Revolution von General Abdelkarim Qassem, der 1963 von den Baathisten weggeputscht wurde (sie verloren allerdings kurz darauf wieder die Macht, bis sie 1968 wieder an die Macht kamen).

Auch im ersten nach 9/11 von den USA eroberten Land, in Afghanistan, gibt es bereits seit 2009 ein ähnliches schiitisches Personenstandsgesetz. Die Schiiten beider Länder wollen damit hinter das zurückgehen, was im Iran Standard ist: Dort ist das niedrigste bewilligte Heiratsalter 13, allerdings wird das im ländlichen Raum oft nicht befolgt, es gibt eine rechtliche Grauzone. Iranische Parlamentarierinnen kämpfen nun für eine Reform: Als ersten Schritt wollen sie ein prinzipielles Verbot von Eheschließungen unter 13 Jahren.

Absurditäten gibt es aber auch anderswo, etwa im US-Staat Massachusetts: Mindestalter zwölf Jahre. In Europa fällt Estland mit 15 Jahren auf, allerdings waren es in Spanien bis 2015 14 Jahre. (Gudrun Harrer, 14.11.2017)