Das neue Projekt "Interspace" soll "eine Brücke zu Schule, Lehre und Arbeitsmarkt für neu zugewanderte Jugendliche aus EU- und Drittstaaten" sein– mit 520 Plätzen.

Foto: Heribert Corn

Wien – In den vergangenen zehn Jahren ist die Wiener Wohnbevölkerung um elf Prozent, rund 190.000 Menschen, gewachsen. Jeder Zweite, der in Wien lebt, hat einen Migrationshintergrund, ist also entweder selbst nicht in Österreich geboren oder hat einen im Ausland geborenen Elternteil. 27 Prozent der Wiener haben eine andere als die österreichische Staatsbürgerschaft, 35 Prozent sind im Ausland geboren, und 61 Prozent der Zugewanderten leben seit mindestens zehn Jahren in Wien.

Das sind einige Ergebnisse des vierten Wiener Integrationsmonitors, der am Donnerstag präsentiert wurde. "Wien ist seit zehn Jahren eine stark wachsende Stadt. Das ist eine riesengroße Herausforderung", sagte Integrations- und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) bei der Präsentation der Studie.

Der Monitor soll anhand ausgewählter Indikatoren die Veränderung aufzeigen, die die Einwanderungsgesellschaft in den vergangenen Jahren genommen hat, und darlegen, wo Handlungsbedarf besteht. Beobachtet werden etwa gesellschaftliche Teilhabe, Gleichstellung, Arbeitsmarkt und Bildung. "Wir wollen so Integration messbar machen, um auf einer faktenbasierten Ebene zu diskutieren", sagt Czernohorszky. Der Monitor bilde die Wiener Bevölkerung seit 1961 ab, "es ist europaweit ein Best-Practice-Beispiel".

Drittel der Bevölkerung aus Bundesländern

Ein Drittel der Wiener Bevölkerung kommt demnach aus den umliegenden Bundesländern. Aber auch Menschen aus mehr als 190 Herkunftsländern leben in Wien. Von 2014 auf 2015 stieg die Binnenzuwanderung von 33.764 auf 37.175 Personen. Rund die Hälfte der aus dem Ausland Zugewanderten kommen aus der EU, wobei die Zahl von 35.953 auf 34.222 marginal zurückging. Die Zahlen jener, die aus Drittstaaten nach Österreich kommen, ist von 19.871 auf 16.352 gesunken. "Das ist der Bereich, den wir steuern können", sagt Monitor-Projektleitern Theodora Manolakos von der MA 17. Darunter Fallen etwa Menschen mit Aufenthaltsbewilligungen aufgrund von Ausbildungsverhältnissen, Arbeit oder Familienzusammenführung.

Durchschnittlich liege die Migration aufgrund von Flucht "immer zwischen 4.000 und 5.000 Personen pro Jahr", sagt Manolakos. "Bis auf die große Ausnahme im Jahr 2015." Während 2014 die Flucht für 5.078 Menschen in Wien endete, waren es 2015 mehr als viermal so viele, nämlich 22.033.

Jeder Vierte darf nicht wählen

Aufholbedarf gibt es laut Czernohorszky bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Denn jeder vierte Wiener ist vom Wahlrecht ausgeschlossen. Darunter seien auch viele Menschen, die schon mindestens zehn Jahre in Wien leben. Am deutlichsten zeigt sich die mangelnde Mitbestimmung in Rudolfsheim-Fünfhaus: Hier sind 40 Prozent gar nicht (23 Prozent Drittstaatsangehörige) oder nicht über die Bezirksebene hinaus (17 Prozent EU-Bürger) wahlberechtigt. In Wien-Liesing hingegen haben 85 Prozent das volle Wahlrecht.

Der Integrationsmonitor zeigt zudem, dass die Bildungsbeteiligung nach der Pflichtschule insgesamt steigt. Am stärksten holen Jugendliche aus Drittstaaten gegenüber ihren Eltern auf. Während bei jenen, die aus der EU zugewandert sind, der Anteil von Personen mit höchstens Pflichtschulabschluss sowohl in der Eltern- als auch in der Jugendgeneration etwa gleich bleibt (bei rund zehn Prozent), halbierte sich sich die Zahl bei jenen aus Drittstaaten.

"Die Jugendgeneration schafft den Bildungsaufstieg", sagt Manolakos. Haben noch über 40 Prozent in der Elterngeneration der Drittstaatsangehörigen als höchsten Abschluss die Pflichtschule, sind es unter den Jugendlichen nur noch rund 20 Prozent. Für Czernohorszky sind diese Zahlen "eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung, es zeigt, dass die Bildungsabschlüsse bei Menschen mit Migrationshintergrund stark gestiegen sind".

Auch insgesamt (alle Altersgruppen) steigt die Bildung der Menschen mit Migrationshintergrund. Zwischen 2007 und 2016 ging der Anteil der Drittstaatsangehörigen, die höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, von 36 auf 29 Prozent zurück. Hatten 2007 noch 36 Prozent dieser Gruppe Matura oder eine darüber hinausgehende Ausbildung, waren es 2016 schon 42 Prozent. "Das zeigt auch, dass viele nach zum Studieren nach Wien kommen", sagt Manolakos.

Mama lernt nicht nur Deutsch

Unter den zugewanderten Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren gebe es trotzdem noch Anschlussprobleme bei der Bildung. "Wir liegen mit Maßnahmen wie dem Jugendcollege für Flüchtlinge richtig, brauchen aber mehr Angebote für Menschen, die nach dem Pflichtschulalter aus einem anderen Grund nach Wien kommen", sagt Czernohorszky. Dazu zählen etwa EU-Bürger und Drittstaatsangehörige, die mit den Eltern zuwandern.

Darum startet die Stadt im Jahr 2018 zwei neue Projekte. "Interspace" soll, so wie es das Jugendcollege für geflüchtete Jugendliche ist, "eine Brücke zu Schule, Lehre und Arbeitsmarkt für neu zugewanderte Jugendliche aus EU- und Drittstaaten" sein– mit 520 Plätzen. Vom Bund fordert Czernohorszky, die Ausbildungspflicht bis 18 Jahre auf Asylwerber auszuweiten und die Lehre für sie auch außerhalb von Mangelberufen zu öffnen. "Wenn man eine Brücke baut, muss sie auch ankommen."

Zudem soll das Projekt "Mama lernt Deutsch" zu einem Bildungscollege für Frauen ausgeweitet werden. Das Projekt, das bisher nur Deutschkurse anbot, soll auf Mathematik und Englisch und auf 700 Plätze erweitert werden. Aus dem Förderbudget für Erwachsenenbildung will die Stadt für die beiden Projekte gesamt etwa eine Million Euro lockermachen. Mit zusätzlichem Geld vom Bund und dem Europäischen Sozialfonds erwartet man ein Gesamtbudget von vier Millionen Euro. (Oona Kroisleitner, 16.11.2017)