Wien – Vollkommen grazil und energetisch, aber zugleich zerbrechlich: 90 Jahre alt war Éva Fahidi als sie 2015 für die Tanzproduktion Strandflieder oder: Die Euphorie des Seins erstmals auf einer Bühne stand. Das Projekt mit der Auschwitz-Überlebenden hat Regisseurin Réka Szabó mit einem Making-of begleitet, das nicht nur ihr Leben skizziert, sondern zugleich als unglaublich zärtliches Porträt einer alten Dame funktioniert. Neben den feinen Bewegungen nimmt es auch den gealterten Körper in den Blick. Man möchte die hauchdünne Haut an den Fesseln, wo sich die Venen abzeichnen, gern berühren, ja darüberstreichen.

Lust, Erotik und Schönheit ist keine Frage des Alters: Das zärtliche Balgen der lebensfreudigen Damen hat Aleah Chapin in "The Last Droplets of the Day" (2015) eingefangen.
Foto: Martin Url

Sinnliche Momente, die auch die Ausstellung Kraft des Alters im Belvedere beschwört: Die Hände eines 85-jährigen Mannes, von Altersflecken gezeichnet, die Haut sich wie feinstes Plissee fältelnd – in Ishiuchi Miyakos SchwarzWeiß-Aufnahme wird der Körper zum Bild. Eine Ode an das Alter.

Unsere Gesellschaft ist aber so gerontophob, dass sie am liebsten gar nicht anstreifen würde am Alter. Stichwort: Streichelroboter. Je mehr der demografische Wandel fortschreitet, je mehr Alte es also gibt, umso mehr scheint die Angst umzugreifen, man könnte irgendwann dazugehören. Man wird.

Alt, aber bitte schön vital

Zur neuen Kunst, Vergänglichkeit und Tod zu verdrängen, gehört, dass in manch’ europäischer Stadt die schwarzen Leichen wägen durch neutrale Lieferwägen ersetzt wurden: "Statt dem Pompfüneberer scheint nun bloß der Paketdienst" zur letzten Fahrt zu kommen, so Philosoph Robert Pfaller. Das Alter wird ausgeblendet, da können noch so viele Carmen Dell'Orefices (86), Iris Apfels (95) oder Eveline Halls (72) stolz ihre grauen Schöpfe über die Laufstege tragen. Der Jugendwahn dauert an.

Ins Rampenlicht dürfen nur die jugendlichsten, extravaggantesten und am schönsten gealterten unter den Seniorinnen. Denn wenn schon alt, dann bitte schön agil, lustig, geistig fit und mit über 90 noch Berggipfel erklimmend. Hantelschwingend und mit Kampfesschrei karikiert das Anti-Aging etwa Margot Pilz (81).

Der Schau Kraft des Alters muss man also kräftig dafür applaudieren, dem Glattgespachtelten die visuelle Vehemenz authentischer Falten entgegenzuknallen. Kuratorin Sabine Fellner führt – zeitlich von den weisen Greisen Gustav Klimts bis zur kecken Louise Bourgeois – alte Menschen nicht als Mängelwesen vor und zeigt das Alter als einen natürlichen Lebensabschnitt, als Lebensalter der Freude, Selbstermächtigung und -gewissheit.

Gesellschaftliches Konstrukt

Alt werden? Na und! John Coplans lichtete sich als überlebensgroßen Akt ab. Vivienne Westwood posiert für Jürgen Teller splitternackt und breitbeinig auf dem Rokoko-Kanapee. Helen Mirren braucht als Venus im Bad keine Schaumkrone, um Welkes zu verdecken. Man kann es nicht oft genug predigen, aber ja, auch jenseits der 50 kann Mensch erotisch sein! Insbesondere Frauen werden auf den biologischen Aspekt des Alterns reduziert, deswegen steuert Kraft des Alters da besonders intensiv dagegen: Auch der Umgang mit dem Alter ist ein gesellschaftliches Konstrukt, also veränderbar.

Herzerfrischend ist etwa die Hemmungslosigkeit, mit der Damen und Herren 65+ auf Bitte von Choreografin Pina Bausch Hüften kreisen und Popos wackeln ließen. Das Alter als Ära neuer Freiheiten, wo es sich jenseits von gesellschaftlichen Konventionen ganz ungeniert genießen lässt. Da hängt man selbst bei schlechtem Wetter auf der Liege im Gänsehäufel ab (Martin Parr). Warum? Weil man kann.

Alt sein und so aussehen

Selbstbestimmt im Alter? Gerade Kindern, die einst selbst flügge wurden, werden dann zu Bevormundern ihrer Eltern. Im bitterbösen Video Uninvited guests (Superflux) übernehmen smarte Gabeln, Betten und Spazierstöcke die Kontrolle: mehr Vitamine! Mehr Schlaf! Mehr Gehen! Warum aber nicht alt sein und auch so aussehen? So rührend wie das alte Paar im Nachthemd, das Harry Weber 1960 im Altersheim porträtierte, oder unendlich müde wie der Vater in Margherita Spiluttinis Bildserie.

Schon in Der nackte Mann und Rabenmütter fürs Museum Lentos vermochte Fellner solch gesellschaftspolitische Themen bilderreich und im großen zeitlichen Bogen auszubreiten. Im Reichtum dieser Präsentation gehen zwar unangenehme Aspekte wie Altersarmut oder Vereinsamung ein wenig unter; da und dort dürfte es auch ein bisschen weniger dicht sein. Aber zunächst gilt es einmal, das Alter zu feiern. (Anne Katrin Feßler, 17.11.2017)

Belvedere, bis 4. März 2018

Eric Fischl: "Frailty is a Moment of Self Reflection", 1996

© Eric Fischl, Foto: © Dorothy Zeidman

Joyce Tenneson: Christine Lee, 2002

© Joyce Tenneson

Barbara Klemm: Simone de Beauvoir, Paris 1980 (Sammlung Klöcker, Bad Homburg v. d. Höhe)

Foto: Martin Url

Herlinde Koelbl: Louise Bourgeois, 2001

Courtesy of the artist ©Herlinde Koelbl

Margot Pilz: "Anti Aging", 2010

Foto: Daniela Beranek, © Margot Pilz