Maria Vassilakou schlägt viel Unmut entgegen – und einen Teil davon kann sie sogar verstehen: Ein Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt würde sie heute nicht mehr vertreten, räumt sie ein.

Foto: Andreas Urban

Der Kinderchor ist süß, aber ausdauernd. Vier politisch korrekte Lieder lang – "im Land der Buntgemischten sind alle bunt gemischt" – harrt Maria Vassilakou in der feuchten Novemberkälte aus, ehe der Marathon erst so richtig losgeht. Ein Kamerateam nach dem anderen, bis hinunter zum kleinen Web-Channel, rückt mit den immer gleichen Fragen an. Wenn das so ende, witzelt sie in einem Anflug von Galgenhumor, könnte man doch glatt am Sinn der Presseförderung zweifeln.

Dazwischen hat Vassilakou per Minikran einen Steinquader im Boden versenkt, um den Umbau des Stephansplatzes zu besiegeln, doch das interessiert die Interviewer natürlich nicht. Heiser quält sie sich in Endlosschleifen durch die grüne Krise, ein paar Tage später wird sie krank im Bett landen. Politik sei eben nichts für Mimosen, sagt Vassilakou gern: "Für Gejammer ist kein Platz."

Dabei hätte sie dafür noch ein paar Gründe mehr. Die Nationalratswahl hat die Bundesgrünen von der Bühne gefegt, und nun könnte Vassilakou, Statthalterin der größten verbliebenen Bastion der Partei, Ähnliches widerfahren. Für die Landesversammlung der Wiener Grünen kommenden Samstag haben Funktionäre einen Antrag aufgesetzt, der den Abgang der Vizebürgermeisterin fordert – weil sie, wie Initiator Alexander Hirschenhauser sagt, "zu wenig Rückgrat" gezeigt habe: "Wer sich grün nennt, darf Idealismus nicht an der Garderobe abgeben."

Die Schlusssteinlegung am Wiener Stephansplatz, Maria Vassilakou bedankt sich beim Kinderchor.
Foto: Matthias Cremer

Es gab Zeiten, da war Vassilakou für das Gegenteil bekannt. Als forsch und entscheidungsstark beschreiben sie Grüne, die ihren Aufstieg begleitet haben. Mit den Worten ihres Förderers Christoph Chorherr: "Sie pfeift sich nix."

Entdeckt Mitte der Neunzigerjahre in der Hochschülerschaft, etabliert sich die gebürtige Griechin im Gemeinderat als Anwältin für Zuwandererrechte, erreicht als Spitzenkandidatin 2005 das beste grüne Ergebnis in der Stadt ever – und zeigt ab 2010 auch als Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin in der Koalition mit der SPÖ einen Zug zum Tor.

Die Ausweitung des Parkpickerls, das Öffi-Jahresticket um 365 Euro und natürlich die Verbannung der Autos aus der Mariahilfer Straße: Vassilakou setzt im roten Wien grüne Spuren.

Bahöl um die Mahü

Die Akzente haben ihren Preis. Mit jedem Meter Fußgängerzone, den sie erkämpft, schwillt an, was Thomas Blimlinger den ersten echten Shitstorm der heimischen Politszene nennt: Die "sozialen" Medien spucken Beleidigungen ohne Ende aus, bis hin zum unverblümten Mordaufruf.

Der Bezirksvorsteher von Neubau, der den Bahöl um die Mahü hautnah miterlebte, erklärt dies nicht nur mit der religiösen Inbrunst, mit der in Wien seit jeher um jeden Fahrstreifen gerungen wird: "Natürlich liegt es auch daran, dass sie Frau und Migrantin ist." Obwohl Blimlinger im Kern keine andere Linie vertritt, hört er immer wieder das Gleiche: "Sie sind ja eh vernünftig, aber diese Vassilakou!"

Interviewmarathon mit heiserer Stimme: Politik sei eben nichts für Mimosen, sagt Vassilakou gern: "Für Gejammer ist kein Platz."
Foto: Matthias Cremer

Doch viel Feind, viel Ehr': Vor der Wahl 2015 lässt sich Vassilakou als Hexe plakatieren, zehrt bei Anhängern – wie Meinungsforscher Christoph Hofinger vom Sora-Institut sagt – vom Image der Mutigen und Durchsetzungskräftigen. Am Ende steht zwar ein kleines Minus vor dem Ergebnis, aber dieses sei aus heutiger Sicht geradezu "achtbar", findet Hofinger.

Schließlich hätten die Grünen damals genauso mit jenem bei der jüngsten Nationalratswahl so verheerenden Problem gekämpft, dass Sympathisanten aus taktischen Motiven gern rot wählen: "Das Resultat von 2015 ist kein Grund, Vassilakou abzusägen."

In den Parteireihen aber gibt es lange Gesichter, so manche Hoffnung auf einen Bezirksvorsteherposten zerplatzt – und Vassilakou hängt ihre Ankündigung aus dem Wahlkampf nach, bei Verlusten abzudanken. Beharrlich rechnet sie vor, dass die Grünen zwar Stimmanteile, nicht aber Stimmen verloren haben, doch die Saat des Unmuts ist gesät. Bald wünschen sich immer mehr Funktionäre, Vassilakou hätte ihre Drohung wahrgemacht.

"Sie ist eine sehr kluge und intelligente Frau, hat aber grüne Inhalte preisgegeben", sagt Paul Kolm, seit Gründungstagen bei der Partei und das, "was die Medien einen Basiswappler nennen". Als ein Beispiel fällt dem 75-Jährigen, der seinen Namen unter den Ablöseantrag gesetzt hat, Vassilakous Faible für Winterschanigärten ein – Heizschwammerl seien ein "No-Go", findet Kolm. Doch am Epizentrum der Aufregung kommt auch er nicht vorbei: Nichts entzweit die Wiener Grünen so sehr, wie ein geplanter 63 Meter hoher Turm am Rande der Innenstadt.

Viel Wut am Heumarkt

Eine von Spekulanten betriebene Verschandelung, die Wien den Status des Unesco-Weltkulturerbes zu kosten droht, sehen die Kritiker im von Rot-Grün verfochtenen Neubau am Heumarkt – und ein Symbol für die Ignoranz Vassilakous. "Wer die Basis übergeht, wird nicht lange regieren", sagt Kolm und spricht die von den Gegnern erzwungene Urabstimmung im April an: Die Parteimitglieder votierten mit hauchdünner Mehrheit gegen das Projekt, die Grünen im Gemeinderat stimmten auf Betreiben der Vizebürgermeisterin dennoch für die Fortsetzung.

Befürworter wie der grüne Planungssprecher Chorherr halten den Mehrwert des Vorhabens entgegen: Ja, der Turm beherbergt Luxuswohnungen, aber dafür hat die Stadt den Investor verpflichtet, den dort ansässigen Wiener Eislaufverein mit 30 Millionen Euro zu sanieren und zu erhalten. "Die Grünen müssen Kompromisse, wie sie das Regieren mit sich bringt, verdauen lernen", sagt er: "Mit Stadtplanung erreichen wir viel, aber eines nicht: Die Abschaffung des Kapitalismus."

Einen Tunnelblick, der das große Ganze der grünen Machtbeteiligung aus den Augen verliere, attestieren manche Fürsprecher Vassilakous den Gegnern, sachfremde Beweggründe ebenfalls. Schließlich hatten auch Peter Pilz und dessen Mitstreiter Wolfgang Zinggl, als sie noch um grüne Listenplätze für die Nationalratswahl ritterten, die Causa "angezündet", wie es der Ex-Gemeinderatsmandatar Klaus Werner-Lobo ausdrückt. Und eines gebe es selbst bei den Grünen: "Eine Altherrenpartie, die es nicht aushält, wenn sie von einer Frau regiert wird."

Auf Dauer nicht haltbar

Peter Huemer ist allerdings relativ unverdächtig, persönliche Motive zu hegen. Der renommierte Publizist war nie Funktionär, aber viele Jahre Wähler der Grünen – und blieb das selbst bei der Katastrophenwahl am 15. Oktober. Von einer von Rache getriebenen "Vendetta", ehe ein geeigneter Nachfolger parat steht, halte er nichts, sagt Huemer: "Aber dass Vassilakou auf Dauer nicht haltbar ist, liegt auf der Hand."

Als Politikerin hätte sie die Brisanz erkennen müssen, die ein Projekt wie der Heumarkt bei den Grünen, die ja auch wertkonservative Schichten vereinten, habe: "Doch sie ist sehenden Auges in einen Konflikt gesteuert, der Wählerschaft und Partei zerreißt. Das hat mich wütend gemacht."

Vassilakou selbst will da gar nicht aller Kritik widersprechen. "Ja, ich habe die Sprengkraft des Projekts nicht richtig erkannt", räumt sie im STANDARD-Gespräch ein: "Aus heutiger Sicht würde ich ein Hochhaus am Standort Heumarkt ausschließen."

Dafür müsste sie die Zeit aber um fünf Jahre zurückdrehen, denn für die jüngere Vergangenheit gelte: Wenn ein Projekt, das noch dazu aus einem Architekturwettbewerb entstand, alle Auflagen erfüllt hat, könne sie nicht einfach die Stopptaste drücken. "Wer regiert, muss Handschlagqualität haben", sagt sie, "und darf nicht nach parteiinternen Kriterien agieren. Für diese Haltung zahle ich jetzt den Preis."

Einigeln im engen Raum

Mit einem ausgeprägten Sensorium für die Bedürfnisse der Partei ist Vassilakou in ihrer Zeit an der Spitze nie aufgefallen. Schon bei der Wahl 2010 setzt sie sich dem Vorwurf aus, Streitereien in den Bezirken ignoriert zu haben. Im grünen Bundesvorstand ward die Wiener Frontfrau in den letzten Jahren nur selten gesehen, und auch im Rathausklub habe sie sich rar gemacht, erzählt ein Grünen-Insider: "Sie arbeitet in einem engen Resonanzraum."

Manche glauben gar zu bemerken, dass sich Vassilakou ein Stück weit eingeigelt hat – als Folge der Shitstorms. Sie selbst macht keine große Sache daraus, redet ungern über Befindlichkeiten, was sich durch ihre Biografie erklärt: Vassilakou, die 1986 wegen des Dolmetschstudiums von Athen nach Wien gezogen ist, hatte in jungen Jahren die griechische Militärdiktatur erlebt.

Verwandte und Bekannte saßen im Gefängnis, wurden gefoltert – da relativiert sich manche Ungeheuerlichkeit der heimischen Politik. Doch tatsächlich, sagt einer, der sie seit langem kennt, "hat das Trommelfeuer Spuren hinterlassen".

Vassilakou: "Wer regiert, muss Handschlagqualität haben und darf nicht nach parteiinternen Kriterien agieren. Für diese Haltung zahle ich jetzt den Preis."
Foto: Matthias Cremer

Nicht dass "die Mary", wie sie bei den Grünen heißt, ein Kind von Traurigkeit geworden ist. Beliebt ist ihr guter Schmäh, der eine Runde schon einmal zum Erröten bringen kann, und die Leidenschaft, auch für Mitarbeiter anlassweise üppig aufzukochen. Für manches Naserümpfen im Rathaus sorgt zwar der Umstand, dass zu ihren Dienstaufträgen mitunter Handtaschltragen und Äußerlngehen mit Hund Rico gehören; doch in welchem Politiker steckt nicht ein bisschen eine Diva?

Gewachsen sei aber die Neigung, auf Kritik – und sei diese noch so wohlmeinend – gereizt zu regieren, heißt es. Vassilakou mache dann schnell "zu", erzählen Grüne: Es sei nicht zuletzt das fehlende Korrektiv, das sie in politische Sackgassen tappen lasse.

Showdown

Bei der grünen Landesversammlung am 25. November wird Vassilakou Kritik nicht abschmettern können, zu viele Indizien sprechen gegen sie. Bei der Nationalratswahl verloren die Grünen in Wien zwei Drittel der Stimmen; das ist nicht mehr als anderswo in Österreich, für eine Hochburg aber besonders desaströs. "Nach einer derart katastrophalen Niederlage sind personelle Konsequenzen ein normaler Vorgang", findet der Rebell Kolm.

Gegenwind bläst auch außerhalb der Partei. Im von APA und OGM erstellten Vertrauensranking der Landespolitiker liegt sie auf dem letzten Platz – keine gute Voraussetzung für den nahenden Überlebenskampf. Fallen die Grünen auch bei der für 2020 angesetzten Wien-Wahl durch, könnte ihre Geschichte österreichweit zu Ende sein, und Vassilakou selbst ahnt: Der Reiz, aus Angst vor einem blauen Bürgermeister taktisch SPÖ zu wählen, wird noch größer werden.

Vassilakou hütet sich, vor dem Showdown am Samstag mit Sesselkleberparolen zu provozieren. Natürlich stehe beim "Klärungsprozess" auch sie selbst infrage, sagt sie. Ob eine Kandidatur bei der Wien-Wahl überhaupt noch denkbar ist? Vassilakou wägt ab. Von ihr wisse man, was sie könne – von der Mariahilfer Straße bis zur "Rettung der Mindestsicherung" vor dem Kahlschlag. "Aber ich schleppe auch einen Rucksack mit. Und der wiegt schwer."

Rattenschwanz an Zores

Geht es nach Christoph Chorherr, dann wird sie ihr Binkerl noch eine Weile tragen. Mit einer Mehrheit für die Ablöse rechnet er nicht, zumal diese "einen Rattenschwanz an Zores" mit sich brächte. Dass sich eine kriselnde Partei die "Knochenarbeit der Neuerfindung" nicht einfach durch einen Wechsel der Spitze ersparen kann, habe die ÖVP jahrzehntelang bewiesen, sagt er, und niemand könne garantieren, dass die SPÖ die Koalition ohne Vassilakou fortsetze: "Gibt es jetzt Neuwahlen, kann das für uns fatal enden."

Der dieser Tage aus dem Amt scheidende Bezirksvorsteher Blimlinger fügt noch ein anderes Argument gegen einen jähen Köpfetausch an: Sicher, Vassilakou habe lange nicht ernst genug genommen, dass es in den grünen Reihen wachsenden Unmut gibt – "und wie in jeder Partei auch einige Verrückte". Aber ihr so schwieriges Planungs- und Verkehrsressort "hat sie sehr gut im Griff. Ich frage mich, welcher Nachfolger das aus dem Stegreif hinkriegt."

Auf Dauer jedoch, ergänzt Blimlinger, könne es natürlich nicht so weitergehen wie bisher: "Die Grünen brauchen eine Person an der Spitze, die sowohl innerparteilich akzeptiert ist als auch eine gute Außenwirkung hat." (Gerald John, 19.11.2017)