Zum Erfolg gehört für Wutscher auch das Scheitern – beispielsweise mit Kochabo.

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Zwei Millionen in zwei Sekunden, Politikeransprachen, Expertentalks. Das Thema Start-ups ist in. Doch der auf den Bereich spezialisierte Werner Wutscher warnt vor zuviel Eventcharakter. Derzeit werde "viel Lärm" um Gründer gemacht. Doch es werde sich erst zeigen, wer am Ende überlebt. Business-Angel Wutscher findet es zudem "verlogen", wenn die Branche nur ihre Erfolge auf großer Bühne präsentiert und die Fehlgriffe verschweigt. Die gesteht er bei eigenen Flops ein. In der Politik wünscht sich der frühere Generalsekretär im Landwirtschaftsministerium mehr Veränderung und weniger Inszenierung. Echte Reformen seien nur möglich, wenn die Länder voll eingebunden seien und Verantwortung übernehmen müssen.

STANDARD: Sie haben eine Entwicklung vom Beamten im Landwirtschaftsministerium zum Business-Angel genommen. Kulturschock schon überwunden?

Wutscher: Ich finde es spannend, dass viele von der Transformation der Wirtschaft reden, aber meistens auf ihrem Sessel hocken bleiben. Ich habe bei Wechseln immer am meisten gelernt.

STANDARD: Aber Beamtentum wird allgemein von der Flexibilität oder Kultur her anders wahrgenommen als die Start-up-Szene.

Wutscher: Das ist zum Teil ein Klischee. Im öffentlichen Dienst gibt es genauso viel Druck, und die meisten Beamten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren exzellent. Das System ist allerdings sehr träge. Man muss viel kicken, damit sich der Dinosaurier bewegt. Aber es geht.

STANDARD: Sie waren unter Schwarz-Blau Spitzenbeamter. Beeinflusst das Ihre Erwartungen an eine türkis-blaue Regierung?

Wutscher: Ich glaube der Schlüssel ist, dass man Reformen angeht. Damals ist irrsinnig viel passiert. Wichtig ist, dass sich die Politik mit Inhalten auseinandersetzt und nicht nur mit Public Relations. Ich habe ganz stark den Eindruck, dass es gar nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch um Überschriften. Die Diskussionen sind von Emotionen und Inszenierung geprägt.

STANDARD: Sie waren ab 2003 im Konvent, jetzt wird wieder eine Bundesstaatsreform angedacht. Damals scheiterte sie an den Ländern. Warum sollte es nun anders sein?

Wutscher: Man muss die Länder in die Regierung bringen. Sobald ein Landeshauptmann Verantwortung übernehmen muss, ändert sich das Spiel. Derzeit hat man das Spiel, dass die informelle Struktur wichtiger ist als die formelle. Das kann nicht gutgehen.

Fragt sich, was von den Ideen der Start-ups übrig bleiben wird: Werner Wutscher.
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STANDARD: Das heißt konkret?

Wutscher: Ich würde so weit gehen, ein Zweikammersystem zu überlegen. Dann könnten die Länder den Bundeskanzler stellen oder eine Rotation wie in der Schweiz einführen. Wenn die Landeshauptleute eingebunden sind, würde sich der Ton aus Innsbruck oder St. Pölten rasch ändern, weil sie dann in der Verantwortung wären.

STANDARD: Zu Ihrer aktuellen Funktion: Politiker und Shows schmücken sich mit Start-ups. Das Thema ist in aller Munde. Ist das ein bisschen ein Hype?

Wutscher: Wir haben einen Hype, bei dem ganz viele Leute zu dem Thema irgendetwas sagen. Da ist viel Event dabei, das ist auch ganz natürlich. In der Pubertät muss man ganz viel Lärm machen. Jetzt sind wir in der Phase, in der sich die Spreu vom Weizen trennt, in der wir erwachsen werden. Man wird dann sehen, aus welchen Ideen etwas herauskommt und wo nur Lärm gemacht wurde. Am Ende des Tages stellt sich die Frage, was übrig bleibt.

STANDARD: Was sollte in der Gründerszene besser gemacht werden?

Wutscher: Wir müssen ein anderes Modell aufziehen als dieses Silicon-Valley-Gewäsch, das alle nachbeten, weil das nicht zu unseren Strukturen passt. Im Unterschied zu Amerika haben wir in Europa noch eine funktionierende Industrieproduktion. In San Francisco ist das Modell einfach: Ich schaue, welchen Markt ich aufbrechen kann, investiere in 100 Start-ups, und eines von denen wird das neue Airbnb oder Uber. Ich bin dann Milliardär, und der Rest ist mir wurscht. Das passt nicht zu unserer Industrie.

STANDARD: Was sind die Alternativen?

Wutscher: Die Kooperation zwischen Start-ups und bestehenden Unternehmen, also der B2B-Bereich. Damit können wir Innovation in traditionelle Geschäftsmodelle hineinbringen. Es geht nicht um zwei Millionen in zwei Sekunden, sondern um Zusammenarbeit.

STANDARD: Wie gut sind da unsere Förderinstrumente?

Wutscher: Extrem spannend wäre, auf bestehende Cluster wie Umwelttechnologie oder Kfz aufzusetzen. Die Förderungen sind in der Frühphase exzellent. Da haben wir paradiesische Zustände. Das Bittere ist, dass die Ernte sehr oft im Ausland eingefahren wird: dass unsere Start-ups, wenn sie richtig Kohle machen, ins Ausland gehen. Wir müssen nicht alles in Österreich behalten. Aber es wäre schön, wenn wir solche Unternehmen zum Teil hier halten könnten. Das würde den Standort massiv stärken.

STANDARD: Warum Kooperation?

Wutscher: Etablierte Unternehmen haben ein großes Markt-Know-how und eine Vertriebsstruktur. Start-ups haben oft die Einstellung: Hier ist unsere Idee, und jetzt muss der Flieder vom Himmel fallen. Das funktioniert nicht. Besser als ein Investment ist oft eine Kooperation, insbesondere im Vertrieb samt Umsatzbeteiligung. Das passt oft gut, weil ein neues Produkt zu einem angestaubten Sortiment hinzukommt.

STANDARD: Wo steht Österreich da gerade?

Wutscher: Wir stehen da noch am Anfang. Es passieren auch noch viele Fehler. Zum Beispiel klingt die Accelerator-Diskussion international ab, während sie bei uns erst in Fahrt kommt. Dabei loben Unternehmen Programme aus, für die sich Start-ups bewerben können. Wenn mehrere Firmen das gemeinsam machen, ist das unserer Erfahrung nach fruchtbarer.

Es ist schon eine Weile her, als Kochabo von sich reden machte. 2012 präsentierten Wutscher (links) und Michael Ströck die Auslieferung von Zutaten durch das Portal.
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STANDARD: Welche Rolle spielen Sie mit Ihrer New Venture Scouting dabei?

Wutscher: Mein Job ist, ständig den Übersetzer zu spielen, weil sich Start-up und etablierte Unternehmen einfach nicht verstehen. Die kulturellen Unterschiede sind da zu groß.

STANDARD: Zum Beispiel?

Wutscher: Ein Start-up hatte bei einem großen Unternehmen um neun Uhr früh einen Termin in Klagenfurt. Die Gründer sind dort blau gesessen, in einem Zustand, der grenzwertig war. Wir sind dann draufgekommen, dass sie mit dem letzten Zug angekommen sind, kein Geld hatten und durchgemacht haben, obwohl das Unternehmen Reise und Übernachtung bezahlt hätte. Oft geht es mehr um Kultur als um Technologie.

STANDARD: Man hat fast den Eindruck, dass Geld im Start-up-Bereich derzeit gedruckt wird. Die Haselsteiners, Hansmanns oder Hausers dieser Welt überschütten Leute mit guten Ideen mit Geld.

Wutscher: Da muss man auch schauen, wie viel investiert wird. Die sind bereit, 50.000, vielleicht auch 300.000 Euro zu investieren. Wenn man für eine Markterschließung fünf Millionen braucht, dann fehlen in Österreich die Financiers, und dann wird die Ernte eben woanders eingefahren. Wir zählen nicht umsonst bei Private Equity zu den Schlusslichtern in Europa. Das Kapital wäre wichtig, um Unternehmen nachhaltig zu begleiten. Das wäre eines der großen wirtschaftspolitischen Themen.

STANDARD: Zum Thema Start-ups zählt auch das Scheitern. Wie stehen Sie dazu?

Wutscher: Ich finde es total verlogen, wenn alle behaupten, bei ihnen sei alles so toll. Ich habe kein Problem damit, Scheitern zuzugeben.

STANDARD: In welchen Fällen?

Wutscher: Kochabo beispielsweise befindet sich in der Sanierung, Meinkauf ist flöten gegangen. Das sind meine Lernbeispiele. Investments in Start-ups sind Hochrisikokapital und kein Sparbuch. (Andreas Schnauder, 18.11.2017)