Noch Anfang November wurden im Modine-Werk wegen der guten Auftragslage Überstunden geschoben und neue Mitarbeiter aufgenommen. Die Schließung des Werkes reißt auch in das Gemeindebudget ein tiefes Loch. Die Hoffnung liegt jetzt auf der schönen Natur.

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Kötschach-Mauthen – Bei Arnoldstein im Dreiländereck Italien-Slowenien-Kärnten geht's von der A2 runter auf die Gailtal-Straße und dann rein in den Blinddarm. Das bedeutet: 65 Kilometer auf der Landstraße entlang, vorbei an schneebezuckerten Gipfeln der Karnischen Alpen, herausgeputzten Höfen, kleinen Seen und unbewohnten Streckenabschnitten, ehe das Tal aufmacht und am Ende eine Ortstafel die Kärntner Marktgemeinde Kötschach-Mauthen ankündigt.

An der Ortseinfahrt liegt ein langgezogener, auf der einen Seite blitzblau gefärbelter Industrieflachbau mit der Aufschrift "Modine". "Ein breiter Weg hierher, was?", spielt Bürgermeister Walter Hartlieb auf die extreme Randlage seiner 3400-Einwohner-Gemeinde an – und hält kurz inne: "Ich steh' wie all die anderen im Ort noch immer unter Schock."

Letzte Aufträge

"Wie ein Blitzschlag" sei die Botschaft des US-Konzerns Modine in Kötschach-Mauthen eingefahren. "Praktisch von heute auf morgen" habe die Konzernleitung mitgeteilt, dass sie den Betrieb, in dem Wärmeaustauschkomponenten für Kühlgeräte produziert werden, zusperrt. 146 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele über 50, Ehepaare, junge Häuslbauer, stehen mit einem Schlag – jetzt vor Weihnachten – ohne Job da. Über Stiftungen und Sozialprogramme soll der finanzielle Absturz abgefedert werden.

"Wir müssen Überkapazitäten abbauen und die Produktionen konzentrieren. Dafür mussten wir jetzt allerdings leider auch das Werk im Gailtal schließen", ließ Modine-Vice Präsident Dennis Appel per Aussendung knapp wissen. Am Tag der Verkündigung der Schließung tauchten am Firmengelände Securitymänner auf. "Die Konzernleitung hatte wohl Angst, dass es zu Ausschreitungen kommt", erinnert sich Betriebsratsobmann Michael Gassmayer, "aber die haben wir gleich weggeschickt, das ist nicht unsere Kultur". Die letzten Aufträge werden noch abgearbeitet, Mitte November ist Schluss.

"Wir werden erst dann wirklich realisieren, dass alles vorbei ist, wenn wir zum letzten Mal die Halle verlassen", sagt Gassmayer. Manche hätten seit 40 Jahren hier gearbeitet. Im Schnitt verdienten Arbeiter und Angestellte hier pro Monat 2482 Euro – brutto.

Mehrere Eigentümerwechsel

Begonnen hat die Firmengeschichte als Familienbetrieb. Das Unternehmen wurde schließlich an ein italienisch-holländisches Bankenkonsortium verhökert, dann übernahm der finnische Konzern Luvata, hinter dem Fondsgesellschaften standen. Im Dezember 2016 kaufte der in Racine im Bundesstaat Wisconsin ansässige Konzern Modine das ganze Industrieunternehmen, zu dem neben dem Werk in Kötschach-Mauthen mittlerweile unter anderem auch Werke in Italien und Serbien gehörten.

Kötschach-Mauthen war aber nur eine Produktionsstätte, die vom Headquarter von Italien aus gesteuert wurde. Die Auftragslage sei heuer besser als all die Jahre zuvor gewesen, sagt Gassmayer. Überstunden wurden benötigt, Nachtschichten geschoben und noch Anfang November neue Leute aufgenommen. Hier sei einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen, "Heuschreckenkonzerne halt", raunt man im Ort.

"Weil's so gut gelaufen ist, habe ich mich endlich drübergetraut und einen Kredit für den Hausausbau aufgenommen – 120.000 Euro. Ich bin Vater geworden. Keine Ahnung, wie's jetzt weitergehen soll", sagt ein junger Arbeiter, der ängstlich um Anonymität bittet.

Eine Mitarbeiterin um die 40 steht vor einer ähnlichen Situation: "Wir haben voriges Jahr ein Haus gekauft und einen Kredit aufgenommen, weil ein Kind im Anmarsch ist. Nach der Karenz wollte ich hier weiterarbeiten." "Natürlich werden wir den Menschen bei ihren finanziellen Problemen helfen, soweit es geht", sagt SPÖ-Bürgermeister Hartlieb, der hauptberuflich die örtliche Raiffeisenbank leitet.

Fehlende Kommunalsteuer

Auch die Gemeinde sei durch den Ausfall der Kommunalsteuer schwer getroffen: 130.000 Euro sind weg – bei einem Budget von sieben Millionen Euro. Es sei für die gesamte, von der Land-und Forstwirtschaft und dem Tourismus geprägte Region "eine Katastrophe", sagt Bürgermeister Hartlieb, zumal dieser Landstrich kaum Jobs biete. "Der einzige Ausweg ist auspendeln." Nach Lienz sind es 35 Kilometer, nach Villach 80 – sofern es dort Arbeit gibt.

Die Schließung des Modine-Werks ist jedenfalls ein Brandbeschleuniger für die dramatische Entwicklung des regionalen Raumes hier in dieser Kärntner Ecke. Wie in ähnlichen exponierten Gebieten Europas droht eine weitere Entvölkerung.

Hohe Abwanderung

Michael Steiner, Spezialist für regionale Wirtschaftsentwicklung am Institut für Volkswirtschaft an der Universität Graz, sieht konkret zwei schwere Probleme auf diesem Kärntner Randbezirk um Kötschach-Mauthen lasten: das im Landesdurchschnitt geringere Einkommen – dieses liegt gut zehn Prozent unter dem Landesschnitt – sowie die hohe Abwanderungstendenz. Bis 2030 werden laut Prognosen, sagt Steiner, neun Prozent der Bevölkerung aus dem Bezirk abwandern. Zurück bleiben meist ältere Menschen – die zum Teil jetzt im einzigen lukrativen Betrieb ihren Job verloren haben.

"Die Frage ist: Was wird nachfolgen, und hier schaut es eher düster aus – denn so wie früher, dass man sich um eine neue Industrieansiedelung umschauen kann, funktioniert das nicht mehr. Die Ungleichheiten zwischen den Regionen werden sich verstärken – europaweit, aber auch innerstaatlich, auch innerhalb der Kärntner Bezirke," sagt Steiner.

Eine Chance aber lebe: Die Region könne durch ihre schöne, gesunde Naturlandschaft und günstigen Lebensbedingungen positiv aufgeladen werden. Das könne sich letztlich zu einem positiven Standortfaktor für junge, innovative Unternehmen entwickeln. (Walter Müller, 18.11.2017)