Für den niederösterreichischen Altlandeshauptmann ist es wichtig, dass die neue Regierung sowohl national als auch international akzeptiert wird.

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Erwin Pröll: "Ich glaube, dass es legitim ist, die Sozialpartnerschaft ob ihrer Funktionsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit zu hinterfragen."

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Pröll warnt davor, "aus vordergründigen Modernismen etwas über Bord zu werfen, von dem man nicht weiß, ob es eine bessere Alternative dafür gibt".

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"Vor mir hat sich nie ein Bundesparteichef gefürchtet. Warum sollte er auch?" Erwin Pröll ist zwar nicht mehr Landeshauptmann von Niederösterreich, ganz so uneinflussreich ist er aber auch jetzt nicht.

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STANDARD: Es waren noch nie so viele Burschenschafter im Parlament, und sie werden voraussichtlich auch in der Regierung vertreten sein. Bereitet Ihnen das Sorge?

Pröll: Es erfordert höchste Achtsamkeit. Und es wird deutlich: Der Bundespräsident hat bei dieser Regierungsbildung eine große Aufgabe und Verantwortung. Es ist wichtig, dass hier eine Regierungskonstellation zustande kommt, die sowohl national als auch international akzeptiert und respektiert wird.

STANDARD: Meinen Sie, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen hier möglicherweise wird eingreifen müssen?

Pröll: Jemand, der dieses Amt innehat, weiß, dass es da nicht nur Spaziergänge gibt.

STANDARD: Dass Innen- und Außenministerium in blaue Hand kommen könnten, wird Van der Bellen nicht sehr behagen.

Pröll: Der Bundespräsident ist erfahren genug, dass er nicht gleich beim ersten Windchen einen kalten Schauer bekommt.

STANDARD: Den Sozialpartnern läuft bereits der Schauer über den Rücken. Mit der neuen Regierung steht ihre Rolle zur Diskussion. Wie wichtig sind die Sozialpartner noch? Ist es angebracht, deren Einfluss zurückzudrängen?

Pröll: Die Sozialpartnerschaft hat sich insbesondere zu Beginn der Zweiten Republik unglaubliche Verdienste erworben. Das war eine andere Ausgangssituation. Ich glaube, dass es legitim ist, die Sozialpartnerschaft ob ihrer Funktionsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit zu hinterfragen. Es wäre aber nicht gut, ein Instrument, das Ausgleich schaffen kann, von vornherein zu verteufeln. Noch dazu in einer Zeit, die zunehmend konfliktträchtig wird. Es gibt Reformbedarf, das ist keine Frage, aber es ist von unglaublichem Wert in dieser Republik, dieses Instrument des Ausgleichs zu haben.

STANDARD: Könnten die Sozialpartner ihrer Aufgabe auch nachkommen, wenn sie weniger finanzielle Mittel zur Verfügung hätten, wenn etwa die Beiträge gekürzt werden?

Pröll: Jedes Instrument kann auf Dauer nur existieren, wenn es auch materielle Grundlagen dafür hat. Ob die jetzt ausreichen oder nicht, muss man im Detail beurteilen. Ich warne aber davor, aus vordergründigen Modernismen etwas über Bord zu werfen, von dem man nicht weiß, ob es eine bessere Alternative dafür gibt.

STANDARD: Altbundespräsident Heinz Fischer sorgt sich um die repräsentative Demokratie. Teilen Sie diese Sorge?

Pröll: Auch hier sollte man sehr behutsam an den Rädern drehen. Die repräsentative Demokratie kommt nicht von ungefähr. Die Verfassungsgeber haben sich etwas dabei gedacht. Die direkte Demokratie kann einen Schritt nach vorne tun, aber das darf nicht dazu führen, dass die repräsentative Demokratie ad absurdum geführt wird.

STANDARD: Die FPÖ fordert einen massiven Ausbau der direkten Demokratie, die ÖVP geht auch in diese Richtung, bremst allerdings bei der Zahl der Unterschriften, ab wann eine Volksabstimmung eingesetzt werden soll.

Pröll: Ich traue denjenigen, die jetzt die Zusammensetzung der neuen Regierung verhandeln, zu, dass sie mit notwendiger Sensibilität auch in dieser Frage vorgehen. Alle Exponenten auf beiden Seiten wissen genau, wie viel auf dem Spiel steht. Ich wüsste im Augenblick niemanden zu benennen, der extreme Haken schlägt, um Sinnvolles kaputtzumachen.

STANDARD: Die schwarzen Landeschefs haben sich immer wieder an der Bundespartei gerieben und sich so zu profilieren versucht. Derzeit sind alle recht diszipliniert. Das ist auffallend, oder?

Pröll: Die Landeschefs fahren immer gut damit, wenn sie auf ihr eigenes Land schauen, gleichzeitig aber auch das größere Ganze mit im Kalkül haben. Das ist wie ein kommunizierendes Gefäß: Wenn es in der Republik gutgeht, sind auch die Chancen für ein Bundesland größer. Umgekehrt genauso. Diese Balance darf man nicht verlieren.

STANDARD: Vor Ihnen hat sich noch jeder Bundesparteichef gefürchtet.

Pröll: Das behaupten Sie.

STANDARD: Mittlerweile ist es umgekehrt, jetzt müssen sich die Länderchefs vor dem Bundesobmann fürchten, der sich weitgehende Befugnisse und Durchgriffsrechte ausbedungen hat, um ihren Einfluss zurückzudrängen.

Pröll: Vor mir hat sich nie ein Bundesparteichef gefürchtet. Warum sollte er auch? Und ich hoffe doch, dass sich die schwarzen Landesparteichefs jetzt nicht vor einem ÖVP-Bundeskanzler fürchten müssen. Das Miteinander ist die tragfähige Plattform.

STANDARD: Wie geht es Ihnen mit ihrem persönlichen Machtverlust seit dem Zurücklegen Ihres Amtes?

Pröll: Mit geht es sehr, sehr gut. Ich genieße es, nach 40 Jahren nicht mehr unter dem Diktat des Terminkalenders leben zu müssen. Das Schöne ist: Jemand, der mir jetzt begegnet und mich anspricht, bei dem weiß ich, das ist ehrlich. Denn von mir kann man nichts mehr haben. Das war im Amt nicht selbstverständlich. Dort und da hast du im Hinterkopf gehabt: Braucht der was von mir? Will der was? Das ist jetzt anders.

STANDARD: Aber so uneinflussreich sind Sie ja auch jetzt nicht, oder?

Pröll: Natürlich kommen immer wieder Interventionen an mich heran, das ist ja keine Frage. Aber jeder, der an mich mit einem derartigen Ansinnen herantritt, muss wissen: In letzter Konsequenz kann ich dann nicht mehr entscheiden. Und das ist schon ein gravierender Unterschied.

STANDARD: Anderen Persönlichkeiten, etwa Michael Häupl, fällt es offenbar nicht so leicht, loszulassen. Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich zu verabschieden?

Pröll: Das ist individuell zu beurteilen. Ich kann nur für mich sprechen, Michael Häupl braucht von mir keinen Rat, aber: Entscheidend ist, dass man für sich selbst früh genug plant.

STANDARD: Bei Peter Pilz musste es ganz rasch gehen: aus eigenem Fehlverhalten und aufgrund der Dynamik im Zuge der #MeToo-Debatte. Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Debatte?

Pröll: Da gibt es für mich eine ganz einfache Leitlinie: Dort, wo gegenseitiger Respekt vorhanden ist, dort ist auch ein natürlicher Umgang, geprägt von Sensibilität und Wertschätzung zwischen den Geschlechtern, an der Tagesordnung. Dann gibt es auch keine entsprechenden Auswüchse.

STANDARD: Sie kommen aus einer Generation, in der das Geschlechterbild noch ein anderes war. Müssen Männer Ihres Alters umlernen?

Pröll: Respektvoller Umgang von Menschen ist keine Generationenfrage. In meinem Elternhaus und in unserem bäuerlichen Betrieb wurde immer sehr respektvoll miteinander umgegangen.

STANDARD: Haben Sie sich überlegt, ob Sie selbst vielleicht einmal eine Grenze überschritten haben?

Pröll: Ich habe immer mit sehr selbstbewussten Frauen zusammengearbeitet. Da gab es keine Zwischentöne.

STANDARD: Sie selbst sind mit Gerüchten über Ihr Privatleben konfrontiert gewesen, die vor allem im Internet stark verbreitet wurden. Wie geht man damit um?

Pröll: Es ist ja nicht so, dass die Medien nicht recherchiert hätten. Ich gehe davon aus, dass sogar sehr genau recherchiert wurde. Das Ergebnis war, da ist nichts dran. Daraus haben die Medien den Schluss gezogen, nicht zu berichten. Das ist eine sehr positive Seite. Mir persönlich hat das Ganze unglaubliche Zurückhaltung abverlangt. Ich war einige Male knapp daran, von mir aus in die Offensive zu gehen. Aber meine Umgebung hat mir dringend abgeraten. Mit einer derartigen Kampagne konfrontiert zu sein und nicht Stellung nehmen zu dürfen, weil das dann noch mehr Thema wird, ist schon schwierig.

STANDARD: Bei Ihrer Stiftung waren Sie nicht so zurückhaltend. Damals hieß es, der "Falter" verbreite Fake-News ...

Pröll: Das habe ich nicht gesagt ...

STANDARD: ... aber Ihr Landesparteigeschäftsführer – und der natürlich in Abstimmung mit Ihnen. Ist das nicht ein massiver Vorwurf gerade in Zeiten von Donald Trump?

Pröll: Das will ich nicht beurteilen, aber wie Sie wissen, gab es dazu einen gerichtlichen Vergleich.

STANDARD: Die Landes-ÖVP musste den Vorwurf der Fake-News widerrufen.

Pröll: Und der Falter stellte klar, dass ich mir privat zu meinem 60er kein Geld schenken ließ, sondern es jedem freistand, an die Stiftung zu spenden.

STANDARD: War der Fake-News-Vorwurf in Ordnung?

Pröll: Das wurde mit dem Vergleich aus der Welt geschafft. Außerdem hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht einmal einen Anfangsverdacht festgestellt. Einen besseren Beweis, dass hier nichts angestellt wurde, gibt es ja gar nicht.

STANDARD: Es gab ja nie den Vorwurf, hier wurde Geld veruntreut. Sehr wohl wurde Ihnen mangelnde Transparenz vorgeworfen.

Pröll: Die Regierungsbeschlüsse wurden alle ganz korrekt gefasst ...

STANDARD: ... im Rahmen eines größeren Budgetpostens, aus dem der Landtag die Zuwendungen für Ihre Stiftung nicht herauslesen konnte.

Pröll: Für jede einzelne Zuwendung gab es einen eigenen Regierungsbeschluss. Aber das ist ohnehin vergossene Milch. Die Stiftung ist in Auflösung, und damit ist die Geschichte erledigt.

STANDARD: War eine solche Konstruktion im Rückblick klug?

Pröll: Heute bin ich natürlich gescheiter. Die Vorgangsweise war korrekt, aber die Sicht auf solche Stiftungen hat sich geändert.

STANDARD: Haben Sie sich mit der Farbe Türkis schon angefreundet?

Pröll: Meine türkisen Bürosessel habe ich bei meinem Amtsantritt als Landeshauptmann bekommen.

STANDARD: Ist Niederösterreich noch schwarz oder schon türkis?

Pröll: Niederösterreich ist gelb-blau. (Karin Riss, Michael Völker, 19.11.2017)