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In ihren Heimatländern haben sie vielleicht von höherer Bildung geträumt. Ob sich dies in dem Land, das sie aufnimmt, erfüllen lässt, ist für Flüchtlingskinder oft ungewiss.

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Karoline Iber (Kinderbüro Uni Wien).

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Eva Vetter (Uni Wien).

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Daniela Marzoch (Kinderbüro Uni Wien).

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Polytechnische Schule – ich hab gedacht, die dauert vier Jahre und danach kann ich studieren", sagt Yasin (16). Vor drei Jahren ist er von Syrien nach Österreich gekommen. Schon als Kind wollte er Arzt werden. An dem Wunsch habe sich durch die Flucht nichts geändert, sagt er. Die Chancen, später auch Medizin studieren zu können, aber schon. Die Mittelschule hat er mit einem guten Notendurchschnitt abgeschlossen, nur in Deutsch bekam er ein Genügend. Ein Platz an einer AHS war damit nicht zu finden. So begann er eine Kochlehre. Mittlerweile besucht er die fünfte Klasse an einem Gymnasium in 21. Bezirk in Wien. Geholfen hat der Uniclub der Uni Wien.

"Ob Jugendliche einen Schulplatz in der Oberstufe finden, wird in Österreich vom Prinzip Zufall bestimmt", sagt Daniela Marzoch, Projektkoordinatorin des Uniclubs. Seit zwei Jahren kümmert sich der Club als Teil des Kinderbüros der Universität Wien um Jugendliche mit Fluchterfahrung. Am Beginn lag der Fokus bei geflüchteten Jugendlichen, die älter als 15 Jahre waren und damit das schulpflichtige Alter schon hinter sich hatten, mittlerweile konzentrieren sich die Bemühungen verstärkt auf Jugendliche, die in der achten Schulstufe erfolgreich sind, aber automatisch in Richtung Polytechnischer Lehrgang und Lehre vermittelt werden.

Pflichtschulabschluss soll reichen

"Wir haben hier das Problem, dass man Jugendlichen mit Fluchterfahrung offensichtlich nur den Pflichtschulabschluss zutraut", sagt Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros. Aber viele dieser Jugendlichen wollten auch studieren, wollten Matura machen und wollen das trotz veränderter Lebensbedingungen weiterhin. "Die Frage ist: Was trauen wir ihnen zu, und welche zusätzliche Hürden schaffen wir?" Als Beispiel einer solchen Hürde nennt sie zusätzliche Fremdsprachen, die für die Matura Voraussetzung sind. "Viele können Arabisch, Türkisch, Englisch, lernen gerade Deutsch und müssen, um an einem Gymnasium maturieren zu können, noch weitere Fremdsprachen lernen."

Auch von den Jugendlichen kommen diese Einwände. Dabei geht es nicht darum, dass sie nicht weitere Fremdsprachen lernen wollen, sondern viel mehr darum, dass sie neben dem Sprachenlernen noch vieles andere aufzuholen haben. "Man hat schon den Eindruck, als müsste man eine Ausnahmeerscheinung sein, wenn man mit Fluchterfahrung in diesem System reüssieren will", sagt Eva Vetter, Vizeleiterin des Zentrums für Lehrerbildung und Vizeleiterin der Sprachlehr- und -lernforschung an der Universität Wien.

Nicht nur Deutsch lernen

Esra hat das geschafft. Sie kam vor zwei Jahren aus Syrien nach Österreich, startete ihre Bildungslaufbahn im Polytechnischen Lehrgang und wechselte während des Schuljahrs in eine sogenannte Übergangsstufe. Dieses Bildungsangebot richtet sich an jugendliche Flüchtlinge mit geringen Deutschkenntnissen, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, aber aufgrund ihrer bisherigen Bildungslaufbahn Voraussetzungen für das mittlere bzw. höhere Schulsystem in Österreich mitbringen. Nach einem Semester in der Übergangsklasse folgte die Regelklasse an einer AHS in Wien. Auch hier hatte sie noch zusätzlichen Deutschunterricht, versäumte während dieser Zeiten den Unterricht der restlichen Klasse. Mehr Deutschunterricht außerhalb des Regelunterrichts hätte ihr besser gefallen.

Nur Deutsch zu lernen sei für Jugendliche häufig zu wenig. "Die Jugendlichen sind kognitiv auf einem ganz anderen Level und werden dann durch dieses 'Ich-muss-einmal-durch-Deutsch' blockiert", sagt Vetter. Da entstehe schon viel an Demotivation. Denn auch wenn sie in Deutsch noch nicht so sattelfest seien, würden sich Jugendliche gerne in andere Dinge vertiefen können.

Neue Sprachen zu lernen fällt Jasmin (15) aus Syrien leicht, auch sie wäre lieber in der Klasse geblieben als den Extradeutschkurs zu besuchen. Vor zwei Jahren kam sie nach Österreich und besucht jetzt die fünfte Klasse an einer AHS. Die Schule sei in Österreich leichter als in Syrien, sagt sie, vor allem Mathematik und Englisch. Fatih (18) kam ebenfalls vor zwei Jahren aus Syrien, derzeit besucht er die siebente Klasse einer AHS. Fünf Monate dauerte es, bis er einen Platz an einer AHS bekam. "Der Anfang war echt schwer, aber meine Freunde haben mir geholfen. Ich bin direkt in die sechste Klasse gekommen. Es war schwer, dem Unterricht zu folgen, wenn man kein Deutsch kann." Er nutzte die Sommerferien, um Deutsch zu lernen. In seiner vorwissenschaftlichen Arbeit widmet er sich dem Vergleich der Schulsysteme. Auch für ihn ist die Schule in Österreich einfacher als in Syrien. "Schwieriger ist es lediglich, bis halb sechs in der Schule zu bleiben." In Syrien sei bereits um zwei am Nachmittag Schluss, sagt er.

Ein ruhiger Ort zum Lernen

Zwei Mal in der Woche treffen sich die Jugendlichen im Uniclub und können mit angehenden Lehrerinnen und Lehrern Hausaufgaben machen und sich auch beraten lassen. "Häufig ist das der einzige Ort, an dem sie in Ruhe lernen können", sagt Marzoch. Die jeweilige Fluchtgeschichte sei hier kein Thema. "Hier sind sie zuerst einmal Jugendliche." Dass sie nicht anders behandelt werden wollen als ihre Mitschüler, ist den Jugendlichen ganz besonders wichtig und für Lehrer eine Herausforderung.

"Die Lehrer wollen ja, dass sich die geflüchteten Jugendlichen angenommen fühlen", sagt Vetter. Häufig versuchten Lehrer daher, die jeweiligen Fluchtgeschichten aufzuarbeiten. "Aber das Klassenzimmer ist kein Therapieraum und Lehrer sind keine Psychologen", sagt Vetter. Das seien Themen, die an die entsprechenden Stellen weitergegeben werden müssten, um dementsprechende Unterstützung anzufordern.

Durch die Flüchtlingsbewegung sei das Schulsystem nicht mit neuen Themen konfrontiert, sie wirke aber wie eine Linse, und man müsse nun genauer hinschauen, sagt sie. Mehr Möglichkeiten zum Austausch wären dabei hilfreich. "Lehrer haben sich zwar intensiv mit dem Thema befasst, sie sind aber erstaunlich wenig untereinander vernetzt", sagt Vetter. "Vielleicht auch, weil sie wenig Zeit und Gelegenheit zum Austausch haben." Supervision für Lehrer gibt es nicht, obwohl nicht nur der Umgang mit Flüchtlingen in der Schule fordernd sei. (Gudrun Ostermann, 20.11.2017)