Türkische Nationalisten gingen gegen die Nato auf die Straße, hier ein Bild aus Ankara.

Foto: AFP ADEM ALTAN

Ankara/Athen – Wenn Wladimir Putin einen Keil in die Nato treiben will, dann war genau das der richtige Angriffspunkt: der ewig vergrämte Nato-Partner Türkei und sein dünnhäutig-autoritärer Staatschef. Zwar gibt es nach dem Eklat vom vergangenen Freitag mit einem Atatürk- und Erdogan-Feindbild bei einem Nato-Manöver in Norwegen keinen Hinweis auf eine russische Orchestrierung. Dennoch läuft alles nach Wunsch für Putin. Die türkische Führung in Ankara hat aus dem Vorfall eine Staatsaffäre gemacht.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg entschuldigte sich Samstagabend zum dritten Mal in 36 Stunden. Dieses Mal nicht mehr nur über eine öffentliche Erklärung und ein Schreiben an Erdogan, sondern mit einem Telefonanruf beim Präsidenten. Der türkische Staatschef hatte zu diesem Zeitpunkt bereits in einer live übertragenen Rede vor Parteimitgliedern die Krise noch verschärft. Mit einer einfachen Entschuldigung sei es nicht getan, polterte Erdogan. Die 40 türkischen Soldaten, die an der Übung in Norwegen teilnahmen, waren schon am Freitag zurückbeordert worden.

Wut auf Allianz

Doch die Wut über die Allianz sitzt tiefer. Auf der Höhe der Bedrohungen der türkischen Grenzregion durch den Krieg in Syrien hätte die Nato ihre Raketenabwehrsysteme wieder abgezogen, klagte Erdogan. Im gleichen Atemzug verteidigte er die geplante Anschaffung des hochmodernen russischen Abwehrsystems S-400. Die sogenannten Bündnispartner, so beschweren sich Regierungspolitiker immer wieder, seien nicht bereit, ihre Technologie mit der Türkei zu teilen. Also kauft Ankara eben bei den Russen.

Der Vorfall im Joint Warfare Center der Nato, einem Trainingszentrum der Allianz im norwegischen Stavanger, scheint mittlerweile aufgeklärt. Ein türkischstämmiger norwegischer Offizier soll während der computergestützten Übung Trident Javelin das Feindbild mit dem Porträt des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk platziert haben, dazu noch versehen mit dem Namen des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Derselbe Offizier hat demnach auch ein Twitterkonto mit dem Namen RTErdogan eröffnet. Dort setzte er falsche Nachrichten über angebliche Entscheidungen Erdogans gegen die Nato in die Welt, was türkischen Militärs rasch auffiel. Türkische Medien behaupteten am Wochenende, der Offizier stehe der kurdischen Untergrundarmee PKK nahe. Er wurde jedenfalls noch am Freitag von seinen Vorgesetzten in der norwegischen Armee aus dem Übungszentrum entfernt.

Aufruf zu Demonstrationen

Die Empörung in der Türkei ist aber enorm. Die regierungstreue Presse rief auf ihren Titelseiten zum Ausstieg aus der Nato auf. Nationalistisch gesonnene Türken – ohnehin die breite Mehrheit im Land – folgten dem Aufruf der kleinen Vaterlandspartei zu zeitgleichen Straßendemonstrationen in Istanbul, Ankara und Izmir. Die Stimmung dafür war bereit.

65 Jahre nach dem Nato-Beitritt sehen viele Türken keinen Nutzen mehr in der Mitgliedschaft. Ganz im Gegenteil. Die Nato bringt nur Probleme und Unruhe, so hört man sogleich im Gespräch auf der Straße. Die USA insbesondere, so heißt es, nützen das Bündnis, um ihre Machtpläne in der Region von Militärbasen in der Türkei aus durchzuführen und um die aufstrebende Türkei zu schwächen. Dass die Terrormiliz "Islamischer Staat" eine Erfindung der Amerikaner ist und die USA auch gemeinsame Sache mit der PKK gegen die Türkei machen, halten viele für erwiesen. Der "eurasische Flügel" im Präsidentenpalast in Ankara, der eine Allianz mit Russland und China das Wort redet und den Westen abschreibt, hat in den vergangenen zwei Jahren auch erkennbar an Gewicht gewonnen.

72 Prozent der Türken fühlen sich durch den Bündnispartner USA bedroht, so ergab die jährliche Umfrage des Forschungsinstituts Pew im vergangenen Sommer. Anders als Erdogan gab der türkische Armeechef nach dem Vorfall in Norwegen aber ein Bekenntnis zur Nato ab. Niemandem werde erlaubt, "unser Bündnis" zu sabotieren, sagte Hulusi Akar.(Markus Bernath, 19.11.2017)