Franz Solar (links) als Menuchim und Florian Köhler als dessen Vater Mendel Singer. Später tauschen die beiden Schauspieler die Rollen.

Foto: Lupi Spuma/Schaupielhaus Graz

Graz – Die Geschichte hat alles, was eine spannende Geschichte braucht: Der von Grund auf fromme Jude und Lehrer Mendel Singer, den Joseph Roth im Roman Hiob 1930 in ein russisches Schtetl hineinschrieb, wo er mit seiner Frau vier Kinder aufzieht, wird vom Leben hart geprüft. Er verliert seine Kinder an den Zaren, an Onkel Sam und an den Wahnsinn. Seinen Liebling, den kränklichen Menuchim, muss er zurücklassen, seine Frau stirbt vor Schmerz, während er als Migrant, der nie richtig in der Neuen Welt ankam, einsam weiterleben muss – nicht mehr hoffend, als am Ende doch ein Wunder über ihn kommt.

Koen Tachelets vielbejubelte Bühnenfassung von Roths Roman, die vor über acht Jahren an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, feierte auch am Graz Schauspielhaus Premiere. Der junge ungarische Regisseur András Dömötör scheint aber nur einen etwas zu unentschiedenen Umgang mit dem Stück gefunden zu haben.

Dabei gibt es poetische Zugänge, die auch im Bühnenbild von Eszter Kálmán manifest werden. Es wird eigentlich nie Tag im Leben der Familie: Ein Gutteil der ersten Hälfte spielt unter dem weiten, schwarzen russischen Himmel, aus dem die Sterne als Glühbirnen über der bescheidenen Hütte – hier ist sie ein Zelt – herabbaumeln. Alle sind streng schwarz-weiß gekleidet, die gesunden Kinder, die von Raphael Muff, Tamara Semzov und Ferdinand Seebacher durch alle ihre Lebensphasen hindurch überzeugend gespielt werden, ebenso wie die Mutter, die Susanne Konstanze Weber wunderbar hart aber herzlich anlegt.

Sorgenkind Menuchim wird hier zuerst von Franz Solar gespielt, der deutlich jüngere Florian Köhler spielt seinen Vater, Mendel. Erst nachdem die Familie ohne Menuchim im grellen, dampfenden, schreienden New York ankommt, wechseln die beiden Schauspieler eindrucksvoll im Zuge einer Ohnmacht Mendels ihre Rollen. Dies schaffen sie ohne Bruch in der Figur – außer jenen, den Mendel ohnehin durch die Entfremdung im Exil erfährt, durch seine innere Immigration.

Doch leider nimmt die Inszenierung auch genau ab der Ankunft in Amerika ein holpriges Tempo auf, das bittere Momente, wie den Abschied vom kranken Kind, vergessen lässt. Die Stimmung wird karnevalesk. Aus den Fenstern einer Hochhausfassade wird die Geschichte atemlos in popartigen Tele-Trash-Bildern weitererzählt.

Petticoats, Weltraumanzüge

Die Frauen tragen Kleider (ebenfalls von Eszter Kálmán), die mehr an die Petticoats der 1950er-Jahre als an die Zeit des Ersten Weltkrieges erinnern, der von Schemarjah zu Sam verwandelte Sohn muss – warum auch immer – in einem zuckerlrosafarbenen Anzug umherstapfen. Videoeinspielungen der Dialoge vor comichaften Hintergründen töten die feinen Zwischentöne. Man hätte auch weniger plakativ begriffen, dass das Schtetl und New York zwei Welten sind. Etwa durch den vergleichsweise dezenten, witzigen Auftritt des Amerikaners Mac (Fredrik Jan Hofmann) in der alten Heimat im Weltraumanzug.

Am Ende, als das gute Leben und damit für Mendel Singer Gottes Gerechtigkeit in der Gestalt Menuchims zurückkehren, bleibt es um ihn herum trotzdem irgendwie dunkel. Nächster Termin 21. 11. (Colette M. Schmidt, 20.11.2017)