Was tun mit der Asche der Altvorderen: Michikazu Matsune.


Foto: Elsa Okazaki

Wien – Wenn ihre Eltern sterben, ist das für Kinder, unabhängig von deren Alter, meist eine traumatische Erfahrung. Denn diesen Todesfällen haftet eine zutiefst emotionalisierende Symbolik an. Einerseits als Memento mori, eine Erinnerung an die eigene Endlichkeit. Zum anderen rufen sie oft die Einsamkeit des Individuums in seiner sozialen Umgebung ins Bewusstsein.

Der Wiener Künstler, Performer und Choreograf Michikazu Matsune (44) hat 2016 beide Elternteile innerhalb desselben Jahres verloren. In seinem neuen Solo For Now, das gerade beim unterwegs-Programm des Brut im Hamakom Theater zu sehen war, verarbeitet er diese Erfahrung mit der ihm eigenen sensiblen Subversion und unsentimentalen Souveränität.

In For Now geht es weniger um Matsunes persönliche Traumabewältigung, sondern allgemein um die Traurigkeit des in die Kälte von Gesellschaften geworfenen Individuums. Daher wird das Publikum freundlich begrüßt, an die Luftigkeit des Lebensatems erinnert und mit ein wenig performativer Magie in den großen Wunschraum des Teilens geführt.

Dafür braucht Michikazu Matsune nicht viel mehr als seinen Körper und ein Publikum, das ihn von zwei einander gegenüberliegenden Seiten der Bühne beobachtet. Dazu kommen etwas Musik und Licht, Holzbrettchen, auf die Wörter geschrieben sind, ein paar Geschichten, etliche Objekte sowie etwas Obst und Gemüse.

Mit den kurzen Erzählungen vergegenwärtigt er seine Eltern, das Unheimliche der Trennung und die Brutalität, die einem Leben widerfahren kann. Die Brettchen arrangiert Matsune zu einem Feld aus zehn handlungsphilosophischen Begriffspaaren wie "divide-unite", "think-rethink" oder "resist-insist", aus dem heraus er Objekte an das Publikum verteilt, die mit Anmerkungen und Handlungsanweisungen verbunden sind: ein Opernglas, ein kleines Spielwerk, das Edith Piafs La vie en rose klimpert, ein Stein mit einem Schild, auf dem "Imagine" steht.

Den einfachen Anweisungen folgend, winken die Zuschauer einander zu, wechseln Plätze oder machen Fotos mit kleiner Kamera. So entstehen kurze Momente unverbindlicher Zuwendung unter den Besuchern, bevor Matsune wieder übernimmt und das Begriffsfeld durch Obst und Gemüse ersetzt. Durch das Früchtefeld lässt er eine Ananas fliegen und lädt dazu ein, sich etwas zu wünschen.

Daraus wiederum wächst die Anekdote darüber, wie sich seine Eltern das Verstreuen ihrer Asche vorstellten: die Mutter wollte an schöne Plätze, der Vater habe nur gesagt: "Werft mich einfach weg." In Matsunes Geburtsland Japan ist das Verstreuen der Asche und so das Sichvereinen mit der Natur erlaubt, in seiner Wahlheimat Österreich dagegen immer noch verboten.

Die ruhige, berührende Atmosphäre und die konzentrierte Dramaturgie von For Now machen die Brillanz des intelligenten Stücks aus. Das Publikum reagierte begeistert. Wer mehr von Matsune erleben will, kann bald Performances mit ihm und unter anderen Barbara Kraus, Andrea Maurer oder Frans Poelstra zu sich nach Hause bestellen. Die sind Teil des Homesick Festivals Vienna, das der Künstler von 31. November bis 17. Dezember veranstaltet. (Helmut Ploebst, 19.11.2017)