Hass im Netz ist kein individuelles Problem für die Betroffenen, sondern ein gesellschaftliches, sagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

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Anfeindungen im Netz beeinflussen nicht nur das psychische Wohlbefinden, sondern auch die Meinungsfreiheit. Zu diesem Schluss kommt eine von Amnesty International in Auftrag gegebene Umfrage. "Das Internet kann für Frauen ein bedrohlicher Ort sein", so Azmina Dhrodia, Expertin für Neue Technologien und Menschenrechte bei Amnesty International in einer Aussendung der NGO.

Dass Hass in sozialen Medien floriere, sei keine neue Erkenntnis. Die Umfrage unter Betroffenen zeige nun aber, wie einschneidend die Folgen dieses "Online-Missbrauchs" für Frauen seien, meint Dhrodia. Als "Online-Missbrauch" definierte die Umfrage etwa direkte oder indirekte Androhung von körperlicher oder sexueller Gewalt, das Teilen privater Bilder oder Inhalte und gezielte Veröffentlichungen von Adressen oder Telefonnummern mit dem Interesse, die Betroffenen unter Druck zu setzen. Auch eine beleidigende Sprache, die sich auf das Geschlecht bezieht, oder anstößige Bilder wurden unter dem Begriff "Online-Missbrauch" zusammengefasst, heißt es auf Nachfrage des STANDARD aus dem Büro von Amnesty International Österreich.

Konzentrations- und Schlafstörungen

4.000 Frauen zwischen 18 und 55 Jahren aus Dänemark, Italien, Neuseeland, Polen, Spanien, Schweden, Großbritannien und den USA wurden zu ihren diesbezüglichen Erfahrungen befragt. 23 Prozent der Befragten, die sich als gelegentliche bis aktive Internetnutzerinnen beschrieben, haben mindestens einmal Missbrauch und Belästigung in den sozialen Medien erlebt. 41 Prozent der betroffenen Frauen fühlten sich aufgrund solcher Erfahrungen sogar körperlich bedroht. Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen verfolgen die Betroffenen massiv, "das hört nicht auf, wenn du dich ausloggst", sagt Dhrodia.

Azmina Dhrodia über die Konsequenzen von Online-Missbrauch für die Gesellschaft.
OpenRightsGroup

Die psychischen Folgen beschreiben die Betroffenen mit einem verminderten Selbstwertgefühl (61 Prozent), Schlafstörungen (63 Prozent) sowie Konzentrationsstörungen (56 Prozent). Über die Hälfte der Befragten berichtete auch von Stress, Angstzuständen und Panikattacken (55 Prozent). Und knapp ein Viertel der betroffenen Frauen (24 Prozent) fürchtete nach Online-Belästigungen um die Sicherheit ihrer Familien.

Selbstzensur und fehlender Schutz

Doch die Folgen von Hass im Netz beschränken sich nicht auf massive psychische Folgen für die Betroffenen, sie reagieren auch mit Selbstzensur. 32 Prozent gaben an, dass sie ihre Meinung zu bestimmten Themen im Netz nicht mehr äußern wollen. Onlinegewalt stelle daher eine unmittelbare Bedrohung für das Recht auf freie Meinungsäußerung dar, kritisiert Amnesty International. Diese Bedrohung gelte insbesondere für Frauen und marginalisierte Gruppen, für "die soziale Medien ein wichtiger Raum seien, um ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen zu können".

Die befragten Frauen wurden auch zu Maßnahmen der Regierungen zum Schutz von Nutzerinnen befragt, die von dem Großteil der Teilnehmerinnen der Umfrage als unzureichend eingestuft wurden. Auch vonseiten der Betreiberseiten werden entsprechende Schritte vermisst. Je nach Schwere des Online-Missbrauchs müssen sowohl vonseiten der Regierungen als auch von den Unternehmen entsprechende Reaktionen folgen, fordert Amnesty. "Amnesty International weist darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung auch den Schutz beleidigender, höchst verstörender und sexistischer Meinungsäußerungen einschließt. Doch Gewalt und Missbrauch in Sozialen Medien verlangt je nach Art und Schwere eine Reaktion von Regierungsseite, von Unternehmen, oder beiden Seiten", so die NGO. Das Recht auf freie Meinungsäußerung müsse für alle Menschen gleichermaßen gelten. (beaha, 20.11.2017)