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FDP-Chef Christian Lindner will "lieber nicht regieren als falsch". Deshalb brach er in der Nacht auf Montag die Sondierungsgespräche ab.

Foto: dpa / Bernd von Jutrczenka

STANDARD: Der Vorwurf von Union und Grünen an die FDP lautet, den Abbruch der Sondierungen von langer Hand geplant zu haben. Sind die Vorwürfe berechtigt?

Faas: Die aktuelle Situation ist für Deutschland vollkommen neu. Die Wähler hatten erwartet, dass die Jamaika-Koalition letztendlich zustande kommt. Deswegen hat man auch über die Deadline hinaus versucht, eine Einigung zu schaffen. Nun ist die Schuldfrage natürlich sehr zentral. Aber Parteichef Christian Lindner hat sich die Entscheidung, die Sondierungen abzubrechen, vorher sicher genau überlegt. Offenbar verspricht sich die FDP mittelfristig einen Vorteil. Riskant ist die Sache auf alle Fälle.

STANDARD: Was waren letztlich die ultimativen Stolpersteine?

Faas: Lange Zeit waren es Inhalte, vor allem die Flüchtlingssituation, die die Gespräche erschwert haben. Aber gescheitert ist das Projekt letztlich an einer fehlenden gemeinsamen Vision und dem fehlenden Willen, dafür einzutreten. Schließlich wird von den Parteien auch immer schon mitüberlegt, wie man aus einer Koalition kommend einen erfolgreichen Wahlkampf bestreiten kann. Nach dem Motto: Lieber jetzt ein Ende mit Schrecken als ein Dauergewurstel, das nach außen nicht zu vermitteln ist.

STANDARD: In der letzten Zeit hat es ja eher so ausgesehen, als würde das Hauptproblem zwischen Grünen und CSU bestehen?

Faas: Vor dem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass letztlich die FDP abgebrochen hat, denn inhaltlich waren CSU und Grüne weit auseinander. Die Position Horst Seehofers ist in Bayern derzeit massiv geschwächt. Hinsichtlich der Landtagswahlen in Bayern im kommenden Jahr wollte man Seehofer durch einen möglichen Abbruch seitens der Union wohl nicht zusätzlich schwächen. Nach dem Abbruch wird die CSU nun aber wieder mehr Zeit haben, zu überlegen, wohin die Reise gehen soll. Für Seehofer wird es dann eng.

STANDARD: Ist es ausgeschlossen, dass die SPD doch einspringt?

Faas: Das wäre natürlich das Einfachste. Die Absagen der SPD waren aber vorher so eindeutig und sind jetzt noch einmal bekräftigt worden, dass ich nicht sehen kann, wie die Partei dahinter zurückkommt.

STANDARD: Also Neuwahlen oder Minderheitsregierung?

Faas: Persönlich glaube ich, dass Neuwahlen am wahrscheinlichsten sind. Aber der Weg dorthin ist wirklich kompliziert (siehe unten). Die Frage ist, wie die Öffentlichkeit auf einen so langwierigen Prozess reagiert, bei dem offenkundig wird, dass die Parteien nicht in der Lage sind, eine Regierung zu bilden.

STANDARD: Wer würde von Neuwahlen profitieren? Die Alternative für Deutschland (AfD)?

Faas: Das hängt davon ab, wie das Scheitern vom Wähler gesehen wird. Als Teil eines Spiels, bei dem die Parteipolitik wichtiger ist als das Wohl des Landes? Dann würde es sicher Populisten in die Hände spielen. Eine weitere Sichtweise wäre, dass das gute Wahlergebnis für die AfD erst zu dieser jetzigen Situation geführt hat. Vielleicht überlegt sich der eine oder andere Wähler noch einmal, ob er wieder zu einer solchen Situation beitragen will.

STANDARD: Ist das der Anfang vom Ende von Kanzlerin Angela Merkel?

Faas: Wer ihr Statement kurz nach dem Abbruch der Gespräche gesehen hat, erlebte eine sehr entschlossene Bundeskanzlerin. Sie scheint durchaus willens, aktiv zu bleiben. Außerdem fehlen die Alternativen, dafür hat Angela Merkel ja auch selbst gesorgt. Wer soll die Union also in diese durchaus komplizierten Zeiten führen, wenn nicht sie?

STANDARD: Könnte die EU auch von der aktuellen Krise betroffen sein?

Faas: Dass die Europäische Union mit geschäftsführenden Regierungen ganz gut zurechtkommt, das wissen wir aus Erfahrung. Wenn Sie an 2013 denken: Die große Koalition hat damals auch lange gebraucht, bis sie endlich ins Amt gekommen ist. Und außerdem gibt es mit Frankreichs Emmanuel Macron ja auch eine weitere sehr agile Führungspersönlichkeit innerhalb Europas. Ich würde das also eher entspannt sehen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 20.11.2017)