Ministerpräsident Cerar spricht sich für einen Verbleib von Shamieh aus.

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Ljubljana – In Slowenien wird der Fall des syrischen Flüchtlings Ahmad Shamieh nun auch für Premier Miro Cerar gefährlich. Die Causa Shamieh ist zu einer Causa Cerar geworden. Shamiehs Asylansuchen wurde mehrmals von den slowenischen Behörden zurückgewiesen. Er ist einer jener Flüchtlinge, die laut der Dublin-Verordnung – die jüngst auch vom Europäischen Gerichtshof bestätigt wurde – nach Kroatien zurückgeschickt werden sollen. Denn Kroatien war der erste EU-Staat, in den er reiste, und ist für sein Verfahren zuständig.

In Slowenien gibt es einige Fälle wie jenen von Shamieh, und es wurden auch bereits Familien mit Kindern zurück nach Kroatien gebracht. Doch auch in Slowenien – wie in Österreich – haben manche dieser Flüchtlinge und Migranten Unterstützung von Freunden, NGOs oder den Medien.

Vorbildlich integriert

"Alle progressiven Politiker wollen so einen vorzeigen können, mit ihm ein Foto machen und damit zeigen, wie inklusiv die Gesellschaft ist", analysiert der slowenische Politologe Marko Lovec die Gründe, weshalb es zurzeit eine derartige Aufregung um Shamieh in dem kleinen mitteleuropäischen Staat gibt. Shamieh kann Slowenisch und engagiert sich im Sozialbereich. Um seine Abschiebung ins Nachbarland Kroatien zu verhindern, schrieben Vertreter der Zivilgesellschaft Petitionen. Zwei junge Abgeordnete, Miha Kordiš von der Oppositionspartei Vereinigte Linke und Jan Škoberne von den mitregierenden Sozialdemokraten, nahmen Shamieh sogar mit ins Parlament, wo die Polizei keinen Zugriff auf ihn hatte.

Shamieh zog viele Sympathien auf sich. Auch der Präsident des Parlaments, Milan Brglez von der Regierungspartei SMC (Partei des modernen Zentrums), schien Shamieh unterstützen zu wollen. Und dann griff auch Premier Miro Cerar ein – er drängte die Behörden, seine Abschiebung so lange zu verschieben, bis noch einmal alle Möglichkeiten für einen weiteren legalen Aufenthalt geprüft worden seien. Cerar versuchte Shamieh auch aufgrund des Artikels 51 des slowenischen Fremdengesetzes zu helfen, welches eine Einbürgerung unter bestimmten Umständen erlaubt, falls diese im nationalen Interesse ist. Der Artikel wurde bisher vor allem für Athleten angewandt.

Offene Opposition

Doch in der Regierung gibt es keinen Konsens dazu. Cerar diskutierte seine Entscheidung nicht einmal mit den Koalitionspartnern. Der Chef der Pensionistenpartei DeSUS, Außenminister Karl Erjavec, stellte sich in der Folge offen gegen Cerar. Das hat auch damit zu tun, dass viele Pensionisten nicht gerade die größten Unterstützer der Flüchtlinge sind. DeSUS meint sogar, es würde sich um einen Missbrauch des Artikels 51 handeln, falls er für Shamieh angewendet würde. Erjavec argumentiert auch, dass es das Ende der Regierung bedeuten würde, wenn so ein "illegaler" Akt durchgezogen würde. Er stellte also Cerar die Rute ins Fenster.

Selbst der jüngst wiedergewählte Präsident Borut Pahor, ein Sozialdemokrat, warnte, dass der Fall Shamieh zum Präzedenzfall werden könnte. Wenn nämlich für Shamieh eine Ausnahme gemacht würde, dann könnten andere darauf hinweisen, dass sie diskriminiert würden, wenn sie nicht dieselbe Möglichkeit bekommen würden. Der Premier ist in einer schwierigen Situation – denn er will auch die linken Wähler nicht vergraulen. Nächstes Jahr stehen Parlamentswahlen an, und die SMC hat sehr schlechte Umfrageergebnisse.

Stacheldraht an der Grenze

"Die progressiven Wähler haben der SMC ohnehin nicht verziehen, dass sie an der Grenze zu Kroatien einen Stacheldraht angebracht hat", erklärt Lovec die innerkoalitionären Spannungen. Auch deshalb habe sich Cerar entschieden, diesmal ein "weiches Gesicht" zu zeigen. Er könnte den Fall Shamieh zudem dafür nutzen wollen, Europa zu zeigen, dass Slowenien im Gegensatz zu Osteuropa ein Land sei, das in der Lage und gewillt ist, die Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren, meint Lovec, der an der Universität in Ljubljana arbeitet.

Das Problem mit der Entscheidung von Cerar sei allerdings gewesen, dass sie nicht gut durchdacht war. Die rechtskonservative Oppositionspartei SDS sah darin ein gefundenes Fressen. Sie berief eine Pressekonferenz ein und kündigte an, dass sie ein Amtsenthebungsverfahren gegen Cerar starten werde, weil dieser die Behörden übergehen würde und die Entscheidung von mehreren Gerichten verletze. Die Opposition argumentierte, dass der Fall Shamieh zu einem Präzedenzfall werden könnte und dass in der Folge jeder Flüchtling seine Familie nachholen könne. Sie malten die Gefahr einer "Politik der offenen Türen" an die Wand.

Amtsenthebung im Raum

Die SDS braucht für die Einleitung eines solchen Verfahrens zehn Abgeordnete, die sie hat. Doch für die Amtsenthebung selbst bräuchte es die absolute Mehrheit der Abgeordneten, in Slowenien wären das 46 Parlamentarier. Zusätzlich müssten zwei Drittel der Mitglieder des Verfassungsgerichts zustimmen. Dieses Szenario ist nicht wahrscheinlich. Denn wenn es zu einem Amtsenthebungsverfahren kommt, könnte sich Erjavec gegen Cerar stellen, gleichzeitig würde Cerar wahrscheinlich von der oppositionellen Linken unterstützt werden. "Trotzdem könnte die Koalition zusammenbrechen", meint Lovec. "Cerar war einfach nicht mutig genug, das Ganze in einer cleveren Art zu machen, und nutzt Shamieh nun, um seine Werte gegen die konservativen Populisten hochzuhalten."

Slowenien hat im Vergleich zu Österreich wenige Flüchtlinge aufgenommen. Als der Korridor von Griechenland nach Mitteleuropa noch offen war, suchten nur 1308 Personen um Asyl an. Nach der Schließung der Balkanroute wurden die Flüchtlinge in einem Aufnahmezentrum in Postojna untergebracht. Slowenien hat 124 Asylwerber aus Griechenland im Namen der Flüchtlingsverteilung aufgenommen. Die allermeisten Flüchtlinge wollen aber nicht in Kroatien oder in Slowenien bleiben, sondern nach Österreich oder Deutschland weiterreisen. Kroatien und Slowenien hatten immer wieder das Problem, dass Flüchtlinge aus den Unterkünften weggingen und versuchten, nach Österreich zu gelangen. (Adelheid Wölfl, 21.11.2017)