Im Blogbeintrag "Die Furcht vor dem Klimawandel und was Klimakonferenzen ausrichten können" habe ich vermerkt, dass uns die Nachricht vom Klimawandel deshalb so verunsichert hat, weil die Vorstellung von Klima Zuverlässigkeit und Stabilität inmitten der Anarchie des Wetters bietet.

In diesem Beitrag argumentiere ich, dass eine gewisse Stabilität nur über eine Veränderung der politischen und ökonomischen Konditionen hergestellt werden kann. Anregung dazu bekam ich von der Radiosendung "Punkt eins" zum Thema Klimakonferenzen auf "Ö1". Von den geladenen Gästen, einem Filmemacher und einer langjährigen Konferenzteilnehmerin, war viel Interessantes zu diesen Verhandlungen und deren Abläufen, aber wenig Inspirierendes zum Klimawandel zu hören. Dass etwa die Armen und Schwachen besonders stark von Wetterextremen betroffen sind, ist tragisch genug. Der daraus gezogene Schluss, man müsse verstärkt den Klimawandel bekämpfen, ist verständlich. Doch zeigt er auch, wie die Angst vor dem Klimawandel uns Prioritäten versetzen lässt: Das Problem der Armut ist damit nicht gelöst.

Die Vision des Herrn L.

Besonders spannend an der Sendung "Punkt eins" sind die Anrufe jener Hörer, die Fragen "vom Stammtisch" an die geladenen Experten richten. Einer dieser Anrufe kam von einem gewissen Herrn L., der seine Sicht der Dinge darlegte und damit auch seine Vision einer Gesellschaft im Klimawandel. Grund und Boden dieser Welt sollten dem Gemeinwohl dienen, und diejenigen, die Profit aus der Ausbeutung der Bodenschätze machen – die sich Grund und Boden "unter den Nagel gerissen haben" – sollten andere dafür entschädigen. Diese Forderung nach Gerechtigkeit könnte laut L. mit einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) realisiert werden. Mit einem BGE garantiert eine Gesellschaft ihren Mitgliedern einen regelmäßigen Betrag, genug um menschenwürdig zu leben, ohne Zwang zur Gegenleistung. Wie schon einer der Gründerväter der USA, Thomas Paine, schrieb, wäre das eine Anerkennung der Tatsache, dass die Ressourcen dieser Welt uns allen gehören. 

Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?
Foto: REUTERS/Denis Balibouse

Unerkannte Schnittmengen

Die Schnittmengen zwischen Klimawandel und bedingungslosem Grundeinkommen wurden in der Eile, die eine Livesendung heute erfordert, verkannt, obwohl Gäste, wie Anrufer vor L., die Gier, die Maßlosigkeit, den Egoismus, das Profitstreben und den Neid als große gesellschaftliche Übel und für den Klimawandel verantwortliche Sünden ausmachten. Man war sich einig: Exzessiver Ressourcenverbrauch und moralische Verrohung gehen Hand in Hand.

Demgegenüber stünde das BGE, das unser Gemeinwohl und den ihm zugrunde liegenden Wert der Solidarität stärken und auch dem Neid die gesellschaftzersetzende Schärfe nehmen könnte – wenn alle es bekommen, sollten es alle, etwa ihrem Konsum entsprechend, bezahlen. 

Vasektomie gegen Klimawandel

Zurück zu Herrn L. Dieser wurde mit dem Verweis, er solle seinen utopischen Wunsch ans Christkind richten, aus der Sendung verabschiedet. Dem Klimawandel sei anders zu begegnen, erklärte der nachfolgende Anrufer mit der Forderung nach einer verpflichtenden Vasektomie für alle Männer über 40. Die der zugrundeliegenden Idee einer Kontrolle des Bevölkerungswachstums – typischerweise flankiert von rassistischen Äußerungen über "die da unten" –, fehlt in kaum einer Diskussion zum Klimawandel.

Der Wunsch an das Christkind ist realistischer, auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen für viele nach einer Spinnerei klingt. Doch je ernsthafter man sich mit den Argumenten der Befürworter auseinandersetzt, desto überzeugender werden sie. Auf den Klimawandel bezogen könnte das BGE sowohl den von den Gästen der Sendung eingeforderten Wertewandel ermöglichen, als auch das unterschwellige Verlangen nach Stabilität befriedigen – auch jener, die heute gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen argumentieren. Es garantiert die Existenz sowie die Teilnahme aller am gesellschaftlichen Leben.

Klimaaktivisten demonstrieren beim Weltklimagipfel in Bonn.
Foto: AP Photo/Martin Meissner

Unter Klimaaktivisten umstritten

Unter Klimaaktivisten sind die Meinungen zum bedingungslosen Grundeinkommen geteilt, was einerseits der Heterogenität der Klimaschutzbewegung, andererseits der Verbindung zwischen Klimawandel und Treibhausgasemissionen geschuldet ist. Dass Treibhausgase wie CO2 ihren Namen nicht umsonst tragen und für einen Großteil der Erderwärmung verantwortlich sind, darüber herrscht seit Jahrzehnten ein qualifizierter wissenschaftlicher Konsens. Wie wir aber mit diesem Wissen umgehen, und wie wir es politisch ummünzen, wird und soll immer wieder zur Debatte stehen.

Ein Argument der BGE-Skeptiker unter den Klimaaktivisten lautet wie folgt: Das Grundeinkommen wäre keine gute Klimapolitik, da die Auswirkungen einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen auf CO2-Emissionen unklar sind. Möglicherweise steigen die Emissionen mit BGE sogar an.

Nicht nur Klimaaktivisten sehen die Aufgabe der Klimapolitik in der Förderung von Prozessen, die zumindest CO2-neutral sind, das heißt die Summe des in die Atmosphäre freigesetzten und des beispielsweise im Boden gebundenen CO2 darf über alle Teilprozesse hinweg nicht größer als Null betragen.

Zu was genau sagen Klimaaktivisten nein?
Foto: Pixabay/niekverlaan [cc;0;by]

CO2-Neutralität um jeden Preis?

Mit der prinzipiell richtigen Forderung nach CO2-Neutralität könnten aber auch Prozesse verhindert werden, die im Nebeneffekt eine ungeplante und nicht errechenbare CO2-Reduktion mit sich bringen würden.

Als der renommierte Klimaforscher Ottmar Edenhofer in der "Süddeutschen Zeitung" von der Notwendigkeit der Erweiterung des Sichtfelds in der Klimapolitik sprach, glaubte ich anfangs, er würde einen ähnlichen Gedankengang verfolgen. Wahrscheinlicher ist, dass er, in Hinblick auf die gescheiterten Jamaika-Koalitionsverhandlungen, den Kohleausstieg Deutschlands forderte: "Nur so kann man die Welt retten. Und Deutschland."

Änderung des Blickwinkels

Die Metapher des Sichtfelds eignet sich dennoch gut. Aus wieder einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet kann das BGE sehr wohl als klimapolitisches Instrument im Sinne der Treibhausgasreduktion gesehen werden. Es kann einen positiven Nebeneffekt auf CO2-Emissionen haben, auch wenn man es nicht darauf reduzieren und danach bewerten sollte.

Im Folgenden möchte ich als Gedankenexperiment der Frage, wie sich ein BGE auf unser Verhalten, unseren Konsum und damit auf CO2-Emissionen auswirkt, nachgehen. Ich lade Sie ein, sieben Thesen im Forum zu diskutieren und weitere hinzuzufügen.

These 1: Eine Gesellschaft mit BGE reduziert Frustshopping

Die meisten kennen es: Das Gefühl nach Frust- oder Belohnungskäufen, im Englischen nicht zufällig retail therapy – Kauftherapie – genannt, hält für einige Tage und Wochen an. Ist der Effekt vorbei, muss neuer "Stoff" her, oft werden Konsumkredite aufgenommen. Ein Grund für diese Käufe liegt auf der Hand: Man belohnt sich beziehungsweise entschädigt sich, beispielsweise für eine wenig sinnstiftende Erwerbsarbeit. Wenn ich in dieser unzufrieden bin, an der Situation aber nichts zu ändern weiß, bleibt mir immer noch das Kaufvergnügen. Das Bedürfnis nach mehr Lebenssinn könnte auch Hintergrund einer verkürzten Arbeitswoche der heute Vollzeitbeschäftigten sein, die laut Umfragen nach Einführung eines BGE zu erwarten wäre. Eine Reduktion von Frustkäufen würde eine Verringerung des Konsums und der Produktion von Gütern, die als Kompensation gekauft werden, bedeuten.

These 2: Das BGE vergünstigt Reparaturen und ermöglicht Konsumreduktion

Da mit einem BGE Zeit frei werden würde, können auch Dinge vermehrt repariert, anstatt weggeworfen werden. Das Ausmaß dieses Effekts hängt unter anderem mit der Finanzierung des bedingungslosen Einkommens zusammen. Wenn das Grundeinkommen primär über eine Konsumsteuer finanziert und als Konsumsteuerfreibetrag an jeden Steuerzahler sprich Konsumenten ausbezahlt wird, werden durch den steuerlichen Paradigmenwechsel von Arbeit zu Konsum Dienstleistungen im Reparaturbereich billiger als Neuanschaffungen.

Konsumreduktion würde mit dem BGE tatsächlich belohnt werden –  weil jeder Mensch selbst bestimmen könnte, wieviel Steuern er zu zahlen bereit ist, d.h. wieviel er konsumieren möchte. Allgemeine Konsumreduktion würde zu einem niedrigeren BGE führen. Weil dies auf die Preise rückkoppelt, würde sich an der Kaufkraft des einzelnen wenig ändern. Die Wirtschaft würde gesund schrumpfen.

Ein steuerlicher Paradigmenwechsel von Arbeit zu Konsum würde zu mehr Reparaturen führen.
Foto: Public Domain

These 3: Das BGE verringert Pendleremissionen

Milliarden Kilometer Pendelverkehr mit dem alleinigen Grund der Erbringung von Erwerbsarbeit würden mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hinterfragt werden. In Deutschland etwa fahren Pendler umgerechnet mehr als tausend mal täglich zum Mond. Und weil das Einkommen beim Menschen beziehungsweise vor Ort bleibt, kann es auch als ein Instrument gegen Landflucht mit all ihren Konsequenzen verstanden werden, ohne dabei die Komplexität des Phänomens Landflucht unterschätzen zu wollen.

These 4: Das BGE stärkt den Gemeinschaftssinn

"Gemeinsam gelingt, was dem einzelnen verwehrt bleibt." Auch weil durch das BGE der Gemeinschaftssinn gestärkt wird – wir garantieren es uns gegenseitig und bedingungslos –, wäre eine Reduktion materiellen Konsums durch geteilte Dinge wie Wohnraum, Autos, Werkzeuge, et cetera zu erwarten.

These 5: Das BGE als Starthilfe für Innovation und Open Source

Wer gute Ideen hat, der muss, um von der Arbeit leben zu können, um Patente ansuchen. Er muss intellektuelles Eigentum schützen. Da mit dem bedingungslosen Grundeinkommen der Lebensunterhalt auf alle Fälle gesichert ist, müsste man seine Idee, etwa Software, nicht um jeden Preis patentieren lassen. Auch das Teilen von guten Ideen fällt leichter, ebenso die Arbeit daran, da jeder ein Grundeinkommen bezieht und somit gemeinschaftliche Projekte leichter finanziert werden können. Das BGE wäre eine lebenslange Starthilfe für Bastler und Unternehmer.

These 6: Das BGE fördert umweltfreundliche Unternehmen

Umweltschädliches Verhalten ist zusehends verpönt, in vielen Kreisen gilt es als unmoralisch, einen SUV zu fahren, zu fliegen oder eine Ölheizung zu betreiben. Oft wird man aber durch äußere Umstände praktisch dazu gezwungen. Das gilt für Privatpersonen wie für Unternehmen. Das BGE würde nun Unternehmen zwingen, sich gemäß den Werten der Mitarbeiter, Kunden und Eigentümer zu verhalten. Weicht ein Unternehmen zu stark oder dauerhaft davon ab, wären die Konsequenzen folgenreicher als heute, da sich die Macht in Richtung Arbeitnehmer, die ja mit dem BGE abgesichert sind, verschiebt. Schon heute gehen jenen Unternehmen, die eine gewisse Corporate Environmental and Social Responsibility nicht erfüllen, hochqualifizierte Erwerbsarbeitskräfte verloren. Viele Unternehmen würden also Umweltschutz als Wert hochhalten, weil sich umweltschädliche Konzepte in einer Gesellschaft, die dieses Verhalten verpönt, nur mit höheren Löhnen – und damit Preisen – aufrecht erhalten ließen.

These 7: Das BGE ermöglicht ökologisches Leben und Aktivismus

Wer erwerbstätig ist, bewusst ökologisch leben und sich sogar aktiv für Umweltschutz engagieren möchte, der weiß, was ihn daran hindert: der Mangel der Ressource Zeit. Das bedingungslose Grundeinkommen erlaubt es den Beziehern – uns allen – sich die notwendige Zeit zu nehmen, denn die finanzielle Existenz ist bis ans Lebensende gesichert. Auch für all diejenigen, die keinen Sinn mehr in ihrer Erwerbsarbeit sehen und aufgrund schlechter Arbeitsverhältnisse an eine Kündigung oder Neuverhandlung des Vertrags denken, bringt das BGE die Chance auf mehr Freiheit und Zeit.

Gemeinschaftsgärten geben Sinn, leben kann man davon nicht.
Foto: iStock/linephoto

Antithese: Menschen mit BGE würden mehr konsumieren

Das ist denkbar, vor allem zu Beginn, doch ließe sich über die Konsumsteuer umweltschädlicher Konsum auch höher besteuern. Schon heute fordert das deutsche Umweltbundesamt eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch und Milch. Die Möglichkeiten, die ein bedingungsloses Grundeinkommen mit sich bringt, hängen somit stark von der Ausgestaltung und Finanzierung ab. Mit dem steuerlichen Paradigmenwechsel von Arbeit zu Konsum könnte auch dem Neid der giftige Stachel gezogen werden: Während es im Einkommensteuersystem Zahler und Empfänger gibt, würden wir uns im Konsumsteuersystem das BGE immer gegenseitig zahlen.

Noch immer umstritten?

Für umweltbewusste Bürger wäre das bedingungslose Grundeinkommen das fehlende "Betriebssystem der Nachhaltigkeit", ist die deutsche Publizistin Adrienne Göhler überzeugt. Es wären die richtigen Rahmenbedingungen für eine Treibhausgasreduktion geschaffen. Herr L. sieht das ähnlich. Es würde Menschen veränderungsbereiter machen, ohne dabei die Richtung vorzugeben, glaubt auch die österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.

Und das scheint den Kern der Sache zu treffen, stellt uns der Klimawandel doch vor eine ähnliche Frage: Wie emanzipiert sich eine Gesellschaft von himmelschreiender Maßlosigkeit, dem in den Burnout treibenden Wettbewerb und dem den sozialen Frieden gefährdenden Neid? Das BGE würde diese anthropologischen Konstanten nicht auslöschen. Die garantierte Existenzsicherung würde es Menschen nur leichter ermöglichen, nach Werten der Kooperation und der Solidarität zu streben und zu leben. Auch wäre es eine wirkungsvolle Antwort auf eine sich schnell verändernde Welt und dem korrelierenden Verlangen nach Sicherheit und Stabilität. (Mathis Hampel, 22.11.2017)

Update 31.07.2018

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