Die Guangzhou-Automesse ist nach Peking und Schanghai mit fast 1.400 Modellen, darunter 131 NEV-Fahrzeuge, nur eine "B-Messe", doch das Gedränge ist groß.

Foto: Johnny Erling

Der Autokonzern Changan will ab 2025 nur noch Elektroautos, aber keine mit Verbrennungsmotoren mehr bauen.

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Am Chagan-Stand ist das Interesse an den Models größer als an seinen NEV-Modellen.

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Der Autokonzern BYD zeigt einen neuen MPV der nach Chinas Dynastienamen benannten Marke "Song". Der Siebensitzer ist für den neuen Bedarf von Chinas Zweikinderfamilien konzipiert.

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BYD präsentiert auch ein neues E-Batterie-Fahrzeug, Chinas Publikum interessiert sich aber nur für den MPV.

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Gedränge am Tesla-Stand. Ein importierter Tesla kostet mehr als eine Millionen Yuan (150.000 Euro). Erst nach 2019 plant Tesla, in China zu produzieren.

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Tesla hat für China eine neue Schnellladesäule entwickelt und eine spezielle Ladebuchse, die sowohl mit Tesla-Ladesäulen als auch mit chinesischen Ladesäulen kompatibel ist.

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Guangzhou – Die Tang-Dynastie (618–907), über deren Hauptstadt Changan die Seidenstraße einst China mit dem Westen verband, gilt als Blütezeit im alten Reich der Mitte. An diese Vergangenheit will der Shenzhener Autohersteller BYD (Build Your Dreams) anknüpfen, der als größter Batteriehersteller des Landes auf seinen Durchbruch bei der Elektromobilität in China und im Ausland setzt. "Zurück in die Zukunft" könnte über seiner überdimensionierten Ausstellungshalle stehen, in der sich BYD auf der Automesse Guangzhou (Kanton) präsentiert.

Für die Zweikindfamilie

Der Konzern stellt nur zwei Neuheiten vor, ein rotes, noch namenloses Elektroauto und daneben ein blaues MPV-Vielzweckfahrzeug. Es gehört zu seiner neuen Serie "Wangchao" (Chinas Dynastien) und trägt das Schriftzeichen "Song" auf seinem Heck. Die Besucher interessieren sich nur für den blauen Wagen. Der Siebensitzer ist speziell für die wieder erlaubte Zweikindfamilie konzipiert. Im Internet hat er einen Spitznamen: "Heiliges Gefährt für das zweite Kind".

Auf der großen Leinwand über dem BYD-Stand ist die ganze Wagenserie zu sehen, deren Modelle Jin, Tang, Song und Yuan nach den Namen der altchinesischen Dynastien benannt sind. Es gibt sie als elektrische Fahrzeuge oder Plug-in-Hybridmodelle. Auf dem Bild ist auch der als Chefdesigner für BYD arbeitende Deutsche Wolfgang Egger (früher Audi) zu erkennen. Er hat den Wagen ein "Drachengesicht" verliehen. Egger erklärte sein Design schon im April auf der Schanghaier Automesse. Ihm zur Seite steht der deutsche Autoexperte Heinz Keck (früher Mercedes-Benz).

Tradition und Moderne

So international geht es heute bei BYD zu, aber zugleich immer chinesischer. Produktmanager Liao Shihao sieht darin keinen Widerspruch. "Wir sind der einzige Hersteller, der seine Marke in chinesischen Schriftzeichen auf seine Autos schreibt." Liao deutet auf das Modell "Tang", einer der BYD-Bestseller. Neben dem Zeichen steht die Zahl 4.9. So viele Sekunden braucht der Wagen, um von null auf Tempo 100 zu beschleunigen. Der Rückgriff auf die Tradition, neues Design und moderne Antriebstechnologie seien das Rezept, um auf die Überholspur zu kommen, sagt Liao stolz: "Unsere Nation fährt zur alten Größe auf."

Tang ist ein Hybrid. Mit Strom soll das Fahrzeug 100 Kilometer weit kommen. Sein Tank fast 53 Liter Benzin. Doch der Preis von 299.990 Yuan (rund 38.400 Euro) ist happig. Staat und Provinz subventionieren ihn mit 36.000 Yuan. Dazu entfällt die Kaufsteuer. Gefragt ist der Wagen, weil er als Hybrid in Metropolen mit Zulassungsbeschränkungen rasch ein Nummernschild erhält. Noch mehr Vorteile erhalten die reinen Elektromobile. 2016 verkaufte BYD mehr als 100.000 Neue-Energie-Fahrzeuge (NEV) und kam auf 13 Prozent Anteil am NEV-Weltmarkt. In Guangzhou lässt der Konzern auf der Leinwand eine doppelt so hohe Zahl aufleuchten. Er hat sie sich für 2018 als Verkaufsziel gesetzt: "200.000 +".

Joint Ventures

In Sachen Elektromobilität pokern alle Mitspieler hoch. In- und ausländische Konzerne stürzen sich in China in die "Industrialisierung der Elektromobilität", wie es VW-China-Vorstand Jochem Heizmann nennt. Er will mit seinen Joint Ventures bis 2025 dafür zehn Milliarden Euro Investitionen lockermachen. Hubertus Troska, China-Chef von Daimler, kündigte an, mit seinen Partnern fünf Milliarden Yuan (650 Millionen Euro) zu investieren. Ford will eine eigene NEV-Fabrik bauen wie auch der US-Konzern Tesla. Kühne Pläne verfolgt Changan. Ab 2025 will es keine Wagen mit Verbrennungsmotoren mehr herstellen. Dafür müsse es umgerechnet 13 Milliarden Euro investieren.

Unmengen an Geld fließen in Chinas Elektromobilität. Doch das lässt die Messebesucher kalt. Am Stand von Changan erregen dessen "Models" mehr Aufmerksamkeit als die E-Modelle. Richtig gefragt sind nur die SUV-Fahrzeuge. Unter den 47 Modellneuheiten in Guangzhou feierten 28 SUV ihr Debut. Allein zwischen Jänner und Oktober wurden fast acht Millionen SUV-Wagen in China verkauft, nach neun Millionen im ganzen Jahr 2016. Der Anteil des SUVs an Chinas Automarkt stieg 2017 auf 41 Prozent. Der deutsche Automanager Jens Steingräber, der für Chinas "Great Wall"-Autokonzern als CEO für dessen Luxus-SUV-Marke Wey arbeitet, sagt: "Die Herstellung von SUVs ist in China das immer noch sicherste Erfolgskonzept, das einzige, bei dem es keine Stagnation gibt."

Schwere Zeiten

Dagegen erleben viele auf NEV-Fahrzeuge spezialisierte chinesische Unternehmen schwere Zeiten, obwohl der kleinvolumige Gesamtmarkt für Elektromobilität von Jänner bis Oktober 2017 mit einer halben Millionen verkaufter Fahrzeuge um 40 Prozent wuchs. Aber für Firmen wie BYD, JAV-Jianghuai, (die mit Volkswagen ein Joint Venture aufbauen) oder Changan brachen bis Oktober die Profite um mehr als 20 Prozent ein, meldete am Montag das Pekinger Fachblatt "Wirtschaftsbeobachter".

Die Gründe sind Überkapazitäten und Rabattschlachten um einen noch unreifen Markt mit einer mangelhaften Infrastruktur – von fehlenden Ladestationen bis zur Reichweite der Batterien. Doch Peking will die Autobranche zwingen, bis 2020 fünf Millionen Neue-Energie-Fahrzeuge auf Chinas Straßen zu bringen und zwei Millionen solcher Wagen pro Jahr herstellen zu können. Die Geister, die es selbst gerufen hat, kommen auf einmal viel zu schnell. Nach "China Daily" hat der Run auf die Elektromobilität in China zur Gründung von mehr als 200 einheimischen Gesellschaften zur Produktion von NEV-Fahrzeugen geführt. "Darunter wollen rund 70 Unternehmen elektrische Pkws bauen," meldete die Zeitung unter der Überschrift. "Es gibt zu viele Nassauer für die vom Staat in die Neue Energie gesteckten Gelder."

Subventions-Stopp?

Am Wochenende schreckte eine Nachricht die Autokonzerne auf. Chinas Regierung überlege, ihre bis 2020 auslaufende Anschub-Subventionen für NEV-Fahrzeuge vorfristig zu kappen, um die Überhitzung abzukühlen. Eine erst für 2019 geplante 20 prozentige Kürzung der Subventionen soll auf 2018 vorgezogen werden. Die Zeitschrift "Caixin" druckte die Warnung des Vizepräsidenten des Schanghaier SAIC-GM-Joint-Ventures. "Ohne Subventionen kann ich in China keinen Gewinn machen."

Die vielen Probleme mit NEV-Fahrzeugen seien vorübergehende Kinderkrankheiten, wiegelte Vizeleiter Xu Changming vom staatlichen Informationszentrum ab, das der Reform- und Entwicklungskommission (NDRC) unterstellt ist. Xu nannte in einer Rede im November, die das Internetportal "Easynet" veröffentlichte, die wichtigsten Beweggründe zum Kauf eines Elektroautos. Es sei von verschärften staatlichen Zulassungs- und Emissionsbeschränkungen für Benzinautos nicht betroffen. Für Peking gehe es darum, die Smogbelastung in den Großstädten abzubauen und seine extreme Abhängigkeit von Öleinfuhren zu verringern. 2016 verbrauchte China rund 580 Millionen Tonnen Erdöl, von denen es 380 Millionen Tonnen Öl einführen musste. China kaufe bereits 18 Prozent der gesamten Ölexporte der Welt auf.

Einkommensentwicklung

Nach 2020 und besonders nach 2025 würden sich NEV-Fahrzeuge in großem Umfang durchsetzen, meinte Xu. Daran würde auch Chinas langsamer werdendes Wirtschaftswachstum nichts ändern. Peking strebe nach seinen neuen Wachstumszielen eine Gesellschaft mit mittelstarken Einkommen bis 2020 an. Bis 2035 soll das Land industriell modernisiert sein und sich bis 2050 auf höchstem Weltniveau entwickelt haben. Ziel sei dabei, das extreme Einkommensgefälle und die regionalen Stadt-Land-Unterschiede zu nivellieren, gleichgewichtigeres Wachstum zu ermöglichen und die Mittelschicht zu verbreitern. Viele, die sich heute kein Auto leisten können, werden die Käufer von morgen sein.

Der Staat helfe nach. Er bremse die Zulassung von Benzinautos. In sechs Metropolen werden über Losentscheid – oder wie in Schanghai über Auktionen – jährlich nur noch 650.000 Neuzulassungen erlaubt. Ein Drittel der Zulassungen ist für NEV-Fahrzeuge reserviert. In Peking, wo 5,7 Millionen Autos fahren, beschränkt die Regierung seit 2011 die Vergabe neuer Nummernschilder. Anfangs gab es jährlich 200.000 Kfz-Schilder. Diese Zahl fiel seit 2016 auf 90.000 Pkws, und soll 2018 sie weiter verringert werden. Daneben dürfen NEV-Fahrzeuge sieben Tage in der Woche fahren – Wagen mit Verbrennungsmotoren müssen dagegen rotierend nach der Endzahl ihres Nummernschildes einen Tag pro Woche pausieren.

Zwangsquoten

Starken Einfluss auf Chinas Siegeszug der Elektromobilität übt die Entscheidung des Informations- und Industrieministeriums MIIT aus, Zwangsquoten zur Herstellung von NEV-Fahrzeugen an alle in- und ausländischen Autokonzerne in China zu verhängen. Ab 2019 müssen sie einen nominal bis zehn- und danach bis zwölfprozentigen Anteil ihrer Gesamtproduktion als E-Fahrzeuge herstellen, der sich konkret daraus errechnet, wie modern ihre E-Fahrzeuge und Batterien sind.

Mit Umweltschutz hat das wenig zu tun, befand die Autofachzeitschrift "Qiche Gongshe". Sie zitierte im November Wissenschafter, die das neue Quotensystem kritisieren, weil es nicht die Emissionen von NEV-Fahrzeugen bewertet, sondern den Stand ihrer Elektromobilität. China erhalte so nur schneller Zugang zu modernen Technologien. Die Zeitschrift zitierte Staatsratsforscher Chen Qingtai, dass genau das gewollt ist: Das sei eine "seltene Gelegenheit für China", um aufzuholen. "Die Elektromobilität ist in der hundertjährigen Geschichte des Automobils die wichtigste neue technologische Revolution." (Johnny Erling, 22.11.2017)