Olga Neuwirths Hörtheater begeistert bei Wien Modern.

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Wien – Die verzauberten Inseln – dabei handelt es sich in Herman Melvilles gleichnamigem, 1854 erschienenem Buch um das Galapagos-Archipel, das auf Spanisch ursprünglich "Las Encantadas" hieß. Olga Neuwirth hat sich schon mehrfach vom Autor von Moby Dick inspirieren lassen und dabei zwischen den Medien Musiktheater, Buch und Film gewechselt. Manche ihrer Projekte aus diesem Umfeld harren auch noch der Realisierung.

Auch bei ihrem 2015 im Zuge der Donaueschinger Musiktage uraufgeführten Projekt Le Encantadas setzt Neuwirth auf ästhetische Entgrenzung jenseits üblicher Genreschubladisierungen. Für die Komponistin handelt es sich um einen "fiktionalen Abenteuerroman durch vielfältige Raumklangwirkungen hindurch", der jedenfalls trefflich zum heurigen Motto von Wien Modern ("Bilder im Kopf") passt.

Hörtheater

Doch worum handelt es sich eigentlich? Raummusik, Installation, Konzert, Hörspiel? Am ehesten kann man sich mit dem Begriff Hörtheater behelfen, den Luigi Nono schon für seinen Prometeo (mit der originalen Bezeichnung "tragedia dell'ascolto") verwendete. Als Jugendliche hat Neuwirth dieses Werk in der Chiesa di San Lorenzo in Venedig miterlebt – eine prägende Erfahrung, wie sie heute noch erzählt.

Mithilfe des Pariser IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) wurde der Innenraum der Kirche akustisch simuliert, in der Halle E des Museumsquartiers befanden sich die von ihrem Chefdirigenten Matthias Pintscher angeleiteten Musikerinnen und Musiker des Ensemble intercontemporain ebenso wie unzählige Lautsprecher rund um das innen sitzende, staunende Publikum.

Minutiös auskomponiert

Denn dort gingen ungeheuer plastisch abgespielte, reale Tonaufnahmen aus Venedig von Wellensäuseln, Glockenklängen und Bootsgeräuschen sowie Stimmengewirr aus New York nahtlos in instrumentale Klänge über, bei denen oszillierende Figurationen sich mischten wie ein Naturereignis, das freilich minutiös auskomponiert ist. Collageartig traten Sprech- und Singstimmen dazu, darunter jene von Countertenor Andrew Watts, die allesamt vorher aufgenommen oder gar künstlich generiert wurden und wie von Geisterstimmband ins Gesamtgefüge eindrangen.

Es war tatsächlich so, als würde man in einem Raum wie durch undichte Türen und Fenster das Getöse der Umgebung vernehmen: ein zauberhafter Wechsel zwischen innen und außen, der das Hören zu neuen Ufern führt. (Daniel Ender, 21.11.2017)