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Flüchtlingskinder in einem Asylwerberheim. Kommen sie unbegleitet nach Österreich, so lassen sich die Behörden oft viel Zeit, um über die Obsorge zu entscheiden.

Foto: dpa/Kästle

Baden/Wien – Nach dem Suizid eines elfjährigen Buben aus einer afghanischen Flüchtlingsfamilie, dessen älterer Bruder offenbar mit der Obsorge für insgesamt sechs minderjährige Geschwister schwer überlastet war, kommt von den Neos und einer Expertin Kritik am dahinterliegenden System der Kinder- und Jugendhilfe im Asylbereich.

So werde über die Frage, wer für Pflege, Erziehung, gesetzliche Vertretung und Geldangelegenheiten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) zuständig ist, in den meisten Fällen viel zu spät entschieden, meint etwa Stefanie Krisper, Asyl- und Integrationssprecherin der Neos. Katharina Glawischnig, UMF-Expertin bei der Asylkoordination, ist der gleichen Ansicht: Konkret könne es bis zum Spruch eines zuständigen Bezirksgerichts Monate dauern, davor gebe es "Zwischenlösungen oder gar keine Obsorgeregelung".

Auch im Fall der afghanischen Geschwistergruppe war das so. Der 23-jährige Bruder hatte die Obsorge bereits Anfang 2016 in Oberösterreich beantragt und de facto ausgeübt. Dann übersiedelte die Teilfamilie nach Baden, wo das Bezirksgericht dem Antrag erst über ein Jahr später stattgab – und dies in der Folge auch nach einer Reihe Problemmeldungen des Unterkunftgebers, der evangelischen Diakonie, nicht revidierte.

Krisper und Glawischnig fordern die "automatische Übertragung der Obsorge für UMFs an ein Jugendamt ab dem ersten Tag des Minderjährigen in Österreich" – mit der Option, diese Entscheidung gegebenenfalls später zu revidieren.

Hauptlast auf Badener BH

Parallel dazu, so Krisper und Glawischnig, müsse die Kinder- und Jugendhilfe im Bezirk Baden personell wie finanziell aufgestockt werden. Im derzeitigen Unterbringungssystem für UMFs trage diese in Obsorgedingen für diese Jugendlichengruppe nämlich die Hauptlast. Damit sprechen beide Frauen den Umstand an, dass die meisten UMFs, sofern sie älter als 14 Jahre sind, nach ihrem Asylantrag in die im Bezirk Baden befindliche Betreuungsstelle Traiskirchen überstellt werden: eine bereits seit vielen Jahren von der Asylbehörden betriebene Praxis.

Derzeit leben im Bezirk Baden rund 300 UMFs, in den Spitzenzeiten der großen Fluchtbewegung 2015/2016 waren es bis zu 2000. In der Kinder- und Jugendhilfe der BH stehen ihnen unverändert fünf Sachbearbeiter gegenüber – laut Glawischnig eine Situation "chronischer Unterbesetzung".

Dieser Umstand erkläre auch, warum Sorgerechtsübernahmen für UMF durch entfernte Verwandte und ältere Geschwister wenig hinterfragt würden, sagt Glawischnig. Doch auch die Angehörigen selbst seien meist bereit, die Verantwortung zu schultern, "obwohl sie als Flüchtlinge kein soziales Netz haben und rasch in die Überlastung kippen". Immerhin sei im Fall einer Ablehnung wahrscheinlich, dass Kinder und Volljährige getrennt würden: "Und mit ihrem Taschengeld können sich Asylwerber keine Besuchsfahrten leisten." (Irene Brickner, 22.11.2017)