Nils Pickert: "Als weiße Männer sind wir primi inter pares, die Ersten unter Gleichen." Donald Trump in Wrestling-Pose mit Studenten der Pennsylvania State University.

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Der weiße Mann, so lässt sich in letzter Zeit immer wieder nachlesen, sei so ziemlich an allem schuld. An der Wahl von Donald Trump, dem Klimawandel, Politik im Allgemeinen und an all diesen Diskussionsrunden, in denen immer nur Männer sitzen und das Publikum mit ihrem vorgeblich alternativlosen Expertentum belästigen. Selbstverständlich auch am Patriarchat, an dem er mehr oder weniger die Urheberrechte hält.

Diese ständigen Beschuldigungen und Bezichtigungen hat der weiße Mann mittlerweile gründlich satt. Und zwar nicht nur der weiße Mann, der sich seit jeher und von Grund auf eine Überlegenheit seiner "Rasse" zusammenspinnt, sondern eben auch jener, der sich einfach nur verbittet, schlechtergestellt zu werden als andere. Der das Gefühl hat, in Universitätsseminaren nicht mehr zu Wort zu kommen, weil er als weißer Mann ständig dazu aufgefordert wird, doch gefälligst seine Privilegien zu checken. Der feststellt, dass seine Meinung plötzlich weniger wert sein soll, und Beachtung findet, weil er ein weißer Mann ist. Der den Eindruck gewinnt, in der aktuellen #MeToo-Debatte als potenzieller Sexualstraftäter in Geschlechtshaft genommen zu werden, während den Übergriffen von Geflüchteten aufgrund ihrer Herkunft kaum Beachtung geschenkt wird.

Hängematte Rassismus

Dieser weiße Mann sagt Sachen wie "Ich sehe die Hautfarbe gar nicht mehr" oder "Menschenrechte gelten für alle" und findet Gleichberechtigung prinzipiell eine prima Sache. Er verteidigt bürgerliche Freiheiten, tritt dann und wann für die Rechte von Minderheiten ein und besteht im Zuge dessen darauf, nicht als Rassist verunglimpft zu werden.

Zugleich lehnt er sich ganz bequem und weich in einer Hängematte aus Rassismen zurück, die zum Wohlstand seines Landes beigetragen haben und immer noch beitragen und ihn strukturell auf jede nur erdenkliche Weise bevorzugt behandeln.

Ich zum Beispiel bin so ein weißer Mann. Ich versuche mich in meinem Alltagsleben bewusst nicht an Rassismen zu beteiligen und profitiere trotzdem von ihrem Vorhandensein. Ich kann hinter mein Weißsein nicht zurücktreten. Ich kann mich in einem Universitätsseminar fragen, warum der Dozent Afrika mit Schweden verglichen hat, und mich davon fernhalten, die Welt in Weiße und Nichtweiße einzuteilen. Aber dann bin ich trotzdem in diesem Seminar gesessen und lebe als weißer Mann in dieser Welt. Das macht etwas mit mir. Genau wie mit meinem Kollegen Jochen Bittner, der auch so ein weißer Mann ist.

Wer will schon reduziert werden

In einer Kolumne hat er kürzlich den Finger in die Wunde gelegt, indem er festgehalten hat, dass er ja auch recht haben kann. Dass er nicht aufgrund seiner Privilegien relevante Meinungen formulieren und richtige Entscheidungen treffen kann, sondern trotzdem. Dabei stellt er außerdem fest, dass diejenigen, die ihn argumentativ bekämpfen, genau das tun, was sie weißen Männern vorwerfen: Sie betreiben Identitätspolitik, indem sie einerseits Partikularinteressen und den Bedürfnissen von Minderheiten abheben, und Bittner andererseits in eine Identität zwingen, die er sich nicht ausgesucht hat. In diesem Zusammenhang möchte er seine Position nicht als die eines privilegierten weißen Mannes diffamiert und abgetan wissen. Gerade weil Bittner weiß, dass er diese Position innehat, möchte er nicht darauf reduziert werden. Insbesondere nicht von Menschen, die sich so sehr dafür einsetzen, dass sie und andere nicht auf etwas reduziert werden.

Da ist was dran. Nicht zuletzt deshalb, weil man nie alle Details der jeweiligen Diskriminierungs- und Lebenserfahrungen einzelner Menschen kennt. Zugleich ist diese Haltung zutiefst von den rassistischen Strukturen geprägt, die Bittner und mich privilegieren. Weiße Männlichkeit nimmt sich seit Jahrhunderten heraus, alles und jede/jeden als abweichend zu markieren und sich selbst als Norm zu definieren.

Die Ersten unter Gleichen

Als weiße Männer sind wir primi inter pares, die Ersten unter Gleichen. Und fangen damit an, uns darüber zu beschweren, dass uns Gleiche als Erste markieren. Weil wir es ja auch so geschafft haben wollen und weiße Männlichkeit nicht als Label dazu benutzt werden soll, Blut, Schweiß und Tränen, die wir für unseren Erfolg vergossen haben, einfach wegzuwischen.

Womit wir wieder nur von uns ausgehen, uns wichtig nehmen und uns nicht etwa den Minderprivilegierten zuwenden, sondern uns auch noch das Privileg herausnehmen, ohne unsere Privilegien gesehen und bewertet zu werden. Privileg ist aber kein Rucksack, den man ablegen kann. Privileg bist du!

Und deshalb ist Identitätspolitik auch nicht das freie Mittel der Wahl von Minderheiten und Menschen, denen ihre Rechte vorenthalten werden. Es ist Notwehr. Identität sollte kein Argument sein, aber es ist eines. Es ist ein Argument, weil Rassismus es dazu gemacht hat. Dieses Argument fordert Rechte nicht in erster Linie wegen Identität ein, sondern weil aufgrund von Identität Rechte verweigert wurden und werden. Und wenn wir als weiße Männer wirklich wollen, dass Identitätspolitik zu den historischen Akten gelegt wird, dann sollten wir aufhören, uns über folgerichtige Markierungen zu beschweren, und Rassismus bekämpfen. Aber das wollen die meisten von uns gar nicht. Denn die erfolgreichste Identitätspolitik, die je betrieben, aber nie so genannt wurde, ist die für weiße Männer. (Nils Pickert, 26.11.2017)