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In unserer vergnügungssüchtigen, informationsüberladenen, digitalisierten, durch Ablenkungen charakterisierten Welt ruft Achtsamkeit zur inneren Einkehr auf. Zur Stille. Zum Hinhören.

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Viele große Konzerne setzen auf Achtsamkeit. Mehrwöchige Trainings werden in Unternehmen eingesetzt, um Mitarbeitern den Zugang zu sich selbst zu ermöglichen, mit positiven Auswirkungen auf Fokus, Klarheit, Resilienz und emotionale Fähigkeiten. Achtsamkeit – Mindfulness – wird zunehmend nicht nur für die betriebliche Gesundheitsförderung in der Stressprävention und Burnout-Prophylaxe relevant, sondern auch als Instrument in der Organisationsentwicklung.

Ein Achtsamkeitstraining ermöglicht die Erschaffung eines Raums zwischen Reiz (Gedanke, Empfindung, Emotion, Bild) und Reaktion. Statt Affekthandlungen werden Entscheidungsprozesse bewusst bewirkt. Langfristig führt dieser Raum zu einem Erkennen innerer Prozesse.

Viktor Frankl spricht von der Freiheit und Macht in der Wahl der Reaktion. Achtsamkeit legt allerdings nicht nur Positives frei – die Bewältigung schwieriger Emotionen, unbewusst eingeprägter Verhaltensmuster und/oder hartnäckiger Einstellungen ist schmerzhaft. Auf der anderen Seite setzen Einsicht und Klarheit ungeahntes Potenzial frei, aus einer inneren Freiheit heraus handeln und agieren zu können. Die innere Weisheit, die Selbstkenntnis, sich selbst zu führen in allen Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz, Haltung zu erkennen. Unser ureigenes Selbst wiederzuentdecken. Im Augenblick der Gegenwart bewusst zu leben. Hier. Jetzt. Das ist Achtsamkeit.

Wissenschaftliche Nachweise

Das Training der Achtsamkeit oder Meditation entwickelte sich vor ca. 2500 Jahren in Nordindien. Der Dalai Lama, Gründer des Mind and Life Institute, hat mit dieser Institution seit den 1980er-Jahren erfolgreich gezeigt, dass der Dialog zwischen den kontemplativen Traditionen, der Weisheit des Buddhismus und der westlichen Wissenschaft von immenser Wichtigkeit für die Welt von heute ist. Hinzuweisen ist auf die Arbeit von Tania Singer (Resource Project) und des Mönchs Matthieu Ricard im Bereich Mitgefühl, Altruismus und Wirtschaft.

Der Doyen der amerikanischen Achtsamkeitsbewegung, der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn von der University of Massachusetts Medical School, begann in den 1970er-Jahren in einem Kellerraum des Krankenhauses einen auf Hatha-Yoga, Vipassana und Achtsamkeitstraining basierenden Workshop für Patienten anzubieten. Inzwischen ist Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR, das bekannteste und klinisch am besten untersuchte Achtsamkeitstraining weltweit. Wissenschaftliche Studien beweisen deutliche positive Auswirkungen bei Schmerztherapien, Stressregulation, bei Angststörungen und Depressionen.

Achtsamkeit kann heilen, so Kabat-Zinn, und zwar nicht nur das Individuum, sondern die Gesellschaft als Ganzes.

Aufmerksam sein

Wegbereiter für einen Übergang von den religiös-spirituellen Anfängen der Achtsamkeit zur säkularen, westlichen Anschauungsweise waren unter anderem die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Meditation. Heute ist es möglich, sich mit den Themen Achtsamkeit und Meditation ohne den Kontext der Religion auseinanderzusetzen. Damit eröffnet sich diese Disziplin zahlreichen neuen Interessenten.

Was verbirgt sich konkret hinter dem zum Teil bereits überstrapazierten Begriff Achtsamkeit? Die Definition von Jon Kabat-Zinn lautet: "Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen." Neun Verhaltensprinzipien prägen eine achtsame Haltung im täglichen Leben. Diese sind: nicht werten, Geduld, einen Anfängergeist bewahren, vertrauen, nicht anhaften, Akzeptanz/annehmen, los- oder sein lassen, Dankbarkeit und Großzügigkeit. Mitgefühl und Empathie sind ein weiteres, wichtiges Prinzip.

Achtsamkeit bedeutet offen zu sein für das, was kommt. Die Akzeptanz des Unveränderbaren. Die Annahme dessen, was unwiderruflich ist. Denn Widerstand bedeutet Stress, was Leid verursacht.

Trainieren des Geistes

In unserer vergnügungssüchtigen, informationsüberladenen, digitalisierten, durch Ablenkungen charakterisierten Welt ruft Achtsamkeit zur inneren Einkehr auf. Zur Stille. Zum Hinhören. Zum Spüren der Verbundenheit mit der Natur und mit anderen Menschen.

Achtsamkeitsübungen werden im Sitzen, Gehen, Stehen und Liegen praktiziert. Das bewusst geübte achtsame Atmen beruhigt nach einigen Minuten die ausufernde Gedankenwelt. Der Body-Scan oder die Tiefenentspannung schafft ein Bewusstsein für den eigenen Körper. Diese Übungen zeichnet aus, dass sie leicht in den Alltag integrierbar sind. Ziel der Übungen ist ein Trainieren des Geistes. So wie wir unsere Körper mit Bewegung trainieren, so kann auch das Gehirn trainiert werden. (Martina Esberger-Chowdhury, 26.11.2017)