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Rasch war klar, als Rick Blaine käme nur einer in Frage – Humphrey Bogart. Der fühlte sich zunächst unwohl, den romantischen Liebhaber zu verkörpern.

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Ohne Wien kein Casablanca. Hätte Murray Burnett, ein jüdischer Amerikaner, der an einer Mittelschule in Manhattan lehrte, 1938 nicht geerbt, wäre er im Sommer jenes Jahres mit seiner Frau Frances niemals zu ihren Verwandten nach Amsterdam gereist. Und von dort nicht weiter zu Angehörigen in Wien. Was er dort sah und was ihm die Familienangehörigen berichteten, erschütterte ihn tief. Tatkräftig halfen sie und schmuggelten Wertsachen ins Ausland. Den Zug, der die Burnetts im Hochsommer von Wien nach Südfrankreich brachte, bestieg er mit Ringen an jedem Finger und sie in einen Pelz gehüllt. In der Nähe von Nizza besuchten sie einen Nightclub. Die Gäste stammten aus vieler Herren Länder. Und da hatte er, Freizeitautor mit hochfliegenden Plänen, eine zündende Idee – ein Stück! Ein Theaterstück über Flüchtlinge und Fluchtbereite, einen Barbesitzer, eine Liebe. Gesagt, getan, geschrieben. 1940 war Everybody comes to Rick's, angesiedelt in Casablanca, fertig. Fand kein Theater als Abnehmer. Und wurde nach Hollywood vermittelt. Das Warner-Brothers-Studio griff zu.

Am 25. Mai 1942 war erster Drehtag. Anfang des Jahres war verkündet worden, Ronald Reagan würde die männliche Hauptrolle übernehmen, eine bewusste Fehlinformation. Rasch war klar, als Rick Blaine käme nur einer in Frage – Humphrey Bogart. Der fühlte sich aber recht unwohl dabei, erstmals einen romantischen Liebhaber zu verkörpern.

Fließband Hollywood

Welche Stufen das Drehbuch durchlief, wer daran mitwirkte, etwa die New Yorker Zwillingsbrüder Julius und Philip Epstein, die rasante doppelbödige Dialoge schrieben, wie es kam, dass die Schwedin Ingrid Bergman die Norwegerin Ilsa Lund spielte, wie der Dreh ablief, davon erzählt der an der New School of Social Research in New York lehrende Filmwissenschaftler Noah Isenberg klug, unterhaltsam und hochinformiert. Selbstredend stützt er sich auf Round up the usual suspects (Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen. Wie Casablanca gemacht wurde), das Standardwerk von Aljean Harmetz. Er erweitert allerdings den Fokus.

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Denn wie Umberto Eco schrieb, ist Casablanca nicht ein Film – er ist Film. Einerseits als Fließbandproduktion Hollywoods. Jedes der großen Studios brachte damals pro Jahr 50 Filme heraus. So wurde in den Drehbuchabteilungen mit wiederkehrenden Elementen gearbeitet. Und Casablanca größtenteils mit Kulissen aus anderen Warner-Streifen realisiert; für die Schlusseinstellung war das Flugzeug im Nebel zu klein, also wurden kurzerhand kleinwüchsige Statisten eingesetzt.

Die einzige Freiluftaufnahme machte der Second-Unit-Regisseur Don Siegel, der auch die Eingangsmontage mit dem kreiselnden Globus verantwortete und viele Jahre später harte Polizistenfilme mit Clint Eastwood (Dirty Harry) und den Spätwestern Der letzte Scharfschütze mit John Wayne drehen sollte. Zum anderen beschreibt Isenberg ausgreifend, wie seit den 1960er-Jahren bis heute Casablanca Kult, Mythos, Objekt der Parodie und Humphrey Bogart zur Projektionsfigur wurde. Viele kennen zahlreiche Sätze des Films auswendig.

Der letzte Aspekt, den der New Yorker anregend analysiert und mit schönen biografischen Vignetten unterfüttert, ist der Umstand, dass Casablanca eine Arbeit von und mit Emigranten über Migranten und Flüchtlinge war. Die Schauspielerschar setzte sich, in der englischsprachigen Originalversion nicht zu überhören, aus 34 Nationalitäten zusammen. Vor allem dies habe, argumentiert Isenberg, den Film in Europa so beliebt gemacht. Jene Szene, in der die Marseillaise intoniert wird, um Die Wacht am Rhein der Deutschen zu übertönen, sorgte beim Drehen dafür, dass nicht wenigen vor der Kamera echte Tränen übers Gesicht liefen, weil sie selber geflohen waren oder noch Familie in der Alten Welt hatten. In Frankreich gilt diese Gesangsszene bis heute als filmischer Inbegriff der Résistance.

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Dabei war der Dreh nicht einfach. Das Set war, wie Thilo Wydra es in seiner sehr gut geschriebenen, detaillierten Lebensbeschreibung Ingrid Bergmans formuliert, wenig herzlich, ja unterkühlt. Der Münchner Filmjournalist liefert eine informative Schilderung aus der Perspektive der Schauspielerin, die unsicher durch die neunwöchigen Dreharbeiten hindurchmanövrierte. Nicht nur, weil die Drehbuchseiten auf den letzten Drücker kamen, sondern auch, weil Bogart die ganze Zeit mehr als reserviert war und sich, sobald eine Szene abgedreht war, sofort in seine Garderobe zurückzog. Dazu kam der Regisseur Michael Curtiz, der alle mit Ausnahme Bergmans rüde herumkommandierte.

Am 26. November 1942, am Thanksgiving-Donnerstag, wurde der Film in New York uraufgeführt. Besser hätte der Termin nicht gewählt sein können. Das Studio hatte alles getan, um diesen Tag einzuhalten. Denn am 8. November war die von US-General George Patton kommandierte Western Task Force in Nordafrika gelandet, um in Marokko, Algerien und Tunesien, zu Vichy-Frankreich gehörend, wichtige Häfen zu erobern. Die Einnahme ging relativ leicht vonstatten, der Widerstand war nur sporadisch. Seither verband man mit dem Namen "Casablanca" die zweite Front gegen Nazideutschland, auf die Stalin so ausdauernd gepocht hatte. Jede Aufführung im Hollywood Theater war restlos ausverkauft. Der Film wurde zum großen finanziellen Erfolg.

Als das Melodram im Jänner an der Westküste anlief, fiel Casablanca mit Casablanca zusammen, einem Geheimtreffen dort, über das die Medien groß berichteten und das Weichenstellungen für den Krieg bringen sollte.

Für Filmgeschichte interessiert sich der 1948 geborene Norbert Pötzl, 40 Jahre lang Spiegel-Redakteur, nicht einmal am Rande. Und wenn, dann mit unverhüllter Herablassung. So beschreibt er Casablanca gleich zu Beginn als "rührseliges Produkt aus der Hollywood-Fabrik". Später liest man unsinnige Urteile, bei denen das Lektorat mit Unwissenheit assistierte. Peter Lorre, der mit nur einem Blick andere an die Wand spielen konnte, als "slowakischen Juden" zu bezeichnen ist haarsträubend! Und den Epstein-Zwillingen Lob für ihren "jüdischen" Humor zu spenden ist mehr als nur ein sprachlicher Lapsus.

Weißes Haus und Casablanca

Was Pötzl eigentlich interessiert, ist die Konferenz von Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill Mitte Jänner 1943 in Casablanca. Das Umschlagbild des Buches ist sinnig gewählt. Man sieht Roosevelt im Vordergrund, hell ausgeleuchtet, hinten im Halbdunkel Churchill. Denn Roosevelt ist Pötzls Held: groß, intelligent, charmant und umgänglich, aufgeschlossen, auch in erotischer Hinsicht, und mit enormer Willensstärke gegen seine Polio-Behinderung ankämpfend.

Den englischen Kriegspremier zeichnet er hingegen als rührseligen Bittsteller. Eklatant ist, wie souverän Pötzl Forschungsliteratur zu Churchill ignoriert. Die zwei Wochen langen Geheimgespräche inklusive der für Roosevelt beschwerlichen Anreise zeichnet Pötzl in einer atmosphärischen Reportage nach. Amüsiert liest man, dass die britische Delegation exzellent vorbereitet eintraf und ihre militärstrategischen Agenden vollständig durchsetzte, vor allem den Sprung übers Mittelmeer nach Italien.

Kurios, dass das Treffen ungestört ablief. Dabei hatten die Nazi-Zuträger in Spanisch-Marokko dem deutschen Geheimdienst Hinweise gegeben, es würde ein Treffen geben, in "Casablanca". Da dies auf Spanisch "weißes Haus" heißt, ging man in Berlin vom Weißen Haus in Washington aus. Gegen Ende verfällt Pötzl ob der offensichtlich rigiden Umfangsvorgabe in ein Stakkato. Übrigens kam 1952 eine verstümmelte, völlig unverständliche Version des Films in die deutschen Kinos. Erst Jahre später begann die wunderbare und bis heute andauernde Freundschaft mit Casablanca. (Alexander Kluy, Album, 25.11.2017)