Michael Altrichter (45) ist bekannt aus der Puls-4-Start-up-Sendung "2 Minuten 2 Millionen", in der er regelmäßig in junge Unternehmen investiert. Sein aktuelles Portfolio umfasst 35 Start-ups, in erster Linie aus dem digitalen Bereich. Der begeisterte Skifahrer ist seit 2013 als Business-Angel aktiv. Zusätzlich gehört er dem österreichischen Investorennetzwerk Startup300 an. Altrichter wohnt in Allhartsberg in Niederösterreich, ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von vier und fünf Jahren.

Foto: Kneidinger-Photography

Michael Altrichter hat alle Seiten des Unternehmerlebens kennengelernt. Mit seiner Firma Paysafecard stand er kurz vor der Pleite, einige Jahre später verkaufte er sie dann um mehr als 100 Millionen Euro. Seither agiert er als Investor und Business Angel für junge Firmen. Warum Selbstständigkeit in Österreich nach wie vor niedriges Ansehen genießt, versteht er nicht. Dass zu bürokratischen Hürden gesellschaftliche Missgunst dazukommt, mache die Situation in Österreich nicht einfacher. Überdies erzählt er, warum er auch unternehmerische Zombies nicht fallen lässt.

STANDARD: Man kennt Sie als Investor bei der Start-up-Sendung "2 Minuten 2 Millionen". Wie kommt ein bekannter Business-Angel zu "Ninja Warrior Austria", wo ein schwieriger Hindernisparcours zu bewältigen ist?

Altrichter: Ausdauersport war nie meine Sache, deshalb ist Ninja Warrior wie auf mich zugeschnitten. Es geht um Geschicklichkeit, Schnellkraft und Körperspannung. Während meiner Studentenzeit war ich Turner, das hilft. Zeit zum Trainieren hatte ich kaum, trotzdem bin ich mit dem Ergebnis zufrieden, auch wenn ich gerne bis zum Buzzer gekommen wäre. Von 500 Angemeldeten habe ich es in die Top 100 geschafft.

STANDARD: Ist die Gründung eines Start-ups mit einem Hindernislauf zu vergleichen?

Altrichter: Durchaus. Hier ist Ausdauer eine der Grundvoraussetzungen. Mit der Paysafecard standen wir mehrmals sehr kurz vor dem Aus. Ohne Durchhaltevermögen hätten wir den richtigen Markt wohl nicht gefunden.

STANDARD: Welcher war das?

Altrichter: Der E-Gaming-Markt.

STANDARD: Wie hat Ihre Unternehmerzeit begonnen?

Altrichter: Mit drei Freunden habe ich im Jahr 2000 die Paysafecard aus der Taufe gehoben. Wir hatten das Glück, einen Monat vor dem Platzen der Dotcom-Blase Investments von Willibald Dörflinger von AT&S und der Androsch Gruppe zu bekommen. Wir haben einen Hurra-Start hingelegt und geglaubt, wir erobern jetzt sofort die Welt.

STANDARD: Das war nicht so?

Altrichter: Anfangs hat es sich zwar so angefühlt, aber nein. Im Zuge unserer enormen Wachstumseuphorie haben wir das Geld mit vollen Händen zum Fenster rausgeworfen. Schlussendlich waren wir fast pleite. Es war ein harter Weg, bis wir 2012 an Skrill verkauft haben.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder von einer unternehmerfeindlichen Kultur in Österreich gesprochen. Wie sehen Sie das heute?

Altrichter: Wer sich selbstständig macht, wird immer noch schief angeschaut. Es geht los mit dem Tenor "Das schaffst du sowieso nicht". Schafft man es dann wirklich nicht, hat man es dir ja ohnehin gesagt. Hat man aber doch Erfolg, stehen die Neider vor der Tür. Es ist nicht einfach. Verstehen kann ich diese Haltung nicht, denn meiner Meinung nach leisten Selbstständige sehr viel für die Wirtschaft. Als ob die bürokratischen und steuerlichen Stolpersteine nicht ausreichen würden.

STANDARD: Lieber den Sprung ins Ausland wagen?

Altrichter: Es ist kein Muss. Mithilfe des Internets kann man sein Geschäft von überall betreiben. Fakt ist: Nur weil man auswandert, verbessert sich die Lage eines Gründers nicht automatisch. Das heimische Netzwerk fehlt im Ausland. Wer es hingegen schafft, sich im Silicon Valley gut zu vernetzen, hat praktisch unbegrenzte Möglichkeiten.

STANDARD: Gewinnen große Firmen wieder vermehrt an Attraktivität? Sehen Sie ein Abflachen des Gründerhypes?

Altrichter: Ganz im Gegenteil: Die Start-up-Welle greift nach wie vor um sich, und das ist gut so. Mittlerweile gibt es keine große Firma mehr, die sich nicht auch dem Thema Innovation und Start-ups widmet. Die beiden Welten "Start-up" und "Corporates" ticken ja in vielen Bereichen komplett unterschiedlich, andererseits können sie sich gegenseitig befruchten. Bei der Zusammenführung dieser beiden Welten braucht es jedenfalls jede Menge Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

STANDARD: Neun von zehn Start-ups scheitern. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Altrichter: Mit gezielter Vorselektion kann man diese Quote minimieren. Meine Investments teilen sich in drei Kategorien. Ein Teil ist erfolgreich und vervielfacht das Investment – das Wunschszenario. Der zweite Teil schlittert in die Insolvenz. Das tut anfangs weh, ist aber schnell vergessen. Mühsam ist es mit dem dritten Teil, den Zombies.

STANDARD: Was kann man sich unter besagten Zombies vorstellen?

Altrichter: Das Sprichwort "Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben" beschreibt deren Situation ganz gut. Diese Start-ups schleppen sich von Tag zu Tag. Man weiß, es wird nichts, aber fallen lässt man sie auch nicht, dafür sind sie zu weit.

STANDARD: Warum macht man das?

Altrichter: Ein Unternehmen ohne Perspektive auf ein funktionierendes Produkt und einen Markt zu unterstützen ist ziemlich anstrengend. Das gehört dazu. Deshalb sollte man in viele verschiedene Start-ups investieren, eine hohe Streuung im Portfolio erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eines wie Facebook dabei ist – auch wenn dieses Beispiel etwas überzeichnet ist.

STANDARD: Wie hoch ist der Anspruch für ein Investment?

Altrichter: "Fund-Returner" ist diesbezüglich das geflügelte Wort in der Investorenszene. Jeder hofft auf eine Beteiligung, die dir alle anderen Investments zurückzahlt.

STANDARD: Wie entscheiden Sie, in wen Sie investieren?

Altrichter: In erster Linie entscheide ich nach Bauchgefühl. Ein Businessplan ist für mich nebensächlich. Viele Ansätze darin sind ohnehin nur vorübergehend. Das Gründerteam muss passen. Es darf nicht zu groß und nicht zu klein sein. Drei oder vier Personen sind in meinen Augen perfekt. Bei fünf Gründern kommt es fast immer zu Streitigkeiten, eine oder zwei Personen sind schnell einmal überfordert. Ich muss den Menschen hinter dem Produkt vertrauen können, und diese wieder um müssen ihrem Produkt vertrauen. Sonst hat das keinen Sinn.

STANDARD: Wie weit nehmen Sie Einfluss auf die Geschäfte?

Altrichter: Ins operative Geschäft mische ich mich kaum ein. Von Zeit zu Zeit müssen manche Gründer ein bisschen gebremst werden. Wollen sie schon das zweite oder dritte Produkt entwickeln, obwohl das erste noch nicht richtig funktioniert, muss die Spur ein bisschen vorgegeben werden. Andere Gründer wiederum müssen gepusht werden, da sie zu lange am Produkt herumdoktern und zu langsam auf den Markt gehen. Man agiert sozusagen als Sparringpartner, da geht es vor allem um kritische Fragen, die den Unternehmen zum Nachdenken bringen.

STANDARD: Wie sieht die Unterstützung aus?

Altrichter: Das Wichtigste ist, jungen Menschen den Zugang zu dem entsprechenden Netzwerk zu ermöglichen und ihnen mit Know-how zur Seite zu stehen. Geld kommt erst an dritter Stelle. Beim Geld kommt es allerdings darauf an, dass es gut eingesetzt wird.

STANDARD: Wo liegt Ihre finanzielle Schmerzgrenze für ein Investment?

Altrichter: Ich investiere mindestens 50.000 Euro, darunter rentiert es sich kaum. In einem zweiten Schritt, wenn man bereits mehr Gefühl für das Projekt hat, lege ich in etwa 200.000 Euro nach. Mein Maximum sind 500.000 Euro.

STANDARD: Werden Ihnen die Anfragen manchmal zu viel?

Altrichter: Nein, denn eine freundliche Absage tut niemandem weh. Ärgerlich ist es nur, wenn Menschen kein Gespür haben und nicht merken, dass man gerade keine Zeit oder keinen Kopf für eine neue Idee hat.

STANDARD: Und die Bekanntheit?

Altrichter: Ich habe mir meinen Platz in der Start-up-Szene selbst erarbeitet, und darauf bin ich stolz. Meine Privatsphäre und die meiner Familie leiden jedenfalls nicht darunter, deshalb war es eine gute Entscheidung, mich öffentlich zu positionieren.

STANDARD: Erwarten Sie größere heimische Exits in nächster Zeit?

Altrichter: Es wäre Zeit, dass in Österreich ein Unicorn (ein Unternehmen, das mit einer Milliarde US-Dollar bewertet wird, Anm.) auftaucht. Das hätte nachhaltige Breitenwirkung. Beispiele wie Runtastic, Sensordynamics und auch die Paysafecard zeigen, dass so etwas die lokale Wirtschaft beflügelt. Natürlich vorausgesetzt, das Geld bleibt im Land (Andreas Danzer, 26.11.2017)