In einer "Sufi-Moschee" beten nicht nur Angehörige eines Sufi-Ordens, sondern auch ganz normale Muslime.

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Eine der Theorien zum Anschlag im Dorf Rawdah auf dem ägyptischen Sinai ist, dass es sich bei der attackierten Moschee um eine "Sufi-Moschee" handelte. Allerdings machen manche Beobachter darauf aufmerksam, dass in Rawdah, westlich der Gouvernementshauptstadt al-Arish, eine Volksgruppe lebt, die mit der ägyptischen Regierung gegen Extremisten zusammenarbeitet: Das wäre Grund genug für einen Angriff.

Auch darf man sich vom Begriff Sufi-Moschee nicht irreleiten lassen: Dort beten nicht nur Sufis, also Angehörige eines Sufi-Ordens, in solche Moscheen gehen ganz normale Muslime. Außer eben sehr Strenge und Radikale, denen der Sufismus von suspekt bis zu häretisch und verhasst ist.

Der Sufismus, arabisch "tasawwuf", meist als "Form eines mystischen Islam" erklärt, gehört zu Ägypten wie der Nil. Im Selbstverständnis ist tasawwuf – den es sowohl bei Sunniten als auch Schiiten gibt – ein spiritueller Weg zu Gott (oder auch einer der Wege zu Gott), und die sufischen Brüderschaften verwenden genau dieses Wort: Orden heißt "tariqa", Weg. Um diese Spiritualität zu erreichen, gibt es verschiedene Praktiken, wie etwa "dhikr", das Wiederholen des Namen Gottes, bis zur Trance.

77 anerkannte Orden

In Ägypten gibt es 77 offiziell anerkannte Orden. Der größte ist die im 14. Jahrhundert gegründete "Shadhiliya": Ihr Gründer war ein in Marokko geborener Mystiker, der im ägyptischen Alexandria begraben ist. Ein anderer großer Orden ist etwa die "Rifa’iya", die im 12. Jahrhundert im Irak entstand. Die Gründungsdaten sind ein Hinweis: Das war eine Zeit, in der es den Islam noch in vielen Erscheinungsformen gab, der nicht nur mystische Wege zu Gott suchte, sondern auch metaphorische Deutungen des Koran zuließ. Damals war auch die Blütezeit der esoterischen heterodoxen Sekten, die außer islamischen Wesenszügen auch andere – jüdische, christliche, neoplatonische – inkorporierten. In dieser Zeit begann aber auch schon der Salafismus seinen Kahlschlag, der bis heute andauert.

Es sind nur Schätzungen, aber bis zu zwanzig Prozent der Ägypter dürften Sufi-Orden zumindest nahestehen. Dass der Sufismus in Ägypten so verwurzelt ist, hat mehrere Gründe. Manche sehen ihn gar als Abgrenzung zu einem "arabischen" Islam, als genuin ägyptisches Erbe. Der Sufismus hat aber auch schiitische Elemente erhalten, die die Sunnifizierung ab Ende des 12. Jahrhunderts überdauert haben: Denn Ägypten wurde ja von 909 bis 1171 von den Fatimiden beherrscht, das war eine schiitische Dynastie (allerdings waren die Fatimiden Ismailiten: eine schiitische Gruppe, die sich von der Hauptschia im 8. Jahrhundert abspaltet).

Ein Dorn im Auge der Salafisten

Das alles ergab einen Volksislam, der den Radikalen ein Dorn im Auge ist. Dazu gehören etwa die beliebten "Mawlid"-Zeremonien: Da wird der Geburtstag des Propheten Mohammed gefeiert, was laut Salafisten eine unerwünschte unislamische Neuerung ist, obwohl die Tradition natürlich hunderte Jahre alt ist. Ebenfalls ein Ärgernis und oft Ziel von Angriffen sind die vielen Sufi-Schreine, meist Mausoleen von angesehenen Sufi-Lehrmeistern (Scheichs), die über den Tod hinaus quasi als Heilige verehrt werden.

Der Sufismus in Ägypten ist jedoch nicht erst in den letzten Jahren unter Druck geraten. Das Verschwinden der Sufi-Schreine im Nildelta in den letzten Jahrzehnten ist dokumentiert. Die oben erwähnte Verengung des Islam hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigt, besonders der Austausch mit Saudi-Arabien hat zur Ausbreitung eines Islam mit strengen salafistischen Zügen geführt.

Nähe zum Regime

Dem Sufitum in Ägypten hat aber auch die Nähe von Teilen des Sufi-Establishments zum ägyptischen Staat geschadet. Sie suchten beim Regime vor den Extremisten Schutz und boten dadurch nur noch mehr Angriffsfläche. Es gibt einen staatlichen "Höchsten Rat der Sufi-Orden", der darüber wachen soll, dass das ägyptische Sufitum nicht zu stark vom Mainstream-Islam abweicht.

Viele führende Persönlichkeiten in der theologischen Hochschule al-Azhar (übrigens ursprünglich auch eine fatimidische, also schiitisch-ismailitische Gründung) sind Sufis, auch der Großimam von al-Azhar, Ahmad al-Tayyib, der sogar ein sufischer Scheich ist, ein Position, die oft erblich ist. Auch der Gründer der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna war ursprünglich ein Sufi, der sich jedoch von den mystischen Praktiken abwandte.

Radikalisierte Sufis im Irak

Zuletzt ist auch noch mit einer oft gehörten romantischen Behauptung aufzuräumen: dass Sufitum und Radikalität einander ausschließen. Im Irak hat sich ein Teil des Naqshbandi-Ordens radikalisiert, bei dem der Vizepräsident des 2003 gestürzten Diktators Saddam Hussein eine Rolle spielte: Izzet Ibrahim al-Duri, von dem man bis heute nicht mit hundertprozentiger Sicherheit weiß, ob er tot ist. Die "Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens", nach dem arabischen Namen abgekürzt JRTN, ist ein wildes Gemisch von Islamisten mit Sufi-Hintergrund und Angehörigen des alten Regimes. Sie war bei der Eroberung von Mossul durch den "Islamischen Staat" beteiligt. (Gudrun Harrer, 25.11.2017)