Die Moschee in al-Rawdah nach dem Anschlag.

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Es war mehr als nur ein schrecklicher terroristischer Akt, dem am Freitag im Dorf al-Rawdah auf dem ägyptischen Sinai mehr als 300 Menschen zum Opfer fielen: Das war eine ausgeklügelte militärische Operation, ausgeführt von wenigen Jihadisten in einem Gebiet, in dem die ägyptische Armee seit Jahren Krieg führt – und behauptet, diesen zu gewinnen.

Es handelt sich dabei um die größte Armee der arabischen Welt, politisch mächtig, international vernetzt, wohlausgerüstet und gut ausgebildet, mit israelischen Geheimdienstinformationen über Terroristenbewegungen in der Region ausgestattet. Israel hat darüber hinaus, im eigenen Sicherheitsinteresse, der Aufrüstung der Ägypter in einem Gebiet zugestimmt, in dem laut dem israelisch-ägyptischen Friedensvertrag eigentlich Entmilitarisierungsregeln gelten.

Die "Rache"-Rede

Das Versagen der ägyptischen Sicherheitskräfte ist offensichtlich, und Präsident Abdelfattah al-Sisi kann sie mit seiner martialischen Rede nicht zudecken. Im Gegenteil, seine "Rache"-Ankündigung ist ein Hinweis darauf, dass die ägyptischen Behörden es trotz vieler Beteuerungen bisher nicht geschafft haben, den Sinai anders zu sehen als durch die Sicherheitsbrille. Trotz einzelner Erfolge, die Bevölkerung auf die Seite des Staates zu ziehen – der sie dann, siehe die Attacke in al-Rawdah, nicht ausreichend schützt und Warnungen in den Wind schlägt –, bleiben die Volksgruppen auf dem Sinai der Zentrale in Kairo weitgehend entfremdet.

In vielen Medienberichten ist nun die Rede davon, dass Ägypten diesen Krieg seit dem Sturz des Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Morsi im Juli 2013 zu führen hat: So kann die Situation dem untergetauchten und radikalisierten Teil der Bruderschaft angelastet werden. Aber ganz so einfach ist das nicht. Gerade die sich verschlechternde Situation auf dem Sinai war ja schon einer der Gründe für den Sturz Morsis durch den damaligen Armeechef Sisi. Morsi wurde vorgeworfen, die Lage nicht in den Griff zu bekommen. Genau das gleiche gilt jetzt für Sisi.

Und es ist ihm bewusst, dass da etwas schief läuft: Erst Ende Oktober feuerte er – unter etlichen anderen – den Armeechef (seinen Schwiegersohn), nachdem im Südwesten von Kairo mindestens 16 Sicherheitskräfte bei einem Hinterhalt getötet worden waren. Das Grenzgebiet zu Libyen ist die andere große Front in diesem Krieg.

Der neue IS

Laut Augenzeugen trugen die Angreifer in al-Rawdah eine Fahne des "Islamischen Staates": Außer lokalen Kräften sollen auch bereits aus Syrien und dem Irak abgewanderte IS-Elemente für den "Wilayat Sinai", die IS-Filiale auf dem Sinai, kämpfen. Dass die Geschichte des IS nicht ihr Ende findet, wenn er sein staatsähnliches Territorium verliert, war allen klar. Die Attacke auf dem Sinai ist eine eindrückliche Erinnerung daran, wie viele schwache Stellen es gibt, wo er wieder Fuß fassen könnte. (Gudrun Harrer, 26.11.2017)