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In Dadaab in Kenia befindet sich das weltweit größte Flüchtlingslager. Von einer städtischen Struktur ist es immer noch weit entfernt.

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In vielen Entwicklungsländern steht nicht genügend urbaner Raum zur Verfügung, sagt Castle Miller.

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STANDARD: Sie beraten als Anwalt Regierungen in Entwicklungsländern dabei, Sonderwirtschaftszonen in ihren Ländern einzurichten. Wozu sollen diese gut sein?

Castle Miller: Für ausländische Investoren kann es sehr schwierig sein, in einem Entwicklungsland Baugenehmigungen, Zugang zu Strom oder Anschluss zu guter Infrastruktur zu bekommen. Sonderwirtschaftszonen sollen diese Handelsbeschränkungen abbauen, damit Unternehmen eher in einem Entwicklungsland investieren. Da diese Zonen in einem räumlich beschränkten Gebiet existieren, dienen sie auch dazu, neue politische und wirtschaftliche Reformen auszuprobieren.

STANDARD: Besteht hier nicht die Gefahr, dass durch laxere Regulierungen Arbeitsrechte oder Umweltstandards gefährdet werden?

Castle Miller: Leider hat ein Großteil der Zonen bisher in diesen Standards sehr schlecht abgeschnitten. Die Zonen sollten sich daran richten, welchen Entwicklungsweg das Land als Ganzes einschlagen will und wie es die Lebensqualität aller erhöhen kann. Arbeits- und Umweltstandards erhöhen die Lebensqualität, wovon auch die Unternehmen langfristig profitieren.

STANDARD: Bei Ihrer Nichtregierungsorganisation Refugee Cities versuchen Sie, Sonderwirtschaftszonen auf die Flüchtlingskrise anzuwenden. Wie soll dieses Konzept bei der Bewältigung helfen?

Castle Miller: In Ländern, die eine große Anzahl von Flüchtlingen beherbergen, entstehen illegale Siedlungen, in denen Geflüchtete meist keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Refugee Cities sollen das Bauen erleichtern und legale Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Sie befinden sich in Sonderwirtschaftszonen, um ausländische Investoren anzuziehen, die Flüchtlinge und Migranten anstellen und in die Infrastruktur investieren. Gleichzeitig sollen Flüchtlinge darin bestärkt werden, eigene Firmen zu gründen.

STANDARD: Wie können diese Städte in der Praxis entstehen?

Castle Miller: Eine Möglichkeit ist es, ein bestehendes Flüchtlingslager umzuwandeln, eine grundlegende Infrastruktur, Brunnen und sanitäre Anlagen zu errichten. Das hätte den Vorteil, dass die Menschen an dem Ort bleiben können. Intelligenter wäre es, nahe an einer anderen Stadt zu bauen, die bereits über eine Infrastruktur verfügt. Man könnte auch bisher ungenutztes Land dafür heranziehen, es in Grundstücke einteilen und den Geflüchteten erlauben, das Land zu bewirtschaften und Güter anzubauen, die sie am Markt verkaufen können.

STANDARD: Wie kann die Regierung von diesen Städten profitieren?

Castle Miller: Grundlegende Wirtschaftswissenschaft zeigt, dass es dem Land wirtschaftliche Vorteile bringt, wenn es Migranten erlaubt zu arbeiten. Migranten füllen Lücken im Arbeitsmarkt, sie schaffen Jobs, wenn sie eigene Unternehmen gründen, sie stimulieren die Wirtschaft, indem sie Produkte und Dienstleistungen kaufen und verkaufen. Eine gelungene Integration von Migranten und Geflüchteten im Arbeitsmarkt stiehlt der heimischen Bevölkerung langfristig keine Arbeitsplätze.

STANDARD: Haben Geflüchtete die notwendigen Fertigkeiten, sich in einen fremden Arbeitsmarkt zu integrieren?

Castle Miller: Viele Geflüchtete haben einen unglaublichen Trieb, Hindernisse zu überwinden. Es gibt großes Potenzial bei elektronischen Dienstleistungen, indem beispielsweise Übersetzungsarbeit ausgegliedert wird. Manche Akademien trainieren Geflüchtete im Programmieren, die dann später Kooperationen mit Technologieunternehmen eingehen.

STANDARD: Wer soll diese Bauprojekte umsetzen?

Castle Miller: Eine große Rolle kommt der nationalen Regierung zu. Aber auch internationale Organisationen sollten eingebunden sein, die etwa Hilfsgelder für den Anfang anbieten. Die EU könnte durch Diplomatie, technische Hilfeleistung oder den Transfer von Wissen unterstützen. Sie könnte die eigenen Handelsbarrieren reduzieren, um den Wirtschaftszonen den Export zu erleichtern.

STANDARD: Was passiert mit den Städten, wenn sich Geflüchtete dazu entschließen, in ihr Heimatland zurückzukehren?

Castle Miller: In vielen Entwicklungsländern steht ohnehin nicht genügend urbaner Raum zur Verfügung. Wenn Geflüchtete wieder wegziehen, profitieren andere von den Gebäuden und der zusätzlichen Infrastruktur. Stellen Sie sich vor, was es mit Ihrer Psyche macht, wenn Sie fünfzehn oder zwanzig Jahre in einem fremden Land verbringen, wo Sie ihre Fertigkeiten nicht nutzen können. Auch Ihr Arbeitswissen wird darunter leiden. Wenn Geflüchtete in einem Unternehmen gearbeitet haben, bringen sie neues Wissen in ihre Heimatländer zurück. Ruanda ist dafür ein gutes Beispiel: Während des Genozids 1994 flüchteten hunderttausende Ruandesen nach Uganda, wo sie legal arbeiten durften, was ihnen einen Teil ihrer Würde zurückgab und dazu beitrug, das Land teilweise wieder aufzubauen.

STANDARD: Wie sehr können diese Städte dazu beitragen, die Flüchtlingskrise zu bewältigen?

Castle Miller: Es gibt zwei unterschiedliche Arten, Migration zu reduzieren: erstens durch starke Sicherheitskontrollen und Polizeipräsenz an der Grenze. Allerdings werden Flüchtlinge immer einen Weg finden, in ein Land zu kommen. Zweitens, indem Chancen in den Herkunftsländern geschaffen werden. Es spielt auch eine Rolle, wie sich das Land selbst sieht, wie es das "wir" definiert, wie weit oder eng es diesen Begriff auslegt. Ich hoffe, dass wir es schaffen, diesen Identitätsbegriff zu erweitern, Ausländer nicht als Gefahr zu sehen, nur weil sie anders als wir sind. (Jakob Pallinger, 27.11.2017)