Qandeel Baloch wurde von ihrem Bruder ermordet.

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Islamabad – Der Täter zeigte keine Reue und ließ sich noch am Tatort von der Polizei festnehmen: "Ich habe meine Schwester und ihren Liebhaber getötet, weil sie die Ehre unserer Familie beschmutzt haben", verkündete der 17-jährige Zulqarnain selbstsicher. Vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes im pakistanischen Multan erschoss er im Sommer die 22-jährige Kulsoom Bibi und ihren Mann, weil ihm die Liebesheirat der Schwester ein Dorn im Auge war. Sogenannte Ehrenmorde sind immer noch sehr häufig in Pakistan. Dabei hat die Regierung vor einem Jahr das Gesetz verschärft, um die Morde an Frauen durch Familienmitglieder besser verfolgen zu können.

Zuvor hatten die Angehörigen des Opfers das Recht gehabt, dem Täter nach dem islamischen Diyat-Gesetz zu vergeben. Verfahren wurden eingestellt, fast immer kamen die Täter ungeschoren davon.

Doch dann erregte der Mord an Social-Media-Star Qandeel Baloch internationales Aufsehen. Baloch war im Juli 2016 von ihrem Bruder Muhammed Waseen und ihrem Cousin Haq Nawaz erwürgt worden. Grund: Selfies, die Baloch auf ihrer Facebook-Seite für ihre 780.000 Follower postete. Die Fotos, für westliche Verhältnisse eher harmlos, waren für Pakistans streng konservative Gesellschaft eine Provokation: Die 26-jährige Schauspielerin zeigte sich ohne Kopftuch, manchmal sogar schulterfrei und in enganliegenden Hosen und Tops. Ein Selfie zeigte sie mit dem bekannten islamischen Geistlichen Mufti Abdul Qawi, er verlor daraufhin seinen Posten in einem religiösen Rat.

Vergebung untersagt

Der Mord an Baloch entfachte eine hitzige gesellschaftliche Diskussion in Pakistan: In einem ungewöhnlichen Schritt erhob der Staat Anklage gegen den Bruder von Baloch und unterband so die Möglichkeit, dass die Eltern dem Täter vergeben und das Verbrechen nicht vor Gericht bringen würden. Wenig später schloss Pakistans Parlament das legale Schlupfloch und untersagte Vergebung durch die Familie im Fall von Ehrenmord.

Doch ein Jahr später ist die Euphorie verflogen. Inzwischen hat ein Gericht in Multan den Geistlichen verhaften lassen, laut Anklage soll nun der Mufti den Mord an Baloch in Auftrag gegeben haben. Die Täter sollen am Tag der Tat mit dem Auto des Mullahs unterwegs gewesen, und Baloch soll in dem Haus eines engen Freundes des Geistlichen erwürgt worden sein. Während das Gerichtsverfahren im Fall Baloch nach mehr als einem Jahr endlich angelaufen ist, sind die Eltern der ermordeten Tochter nicht mehr so sicher, ob ihr Sohn bestraft werden soll.

Die unabhängige Menschenrechtskommission des Landes verzeichnete allein zwischen Oktober 2016 und Juni 2017 mindestens 280 Ehrenmorde. Die wahre Zahl dürfte bei weit über 1.000 liegen. Das Justizversagen stärkt die auf dem Land verbreiteten Femegerichte: Tribunale von Stammesältesten oder Geistlichen verhängen oft mittelalterliche Strafen wie Steinigung oder Vergraben bei lebendigem Leibe. (Agnes Tandler, 27.11.2017)