Ärztekammer-Chef Szekeres verteidigt Pflichtmitgliedschaft.

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Graz/Wien – Den türkis-blauen Regierungsverhandlern in Wien bläst Gegenwind aus der Steiermark entgegen. Ihr kolportierter Plan, das Kammersystem in Österreich radikal umzubauen und die Pflichtmitgliedschaften bei ebendiesen abzuschaffen, provoziert eine breite Solidarisierung unter den Kammern. In einer ungewöhnlichen Koalition haben sich quer durch alle Parteien Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Ziviltechniker-, Landwirtschafts- und Landarbeiterkammer bis hin zur Ärzte-, Apotheken- und Notariatskammer zu einer Solidaritätsaktion zusammengeschlossen.

Selbst die Zahnärztekammer, in deren weiteren Umkreis auch der gelernte Zahntechniker, FPÖ-Chef und Kammer-Kritiker Heinz-Christian Strache tätig war, trägt die Protestplattform mit. Tenor der gemeinsam verkündeten Haltung: Die Kammern beharren auf ihrem "Recht auf Selbstverwaltung und Selbstbestimmung".

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"Es geht", sagt der steirische Arbeiterkammerpräsident Josef Pesserl, "darum, das österreichische Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft und den sozialen Frieden zu erhalten." Internationale Studien hätten nachgewiesen, dass die Sozialpartnerschaft positiv die Lohnentwicklung beeinflusse und Arbeitslosigkeit entgegenwirke. "Kammern sind mit ihrer gesetzlichen Mitgliedschaft und der demokratischen Wahl ihrer Repräsentanten ein Gegenpol zur staatlichen Allmacht", ergänzt der steirische Wirtschaftskammerchef Josef Herk.

Keine Angst vor Urabstimmung

Eine Auflösung des Kammersystems würde die Kollektivvereinbarungen kippen, warnt Pesserl. Ärztekammer-Präsident Herwig Lindner gibt noch eines drauf: "Ohne den Schutz der Kammern ist der Einzelne den Mächtigen schutzlos ausgeliefert". Ähnlich argumentiert die Landeschefin der Zahnärztekammer, Veronika Scardelli: Es drohe "Lobbyismus und Einzelkämpfertum".

Urabstimmungen über die Pflichtmitgliedschaft fürchten die Kammerchefs eigenen Worten nach nicht. Bisherige Befragungen hätten deutliche Mehrheiten – bis zu 90 Prozent für die Beibehaltung – ergeben.

Wirtschaftskammerchef Herk hofft jedenfalls, dass die steirische Initiative eine Signalwirkung auf andere Bundesländer oder gar auf Bundesebene ausüben möge, um den Druck zu erhöhen.

Bisher hätten diesbezüglich bloß informelle Gespräche stattgefunden, erklärt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer auf STANDARD-Nachfrage. Es sei aber klar, dass er gegen eine Aufweichung der Pflichtmitgliedschaft sei. Szekeres verweist auf hoheitliche Aufgaben, die von der Standesvertretung erfüllt werden. Dazu zählt etwa die Überprüfung und Anerkennung von Aus- und Fortbildungen, die Eintragung in Ärztelisten oder auch die Kontrolle über das Disziplinarrecht – nur die Ärztekammer kann Medizinern das Recht zu praktizieren entziehen. Müssten diese Verwaltungsaufgaben vom Staat übernommen werden, würde das Kosten verursachen. Auch einer Reduzierung der Kammerumlage steht er skeptisch gegenüber. Sie speist den Wohlfahrtsfonds, also den Pensionstopf der Ärzte. Würden aktive Ärzte aussteigen oder weniger bezahlen, müsste der Staat einspringen. (mte, mue, 27.11.2017)