"Vorstadtweiber" und Schuhträgerinnen (v. li.): Hilde Dahlik, Martina Ebm, Gerti Drassl, Nina Proll, Maria Köstlinger.

Foto: ORF/Thomas Ramstorfer

"Vorstadtweiber"-Regisseure Sabine Derflinger (li.) und Harald Sicheritz mit ORF-Programmchefin Kathrin Zechner.

Foto: ORF/Thomas Ramstorfer

Am 8. Jänner 2018 geht Österreichs derzeit erfolgreichste Serie in die dritte Staffel. Die "Vorstadtweiber" Gerti Drassl, Maria Köstlinger, Martina Ebm, Nina Proll und Hilde Dahlik, steigen mit Bernhard Schir, Johannes Nussbaum, Philipp Hochmair und Jürgen Maurer wieder ins Intrigenkarussell, neu dazukommen sind unter anderen Doris Golpashin und Thomas Stipsits. Die Regiearbeit teilten sich Sabine Derflinger und Harald Sicheritz wie schon in den Staffeln zuvor zu gleichen Teilen. Derflinger drehte die ersten fünf Folgen, Sicheritz übernahm die zweiten fünf.

STANDARD: Was bringt die neue Staffel?

Derflinger: Vor allem Witz und ganz viele überraschende Momente. Für mich war die Arbeit dieses Mal besonders lustig, weil die Figuren schon so weit entwickelt sind, weil wir ausgefallene Sachen machen konnten und weil die Frauen als Gruppe so toll waren.

Sicheritz: Ich habe die zweite Hälfte der Folgen betreut, und für mich war dominierend, dass die Geschichte noch stärker auf den Charakteren basiert und nicht von Plots getrieben ist. Das war eine konsequente Entscheidung. Wir wollten erzählen, wie es den Figuren geht, den bekannten ebenso wie den neuen. Das hat große Freude gemacht, weil ich ja gern ein Pinsler von Sittengemälden bin.

STANDARD: Wie sieht denn die Zusammenarbeit konkret aus, wo und wann gibt es Absprachen?

Derflinger: Wir setzen uns ganz am Anfang zusammen, reden über Besetzung, Inhalte.

Sicheritz: Am Anfang gibt es viel zu reden und auch viel durchzukämpfen. Aber wenn das einmal steht, schaut man sich an, was der andere gemacht hat. Das reicht schon, denn die Kontinuität kommt in dem Fall vom Autor Uli Brée. Gäbe es mehrere Teams, müssten die wahrscheinlich auch mehr kommunizieren.

STANDARD: Wo mussten Sie durchkämpfen?

Derflinger: Das sind Diskussionen, bis das Ding geboren ist: Wie sind die Figuren, wie schauen die aus, in welchem Umfeld bewegen sie sich, wie weit darf das gehen, wie schließt das an, was ist das Neue daran?

Sicheritz: Das ist die Phase, wo wir uns austauschen müssen, weil das in unserem Beruf nun einmal so ist. Das ist aber ein sehr schöner Prozess. Den Konsens zu finden hat etwas sehr Beruhigendes.

STANDARD: Wo sehen Sie die Stärken des jeweils anderen?

Sicheritz: Eine charmante Frage, weil sie in einem STANDARD-Interview Nina Proll schon einmal gestellt wurde und sie sich in einer Weise äußerte, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte.

STANDARD: Nina Proll sagte, dass Sie sehr darauf bedacht seien, dass die Frauen "schön" aussehen – dass zum Beispiel Nicoletta, wenn sie aus dem Gefängnis kommt, aufgemascherlt ist, während Sabine Derflinger sie eher abgerissen darstellen würde.

Sicheritz: Das halte ich für eine Unterstellung, denn das ist ja nicht Nina Proll, die so kommt, sondern die Figur Nicoletta, und bei dieser Gefängnisszene war für mich völlig klar, dass sie aus dem Gefängnis rausgehen muss, als wäre nie etwas gewesen. Es gibt manchmal verschiedene Einschätzungen, was eine Figur tut. Wenn ich über Stärken nachdenke, würde ich sie nicht auf Einzelpersonen beschränken wollen. Dass wir hier sitzen und über die dritte Staffel reden, halte ich für die größte Stärke, die wir alle gemeinsam an diesem Ding vollbracht haben. Wenn ich in der Lage war, mir etwas von dir, Sabine, anzuschauen, war für mich immer klar, dass hier jemand arbeitet, der es kann. Das ist grundsätzlich das beste und beruhigendste Gefühl, das man in unserer Arbeit haben kann.

Derflinger: Wir haben dieses Mal neue Figuren, und da war ich mir nicht immer ganz sicher. Dann weiß ich aber, wenn du sagst, das funktioniert und das nicht, darauf kann ich mich tausendprozentig verlassen.

STANDARD: Was gefällt Ihnen weniger an der Arbeit des anderen?

Derflinger: Das kann man so ja nicht sagen. Du hast einen viel schrägeren, wilderen Humor und bist in der Komödie bis zur Groteske gegangen. Ich bin dann doch näher an den Figuren. Aber für mich ist es schon erstaunlich und toll, dass es trotz unserer unterschiedlichen Herangehensweisen ein Format bleibt.

Sicheritz: Das würde ich auch betonen wollen. Es würde mir schwerfallen, an Sabine Schwächen auszumachen. Man darf nicht vergessen, dass alles, was wir hier verhandeln, als Hintergrund einen Menschen – nämlich Uli Bree – hat, der alle Bücher schreibt

Derflinger: Ich habe eine Schwäche für Schuheinstellungen.

Sicheritz: Das ist ein Faktum, das kann man statistisch belegen. Aber weil du gerade gesagt hast, "wild". Das finde ich interessant, weil nachdem ich deine ersten Folgen von Staffel eins gesehen habe, habe ich gedacht: Ganz schön tough, das geht in die Vollen. Das hat auch sehr viel vom Erfolg ausgemacht.

STANDARD: Und wie ist das in der Eigenbewertung? Wo würden Sie sagen: Das ist mir jetzt wirklich gut gelungen?

Sicheritz: Denkst du das jemals?

Derflinger: Da gibt es schon einiges. Ich liebe ganz besonders Gruppenarrangements, kleine Choreografien, Schmähs, die über große Körperlichkeit gehen. Ich verteile gern Figuren im Raum und mag es, wenn der Rhythmus stimmt. Jemand rutscht zum Beispiel auf einer Bananenschale aus, das finde ich gut.

Sicheritz: Stimmt, die Bananenschale ist zumeist lustig. Vielleicht blitzt bei mir manchmal durch, dass ich ursprünglich dachte, Musikant zu sein und es auch bleiben zu wollen. Wenn eine längere Sequenz den Rhythmus hat, den ich mir vorstelle, dann geht's mir gut. Aber das ist dann nicht eine Leistung von mir, sondern eine Ensembleleistung.

STANDARD: Und was strengte an?

Derflinger: Für mich war die Zeit zu kurz. Die Serie wird behandelt wie jede andere auch. Wir haben oft fünf Frauen im Bild, ich muss die Szene aber genauso drehen, als wären es nur zwei. Die Serie hat über 40 Motive, ich glaube nicht, dass es im internationalen Fernsehen Vergleichbares gibt. Mein größtes Problem an der Arbeit mit den "Vorstadtweibern" ist, dass ich immer das Gefühl hatte, mir geht die Luft aus, weil ich keine Zeit habe. Wir können nie sagen, jetzt probieren wir einmal etwas aus.

Sicheritz: Wir hatten acht Drehtage pro Folge, und das ist sehr wenig. Die "Vorstadtweiber" sind schließlich nicht irgendeine Serie, sondern wir sprechen hier vom Serienflaggschiff des ORF. Das soll ja etwas gleichschauen, und dafür werden wir nicht wirklich toll behandelt. Das ist schade, denn es geht nicht um viel, ein, zwei Tage mehr würden schon helfen.

Derflinger: Ich habe oft das Gefühl, wir müssen so eine Art Rennpferd sein, was ich für völlig unnötig halte. Am Ende stehen die Erschöpfung und die dunkle Vermutung, ich soll mir gar keine Gedanken machen, ob es gut ist oder nicht, sondern einfach nur froh sein, dass ich die Arbeit überlebt habe. Eine seltsame Angststrategie, vielleicht etwas Ur-Österreichisches.

Sicheritz: Völlig richtig, ich weiß aber nicht, ob das speziell österreichisch ist, sondern eher katholisch, nach dem Motto: Es muss gelitten werden.

STANDARD: Eine vierte Staffel ist noch nicht ausgemacht, aber wenn es die Idee für einen Ableger geben sollte – wer wäre Ihrer Meinung nach geeignet?

Sicheritz: Schwierig, weil man niemanden bevorzugen will.

Derflinger: Absolut jede Figur wäre geeignet, aber ein Spin-off müsste etwas sein, das über die Staffel hinausgeht. Wir haben diese tolle Serie, und wenn es einen Ableger geben soll, müsste die ganz woanders hochkleschen.

Sicheritz: Es könnte jede Figur sein. Die Kriterien würde ich auch unterschreiben, was das können muss. Abgesehen davon, dass der ORF es nicht haben wird wollen, weil das ja klar kapitalistischen Prinzipien unterliegt.

Derflinger: Man kann über die Serie sagen, was man will, aber die stärkste Stärke sind die Figuren, dass jede ein halbes Universum an Geschichten mit sich bringt. Die Art der Figurenentwicklung hat internationales Format, für den Rest bräuchte es natürlich andere Möglichkeiten.

STANDARD: Die zwingende Frage dieser Tage muss auch gestellt werden: Wo stehen Sie – #MeToo oder #NotMe?

Sicheritz: Ich hoffe, dass diese Diskussion konstruktiv für alle Beteiligten ausgeht, manchmal bin ich mir aber nicht sicher. Ich bin im Kopf nicht alt, aber für mich ist es unübersichtlich, das gestehe ich gern ein. Ich glaube aber, von mir behaupten zu können, dass ich mein Leben lang noch nie eine Frau schlecht behandelt habe.

Derflinger: Ich glaube, dass es gut ausgeht. Einer meiner ersten Filme war über Kindesmissbrauch, und das war zu einer Zeit, in der das in Österreich überhaupt kein Thema war. Natürlich gibt es Kindesmissbrauch heutzutage leider immer noch, aber es ist eindeutig, dass es ein No-Go ist. Die Reaktionen auf #MeToo jetzt sind völlig logisch. Wenn auf etwas so lange der Deckel drauf ist, dann kommt es wie eine Explosion hoch. Das müssen wir halt jetzt alle aushalten. Das beinhaltet aber auch die Chance, dass sich etwas ändert, dass die Sexualisierung, die ständig stattfindet, nicht mehr selbstverständlich ist. Ich kenne genug Leute, die es betrifft und die sexuell übergriffig sind, und denen geht jetzt ordentlich der Arsch auf Grundeis.

STANDARD: Nützt die Debatte jemandem, so wie sie jetzt geführt wird?

Sicheritz: Wir wissen noch nicht genau, wie Facebook & Co funktionieren und was es mit uns macht. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Revolution ist, aber es ist eine Veränderung, und die kommen ja auch immer teilrational an. Die dummen Männer sind vor zwanzig Jahren auch anders mit Frauen umgegangen als jetzt. Das ist nicht etwas, das man feiern muss, aber es hat sich schon viel geändert. Es gibt so kleine Schritte in der Menschheit, die kann man schwer beschleunigen.

Derflinger: Da wird es viele Verletzungen geben, und viele fühlen sich missverstanden. Feminismus heißt, dass es gleiche Möglichkeiten für Männer und Frauen gibt. Wie das gehen soll, dafür gibt es kein Patentrezept. Aber es ist Veränderung angesagt, und wie immer, wenn es eine Revolution gibt, gibt es auch Blutspritzer. Ich glaube trotzdem, dass es gut ausgehen kann, aber es sind alle gefordert, Männer wie Frauen. (Doris Priesching, 29.11.2017)