Einst initiierte FPÖ-Chef Jörg Haider das Antiausländervolksbegehren ...

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... später mobilisierte Nachfolger Heinz-Christian Strache für ein Plebiszit gegen die EU-Verfassung – wohl nicht zuletzt deswegen gibt es zwischen Blau und Türkis noch keinen Konsens zum gemeinsam anvisierten Ausbau der direkten Demokratie.

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Wie schon Alt-Bundespräsident Heinz Fischer warnt Andreas Schieder (SPÖ) angesichts der türkis-blauen Pläne vor einer "Ja-Nein-Demokratie".

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Nikolaus Scherak von den Neos diktiert für eine pinke Zustimmung zum türkis-blauen Demokratiepaket harte Bedingungen.

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Parlamentsexperte Werner Zögernitz warnt vor einem inflationären Einleiten von Referenden.

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Wien – Auch wenn Heinz-Christian Strache, Norbert Hofer & Co unlängst den von beiden Seiten angestrebten Ausbau der direkten Demokratie als "Knackpunkt" in den türkis-blauen Koalitionsverhandlungen definiert haben: Bei einem Regierungspakt müssen sich ÖVP und FPÖ hier auf Widerstand von SPÖ und Neos gefasst machen. Denn, so Werner Zögernitz, Präsident des Instituts für Parlamentarismus, früher Klubdirektor der ÖVP: Bei einem Modell, das hierzulande mehr Plebiszite zulässt, "ist eine Änderung der Verfassung notwendig, was eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erfordert" – und damit die Zustimmung von Rot oder Pink.

Konkret möchte die FPÖ, dass Volksbegehren, die von mehr als vier Prozent der Zeichnungsberechtigten, also von rund 250.000 Personen, unterstützt werden, in einer Volksabstimmung münden – wenn das Höchstgericht bei Vorabprüfung keine verfassungsrechtlichen oder völkerrechtlichen Bedenken dagegen angemeldet hat. Die ÖVP dagegen möchte laut Wahlprogramm die Hürde höher legen – und solche bindenden Volksentscheide erst ab einer Zustimmung von mindestens zehn Prozent bei Volksbegehren zulassen, was rund 640.000 Unterschriften entspricht.

Nationalratspräsidentin Elisabeth Köstinger (ÖVP), Vertraute von ÖVP-Obmann Sebastian Kurz, sprach sich daher via APA schon für ein "behutsames" Vorgehen aus, damit millionenschwere Kampagnen, radikale Kräfte oder das Ausland keinen Einfluss auf Referenden nehmen könnten.

Schieder sieht rot

Doch Andreas Schieder, geschäftsführender Klubchef der SPÖ, stellt im STANDARD-Gespräch gleich klar, dass seine Partei die türkis-blauen Pläne mit "großer Skepsis" verfolge. Wenn erfolgreiche Volksbegehren automatisch zu Volksabstimmungen führten, bestehe nämlich "die Gefahr", dass das Land auf "eine Ja-Nein-Demokratie" zusteuere, in der Expertenmeinungen und die Begutachtungsmechanismen im Parlament "ausgehöhlt werden". Schieders Fazit: "Wir werden kein Verfassungsgesetz – und freilich auch in dieser Frage – einfach durchwinken."

Gesprächsbereit sei man allenfalls in der Frage, ob Volksbegehren schon bei weniger als 100.000 Unterschriften vom Parlament behandelt werden müssen. Was Türkis-Blau bei dem Komplex aus Schieders Sicht überhaupt "rechts liegen" lasse: dass auch die Beteiligung von derzeit nicht wahlberechtigten Gruppen wie Zuwanderern gestärkt gehöre und dass die Einbindung der Sozialpartner, "die ausgehungert werden sollen", auch künftig obligat sei.

Pink besteht auf Prinzipien

Nikolaus Scherak, Vize-Klubchef der Neos, nennt klare Bedingungen für ein Sanktus der Neos: Zunächst müssten No-Go-Materien für Volksabstimmungen definiert werden, beispielsweise Fragen, die zur Aushebelung von Grund- sowie Menschenrechten oder von EU-Recht führen. Dazu sei ein "Stufenplan" nötig, dass solche Plebiszitmodalitäten zunächst auf Gemeindeebene erprobt werden, um die Bürger für die Konsequenzen zu "sensibilisieren". Und: Damit finanzstarke Parteien nicht beliebig viele Volksbegehren samt Volksabstimmungen forcieren können, sei die Parteienförderung "drastisch" zu reduzieren.

Für die Neos wäre die von der ÖVP anvisierte Zehn-Prozent-Hürde zwar "ein gangbarer Weg", sagt der pinke Verfassungssprecher – aber "mit allen Parteien" sei an einem Tisch zu verhandeln, bevor man den Beschluss eines Verfassungsgesetzes anpeilen könne.

Ohnmächtige Bürger

Zögernitz sieht ebenfalls "ein demokratiepolitisches Spannungsfeld" gegeben: Einerseits mache es angesichts des "Ohnmachtsgefühls" der Bürger gegenüber den Mächtigen Sinn, die Bevölkerung stärker in den Willensbildungsprozess einzubinden, andererseits solle es nicht "inflationär" zu Volksabstimmungen kommen – und das womöglich noch angetrieben von "großen Zeitungen oder NGOs", denn "das würde nicht dem Willen der Bürger, sondern dem von einflussreichen Maschinerien entsprechen".

Der Experte hat erhoben, dass von den 39 Volksbegehren in Österreich seit 1945 nur 15 unter der von der FPÖ begehrten Vier-Prozent-Hürde gelegen wären; 14 bewegten sich zwischen vier und zehn Prozent Zustimmung; auf mehr als zehn Prozent kamen zehn Initiatoren – und damit hätte es gemäß blauem Wunschmodus in der Zweiten Republik bereits exakt 24 Volksabstimmungen geben können.

Blaue Initiativen

Zur Erinnerung: Das umstrittene Antiausländervolksbegehren "Österreich zuerst" unter FPÖ-Chef Jörg Haider unterzeichneten 1993 rund 7,4 Prozent der Stimmberechtigten. Unter FPÖ-Chef Strache kam die Partei 2006 mit ihrem "Österreich bleib frei"-Begehren, das sich gegen die EU-Verfassung und einen EU-Beitritt der Türkei richtete, auf immerhin 4,28 Prozent.

Doch tatsächlich wurden im Land bisher erst zwei Volksabstimmungen abgehalten – jene zur Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf 1978 und jene über Österreichs EU-Beitritt 1994. Ihr Ausgang gilt als allgemein bekannt.

Zögernitz empfiehlt, dass eine Beteiligung von mindestens 25 Prozent bei Volksabstimmungen als Maßstab für eine verpflichtende Umsetzung gelten solle. Oder was auch eine Möglichkeit wäre: Man einigt sich darauf, nach erfolgreichen Volksbegehren eine Volksbefragung durchzuführen. Der Vorteil dieser Variante: Ihr Ergebnis wäre rechtlich nicht bindend.

Demnächst verhandelt die zuständige türkis-blaue Fachgruppe erneut zum Demokratiepaket – und zwar "knackig", wie Strache sagte. (Nina Weißensteiner, 29.11.2017)