Das Dorf der vielen Völker
Gegen halb sechs Uhr, wenn der Morgennebel langsam aufklart, verlässt der Mönch Urai seinen Tempel. Es ist die Zeit, die die Thais lieben. Es wird geputzt, gekocht, gelacht, mit Elan geht es ans Tagwerk. Der Mönch schreitet vom Wat, seiner Klosteranlage, würdevoll durch die Straßen von Mae Sai. Die Frauen des Dorfs kochen extra für die Mönche und legen jedem etwas davon in deren Opferschalen. Die Häupter der Frauen senken sich, die Hände werden gefaltet, denn es sind die Gebenden, die in Thailand Danke sagen, weil sie schenken durften.
In Mae Sai, Thailands nördlichster Siedlung, ist das Leben noch wie andernorts im Land vor 30, 40 Jahren. Zwar tragen selbst die hier lebenden Bergvölker ihre angestammte Tracht nur noch an Festtagen, aber fast jeder Tag wirkt dort wie ein gemächlicher Feiertag. Sogar thailändische Guides müssen nachfragen, ob sie es mit jemandem von der Volksgruppe der Akha (siehe Foto) oder Yao, von den Lisu oder Lahu zu tun haben, wenn sie den Menschen in dem multiethnischen Dorf begegnen.
Goldenes Dreieck
Genau wegen dieser Vielfalt fahren einige wenige Touristen in den Norden Thailands, manche auch wegen der vielen Elefanten im Goldenen Dreieck, wo Thailand, Myanmar und Laos aneinandergrenzen. Die Region ist allerdings ebenso verrufen als florierender Drogenumschlagplatz. Früher wurde Rauschgift in Gold bezahlt. Eine Einheit wog exakt 15,2 Gramm, das Gewicht der ursprünglichen Baht-Münze. Mit Opium wird in der Region bis heute viel verdient – schmutziges Geld. Über die Grenze fließt es in burmesische Kasinos, wird dort gewaschen und kommt als "sauberes Geld" wieder zurück.
Mae Sai ist herrlich am gleichnamigen Fluss gelegen. Über diesen führt eine Brücke, auf der man zu Fuß und ohne große Formalitäten einen Tag lang nach Tachilek in Myanmar gelangt. Touristen nutzen den Grenzübergang häufig für eine Verlängerung des thailändischen Visums. (Jochen Müssig, RONDO, 4.12.2017)