U2, bedeutungsvoll schauend. Ihr Album "Songs of Experience" zeigt einmal mehr, wie sehr sich die irische Band mit ihrer politischen Agenda selbst im Weg steht.

Foto: Anton Corbijn

Wien – U2 haben viel für die Armen der Welt getan. Etwa in New York. Als die irische Band vor drei Jahren mithilfe von iTunes rund 500 Millionen iPhone-Besitzer mit ihrem Album Songs of Innocence zwangsbeglückte, indem sie es ihnen ungefragt auf die Handys laden ließ, witterten obdachlose New Yorker ihre Chance. Auf Schildern baten sie plötzlich nicht um Kleingeld, sie boten gestressten Brokern an, ihnen das Album vom Smartphone zu löschen – gegen eine milde Gabe.

Das Geschäft lief gut für die Obdachlosen, während die Weltstars herbe Kritik für ihre Werbeaktion einstecken mussten. Schließlich gibt es weniger aufdringliche Möglichkeiten der Selbstlosigkeit.

Heute ist es wieder so weit. U2 veröffentlichen ein neues Album – ohne iPhone-Besitzer damit zu nötigen. Das Werk heißt Songs of Experience und schließt an den Vorgänger an. Inspiriert von William Blakes Gedichtzyklus Songs of Innocence and of Experience, memorierte die Band vor drei Jahren ihre Kindheit und Jugend in den 1970ern, auf dem neuen Album erfolgt der Perspektivenwechsel ins Erwachsenenalter. Verdeutlicht wird das bereits vom Cover, auf dem Bonos Sohn Eli und Sian, die Tochter von The Edge, zu sehen sind. Sie halten Händchen, die Papas sind stolz. Ein stimmiges Motiv in Schwarz-Weiß.

U2 – American Soul.
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Ebenso stimmig ist der Einstieg: Love Is All We Have Left ist eine intime Ballade, mit der die 1976 gegründete Gruppe überrascht. "Love" taucht in Folge noch öfter in den Songtiteln auf, zudem setzt es kuschelige Begriffe wie "Soul", "Home" oder "Light".

Der Giftschrank bleibt zu

Behutsam setzt die Band den Übergang zu Lights of Home, in dem ein Chor fast so etwas wie Spiritualität verbreitet, nicht unlässig. Es folgt mit You're The Best Thing About Me die erste Singleauskopplung: Hausmarke mit flirrenden Gitarren, das Hymnische andeutend, aber nicht vollziehend. Das Pathos bleibt vorerst im Giftschrank, noch wird nicht bekehrt, das beginnt erst mit American Soul.

Ab diesem Lied beginnt die Anmaßung, ab dort steht sich die Band selbst im Weg. Das Album hätte ja schon vor einem Jahr erscheinen sollen. Doch dann wurde Donald Trump US-Präsident, der Brexit passierte. Als selbsternannte moralische Instanz nahmen sich U2 unter Bono Vox' Führung einmal mehr selbst zu wichtig und beschlossen innezuhalten. U2 mussten auf die neue Weltordnung reagieren. Ein Album ohne Weltrettungsauftrag? Nicht auszudenken.

U2 – You're The Best Thing About Me (live).
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Das geht auf Kosten der Lockerheit. Statt "Alles kann, nichts muss" galt plötzlich wieder "Alles muss", was sehr oft in ein "Nichts kann" mündet. Von seinem messianischen Auftrag besessen, erinnert Bono in American Soul an die Heilsversprechung des Rock 'n' Roll und an die Utopie der USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Diesbezüglich ist er in der Ära Trump natürlich in Sorge. Während Bono dabei auf die Besserstellung der "filthy rich" Bezug nimmt, holte ihn die Realität ein. Zur Last, die Bono (57) für uns alle schultert, kam die Bürde, von sich selbst menschlich enttäuscht sein zu müssen.

Denn Paul David Hewson, Bonos bürgerlicher Name, tauchte kurz vor Erscheinen von Songs of Experience in den sogenannten Paradise Papers auf. Auf einer Liste prominenter Steuervermeider, wie winkeladvokatische Steuerhinterziehung heutzutage genannt wird.

Bono warf sich zwar in bester katholischer Tradition in den Staub und schwor bei seinen Millionen, nichts von diesen dubiosen Geschäftsgebarungen gewusst zu haben. Das mag er sich glauben, dennoch kreidet es ihm die Öffentlichkeit als Bigotterie an. Als Kollateralschaden gelang ihm damit, den 30 Jahre alten U2-Evergreen I Still Haven't Found What I'm Looking For über Nacht zur Steuerfahnderhymne umzudeuten. Nach dem Schock von #MeToo die Enttäuschung #u2.

U2 – I Still Haven't Found What I'm Looking For.
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Wie auch immer: Die politische Mission entzieht dem Album seine Leichtigkeit. Die hat es traditionell schwer, denn U2-Lieder müssen ja stadiontauglich sein, da ist man für kleine Ausreißer wie The Showman dankbar, die halbakustisch schunkeln. Das wiederum geht auf Kosten einer durchgehenden Handschrift. U2 wollen zu viel. In ruhigen Passagen von Songs wie The Little Things That Give You Away offenbart das eine ernüchternde Ideenlosigkeit, Titel wie The Blackout sind wieder grässlich überproduziert.

In Love Is Bigger Than Anything In Its Way schreckt Bono nicht einmal vor dem Einsatz des stimmverfremdenden Autotune zurück. Der Song ist der Tiefpunkt des Albums. Bono deklamiert Durchhalteparolen auf einem Klavierteppich, der nach Coldplay für Arme klingt – wären Coldplay nicht ohnehin nur für Arme. Nett rumpelnde Songs wie Summer of Love vermögen es nicht, diese Schieflage noch zu begradigen.

Hollywood und Vergebung

Am Ende ist man als Hörer müde missioniert, Bono hingegen ist in Fahrt und enthemmt. Im finalen 13 (There Is a Light) kehrt er atmosphärisch an den Beginn des Albums zurück. Er schüttelreimt irgendetwas von Licht und Dunkelheit, singt, dass die Welt dumm sei, aber wir es nicht sein müssen. Bono ist begeistert, er hat sich längst vergeben, er ist schließlich ein Guter, das weiß er. Wird schon. Hollywoodkitsch und Blockbusterblödheit in inniger Umarmung. Nächstes Jahr dann live in einem Fußballstadion in Ihrer Nähe. (Karl Fluch, 1.12.2017)