Frauen, die sich zur Wehr setzen: Lizzie Bordens "Born in Flames" (1983).

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Punk-Szene verzweifelt gesucht: Susan Seidelmans "Smithereens" (1982).

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Cool und warmherzig: Teenager in Amy Heckerlings "Clueless" (1995).

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Wien – Zwei Männer fragen eine Frau an einer Straßenkreuzung in New York vermeintlich nach dem Weg, bedrängen sie, zwingen sie zu Boden. Plötzlich schrille Pfiffe, eine Gruppe von Frauen kommt der Misshandelten auf Fahrrädern mit Trillerpfeifen zu Hilfe. Ein Nachrichtensprecher kommentiert den Vorfall süffisant im Fernsehen, spricht von der gesetzlosen Natur der offenbar gut organisierten Frauenbanden und bittet die Zuschauer um Hinweise, die ihrer Verhaftung dienen. Als später der US-Präsident zur Beschwichtigung der Nation im Fernsehen ansetzt, wird der Sender gekapert, schlussendlich die Sendeantenne am World Trade Center gesprengt. Dazwischen Diskussionen, Demonstrationen, Piratenradio und jede Menge Musik.

Es geht rund in Lizzie Bordens 1983 fertiggestelltem Debütfilm Born in Flames, einem Schlüsselwerk der Retrospektive Bigelow & Co. (bis 4. 1.) im Österreichischen Filmmuseum. Angesiedelt in einem alternativen New York, sollten zehn Jahre nach einem sozialdemokratischen Befreiungskrieg eigentlich alle sozialen Probleme gelöst sein. Allein, Sexismus und Rassismus stehen weiterhin auf der Tagesordnung.

Trailer zu Lizzie Bordens "Born in Flames".
TOMBOYS DON'T CRY

Ihre filmische Versuchsanordnung servierte Borden als wilde, schwarzhumorige Mischung aus Sciencefiction, Feminismus, Pseudodokumentation und räudiger Punk-Ästhetik. Als Demonstrantin und Zeitungsredakteurin im Film zu sehen ist Kathryn Bigelow, deren aktuelle Auseinandersetzung mit Rassenunruhen, Detroit, gerade in den Kinos läuft. Die für ihren Irak-Film The Hurt Locker als bisher einzige Frau mit einem Regie-Oscar ausgezeichnete Künstlerin ist Aushängeschild der Schau, die ihre Filme mit jenen von Borden, Amy Heckerling und Susan Seidelman zusammenführt.

Gemeinsam ist allen vier Filmemacherinnen ein akutes Bewusstsein für gesellschaftliche Fragen, das selbst in Genrefilmen seinen Niederschlag findet. Bevor Bigelow in ihrem konzisen Kino adrenalingesättigte Action und Reflexion zusammenführte, studierte sie u. a. Kunst am Whitney Museum of American Art und war Mitglied des Konzeptkunstkollektivs Art & Language. Eine Biografie, die der Sinnlichkeit ihrer Filme seit ihrem in Americana-Mythen und Rockabilly-Klänge getränkten Debüt The Loveless (1981) keinerlei Abbruch getan hat.

Trailer zu Kathryn Bigelows "The Loveless"
Blazing Trailers

Auch Borden wollte nach ihrer Übersiedlung nach New York zunächst Malerin werden. Mit den Filmen von Jean-Luc Godard entdeckt sie die Möglichkeit, Essay und Erzählung zu verbinden – ein Verfahren, das nicht nur ihr Debüt Born in Flames prägen sollte.

Vom Möglichkeitssinn, den New York Anfang der 1980er-Jahre verkörperte, erzählen auch die ersten Filme Susan Seidelmans. Zwar muss die Ausreißerin, die in Smithereens (1982) in die Punk-Szene eintauchen will, feststellen, dass sich deren Hotspot von Manhattan nach Los Angeles verlagert hat. Man wird aber nicht viele Spielfilme finden, die derart stimmig die No-Wave-Szene der Lower East Side vor ihrer Gentrifizierung dokumentieren. In Desperately Seeking Susan (1985) mit ihrer Nachbarin Madonna in der Hauptrolle schaffte es Seidelman kurz darauf, ihre genauen Beobachtungen erfolgreich in den Mainstream zu übersetzen.

Trailer zu Susan Seidelmans "Smithereens".
BlueUndergroundinc

Gegen den Strich gebürstet

Einen starken Start legte 1982 auch die New Yorkerin Amy Heckerling mit ihrem Spielfilmdebüt Fast Times at Ridgemont High hin. Allerdings nicht in ihrer Heimatstadt, sondern in Hollywood. Trotz Drucks seitens des Studios schaffte sie es, das Drehbuch gegen den Strich zu bürsten und ihrem Film gehörigen Realitätssinn einzuimpfen. Mitte der 1990er-Jahre gelang Heckerling mit Clueless innerhalb des Studiosystems erneut ein quintessenzieller Teenagerfilm.

Trailer zu Amy Heckerlings "Fast Times at Ridgemont High".
Movieclips

Nach gelungener Chancenverwertung zum Karrierebeginn gerieten alle vier Filmemacherinnen früher oder später durch die Mainstream-Produktionsweisen unter Druck, alle wichen zumindest zwischendurch aufs Fernsehen aus. Seidelman drehte u.a. den Pilotfilm für die Serie Sex and the City, Heckerling inszenierte eine Folge für die US-Auflage von The Office. Auch Bigelow überbrückte mehrjährige Filmpausen u.a. mit Episoden für Homicide: Life on the Street.

Die feministische Filmemacherin Lizzie Borden im Interview.
Another Gaze Journal

Am härtesten von Marginalisierung betroffen war Borden, die mit Working Girls 1986 einen nüchtern-komischen Blick auf Abhängigkeitsverhältnisse in einem New Yorker Bordell warf. Mit ihrer Radikalität stieß sie danach wiederholt bei Film- wie TV-Studios an Grenzen und zog im Zweifelsfall dem Kompromiss das Schweigen vor. Zu sehen und hören ist Borden erfreulicherweise nun in Wien, wenn sie von 14. bis 17. 12. im Filmmuseum ihre Schlüsselwerke und mit Regrouping (1976) eine frühe Rarität persönlich vorstellt. (Karl Gedlicka, 1.12.2017)