Bad Vöslau / Ebreichsdorf – Gerade hatte sich Maria den Fuß gebrochen und sechs Wochen Gips verordnet bekommen, als sie erfuhr, dass ihr Job bald weg sein wird. Ihr Arbeitgeber begann Filialen zusammenzulegen, die Schuhverkäuferin wurde nicht mehr gebraucht.

Die ersten Monate in Arbeitslosigkeit seien nicht schlimm gewesen, erzählt die heute 58-Jährige mit den kurzen Haaren und der dunklen Brille bei dem Treffen in Ebreichsdorf, einer Gemeinde südlich von Wien. Sie habe ihre Enkelkinder öfters "ausgeborgt". Termine eingeteilt, Struktur geschaffen: Das war wichtig.

Gerhard (52) hat wie Maria über die Aktion 20.000 einen Arbeitsplatz bei der Gemeinde gefunden. Er ist für den Bauhof in Bad Vöslau tätig.
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Maria bewarb sich wieder und wieder. Einen Arbeitsplatz hatte niemand für sie. Nach zwei Jahren, im Juni 2017, hatte sie einen Todesfall in der Familie, da habe sie die Perspektivlosigkeit plötzlich voll verspürt. "Als kurz darauf der Anruf kam, sind mir vor Freude die Tränen runtergelaufen." Der Anruf kam von ihrer Heimatgemeinde Ebreichsdorf: Die Stelle als Kindergartenaushilfskraft gehöre ihr.

Maria war eine der ersten Profiteurinnen der Aktion 20.000 – und vielleicht eine der letzten. Die Aktion ist ein Prestigeprojekt von Noch-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und war einer der letzten ganz großen gemeinsamen Beschlüsse der scheidenden rot-schwarzen Koalition. Die Idee ist simpel: Menschen über 50, die länger als ein Jahr keinen Job finden, bekommen einen vollständig staatlich geförderten Arbeitsplatz. Voraussetzung ist, dass sie eine gemeinnützige Tätigkeit verrichten, bei einer Gemeinde oder einem Verein angestellt werden.

Bis Mitte 2019 sollte das Projekt laufen. Für 20.000 einen Arbeitsplatz zu finden war das Ziel. ÖVP und FPÖ denken nun laut über ein vorzeitiges Ende des Programms nach, das mehr wohlfahrtsstaatliche denn marktwirtschaftliche Züge trägt. Der Chef des Arbeitsmarktservice, Johannes Kopf, hat die Debatte mit einem STANDARD-Interview befeuert. Die Aktion 20.000 wollte er zwar nicht beenden, sondern verkleinern. Die Botschaft war aber klar: Es gebe bessere Möglichkeiten, das Geld einzusetzen. Besonders nun, da die Konjunktur brummt und die Arbeitslosigkeit deutlich sinkt. Was aber sagen Betroffene zu dem Programm und was die Gemeindevertreter? Ab 1. Jänner soll die Aktion österreichweit starten. Im Juli ging es in einigen Pilotregionen los, auch im Bezirk Baden, wo sich DER STANDARD unter anderem in Bad Vöslau, Ebreichsdorf und Tattendorf umgehört hat.

Bei minus 21 Grad

Etwa bei Gerhard. Er ist in eine dicke Jacke eingepackt. Schwarze Handschuhe, schwarze Mütze. Gerhard arbeitet für den Bauhof in Bad Vöslau. Bauhofmitarbeiter mähen den Rasen, räumen den Schnee, führen kleinere Reparaturen durch, machen alles, was an Arbeiten in Gemeinden so anfällt.

Es ist ein kühler Wintertag, aber Gerhard stört das wenig. Er ist Kälteres gewohnt. 20 Jahre lang hat er in einem Tiefkühler gearbeitet. Er hat Waren entgegengenommen und sie anschließend im Tiefkühler eines Lebensmittelgroßhändlers sortiert. Gemüse, Fisch, Kuchen. Bei minus 21 Grad für im Schnitt fünf Stunden am Tag. "Das geht in die Knochen."

Als er genug hatte, wollte er eine andere Tätigkeit. Sein Chef habe ihm eine einvernehmliche Trennung ans Herz gelegt. 2200 Euro brutto hat er damals verdient. Er habe "gesucht, gesucht, gesucht", 400 Bewerbungen in vier Jahren abgeschickt. Er fühlte sich zu teuer, mit seinen Berufsjahren.

AMS-Chef Johannes Kopf will kein Ende der Aktion 20.000, aber eine deutliche Redimensionierung. Er glaubt, es gebe bessere Möglichkeiten, das Geld einzusetzen.
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"Die Hälfte hat nicht geantwortet, die andere Hälfte hat abgelehnt", erzählt er. Anfangs habe ihn das geärgert. "Mit der Zeit denkst du: Da kann man nichts machen." 52 Jahre ist er heute, mit 16 hatte er einen Gehirnschlag, seitdem ist eine Körperhälfte bewegungseingeschränkt. Gerhard hinkt. "Das stört mich nicht", sagt er. "Als ich gehört habe, ich bekomme die Stelle in Bad Vöslau: So schnell bin ich noch selten aufgesprungen."

Die Menschen sind also zufrieden. Das AMS sagt, dass es bei den rund 100 Leuten, die im Bezirk Baden in der Pilotphase eingestellt wurden, bisher nur eine einzige Vertragsauflösung wegen Problemen gegeben habe. Bei Experten heißt es auf Basis der bisherigen Erfahrungen in Baden allerdings auch, dass man das Ziel von 20.000 geschaffenen Arbeitsplätzen mit Sicherheit nicht erreichen werde. Nicht alle Arbeitslosen sind bereit, die angebotenen Stellen anzunehmen. Nicht alle sind überall einsetzbar. In Baden müssten 400 Stellen wie jene von Gerhard geschaffen werden, um bundesweit auf die volle Quote zu kommen. 150 bis 200 hält man für machbar.

Die Parteifarbe von Gemeinden dürfte eine Rolle spielen. Das rot regierte Ebreichsdorf hat zehn Menschen im Zuge der Aktion aufgenommen. Im schwarzen Baden waren es bisher fünf, obwohl der Ort eineinhalbmal größer ist. In beiden Orten heißt es, man habe die richtige Zahl erwischt. Manche Gemeinden wie Tattendorf haben bisher nur für im Ort gemeldete Langzeitarbeitslose nach Stellen gesucht. Dabei gilt es als eine der größten Herausforderungen, genügend passende Jobs zu finden. Die Gemeinden dürfen nur neue Arbeitsplätze schaffen. Das Programm soll nicht dazu dienen, bestehende Beschäftigung durch geförderte Jobs zu ersetzen.

Der Vizebürgermeister von Ebreichsdorf sagt, dass man dank der Aktion den Rasen im Kindergarten heuer öfter selbst mähen konnte und weniger Externe brauche. Ansonsten versichern Gemeindevertreter, dass sie neue Stellen geschaffen hätten, dass das Laub und der Schnee sonst länger liegen bleiben würden und es weniger Kräfte in der Kinderbetreuung gebe. Objektiv nachprüfbar ist das kaum.

Außer bei Peter (54). Mit den Herausforderungen im Alter kennt er sich aus. Das älteste Objekt, das er betreut, ist 15 Millionen Jahre alt. Es ist die Seekuh Linda, deren Knochen rund um Bad Vöslau gefunden wurden. Peter arbeitet im Stadtmuseum. Er soll eine Topothek aufbauen. Ein Projekt, das man ohne ihn nie hätte beginnen können, wie versichert wird.

"Ich war grantig"

Eine Topothek ist ein digitales Geschichtsbuch. Bürger können alte Briefe und Fotos vorbeibringen. Peter digitalisiert sie. Das Museum habe jahrelang wild Objekte gesammelt, nun stehen viele Kartons herum. Peters Aufgabe ist es, das Material zu sichten.

In seinem früheren Leben hat Peter eine Postfiliale geleitet. Im Zuge von Sparmaßnahmen sollte er versetzt werden. Das Angebot sei nicht gut gewesen, er ging und ließ sich zum Erwachsenentrainer umbilden. Vier Jahre war er arbeitslos. "Am Anfang war die Zeit interessant, es fühlte sich an wie Urlaub." Irgendwann war es deprimierend. Er hat sich jede Woche zwei Tage eingeteilt, um Bewerbungen zu schreiben. Alles vergeblich. Ist er in ein Loch gefallen? "Ich war grantig."

Menschen in höherem Alter, die nicht selten mit Krankheiten kämpfen, hätten es selbst dann schwer am Jobmarkt, wenn die Wirtschaft wächst, sagen Experten. Die Arbeitslosigkeit verfestigt sich, je länger jemand keine Stelle findet. Erschwerend kommt oft mangelnde Ausbildung hinzu.

Es gibt Branchen, in denen primär Erfahrung gefragt ist. Als Bilanzbuchhalter kämen Menschen über 50 gut unter, sagen Arbeitsmarktkenner, auch in technischen Berufen sei das der Fall. Wer mit Unternehmenschefs redet, weiß aber, dass Arbeitgeber junge Angestellte wollen.

Viele können gar nicht erklären, weshalb. Andere sagen, Jüngere seien lernwilliger und flexibler. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen über 50 Jahre ist über die Jahre stark gestiegen, mehr als 45.000 Betroffene gibt es heute.

Als hinderlich für die Reintegration in den Jobmarkt gilt zudem, dass ältere Arbeitnehmer teurer sind, wie Ökonomen sagen. Sollen sie für eine Tätigkeit angestellt werden, die sie früher verrichtet haben, müssen sie kollektivvertraglich höher eingestuft werden. Das ist aber nicht bei allen der Fall.

So etwa bei Alice. Die schwarzhaarige Frau in der weißen Bluse war 22 Jahre in einer Bank tätig, bis zur Umstrukturierung. Man bot ihr etwas anderes an, weniger Verantwortung, weniger interessant. Sie entschied sich, zu gehen, und fand fünf Jahre lang keinen Job.

"Am Anfang habe ich mich in Bewerbungen gestürzt, Banken und Versicherungen angeschrieben." Schlechte Zeit, Finanzkrise. "Ich habe gewusst, ich muss runter von meinen Gehaltsvorstellungen und werde nicht mehr das verdienen wie früher."

Alice hat sich um Bürojobs bemüht, als Verkäuferin beworben. Sie habe öfter gehört, dass man sich jemanden in einer anderen Altersklasse vorgestellt hat. Es habe sie nicht getroffen. "Weil ich wusste, das hat nichts mit mir zu tun." Als Abteilungsleiterin bei der Bank habe sie selbst keine Menschen über 50 einstellen können. Öfter krank, weniger lernwillig, sagten ihre Vorgesetzten. Was sie frustriert hat, waren die AMS-Kurse, vier- bis fünfmal habe sie gelernt, sich zu bewerben. Nun ist sie 58. Über den Job im Bürgerservice von Bad Vöslau ist sie froh.

Die entscheidende Frage ist, was die Aktion 20.000 bringt. Drei Szenarien sind denkbar:

Das Ganze ist eine große Geldverschwendung, weil in kurzer Zeit viele Arbeitsplätze erfunden werden. Fast 800 Millionen Euro gibt der Staat für das Programm immerhin aus. Denkbar, dass ein Teil der Mittel besser in Weiterbildungsmaßnahmen investiert wäre.

Möglich ist auch, dass die Aktion einschlägt und die Menschen, die einen geförderten Job haben, in Unternehmen unterkommen.

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Der kommende Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) ordnen derzeit die Prioritäten in der Arbeitsmarktpolitik neu.
Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Die Erzählungen der älteren Langzeitarbeitslosen über die vielen vergeblichen Bewerbungen deuten aber darauf hin, dass das schwer gelingen wird. Zu diesem Ergebnis kommen auch Studien zu dem Thema. In Österreich werden seit Jahren Jobs für Langzeitarbeitslose in sozialökonomischen Betrieben gefördert. Es gibt dafür weniger freie Stellen, die Jobs sind nur für ein halbes Jahr und stehen für alle Altersklassen offen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat analysiert, dass in einer Gruppe mit Menschen, die von diesen Fördermaßnahmen profitierten, drei Jahre später 21 Prozent in ungeförderter Beschäftigung standen. In der Kontrollgruppe ohne Unterstützung waren es 16 Prozent. Förderung wirkt also, aber nur begrenzt.

"Hat nichts mit mir zu tun"

Die dritte und auf Basis vergangener Erfahrungen nicht unwahrscheinlichste Variante lautet daher: Die Aktion 20.000 ist zwar kein Sprungbrett für den Arbeitsmarkt, stabilisiert aber Betroffene sozial und psychisch. Was mehr wiegt – die hohen Kosten für das Programm oder der gesamtgesellschaftliche zusätzliche Nutzen -, könne erst mit der Zeit bewertet werden, sagt Arbeitsmarktexperte Helmut Mahringer – 2019, wenn die geplante Förderung ausläuft.

Kurt Wieland, Stadtamtsdirektor von Bad Vöslau, muss gar nicht so lange warten. Für ihn ist die Aktion ein Erfolg. Jetzt aufzuhören, wo gerade erst begonnen wurde, sei der falsche Weg. "Es wird immer gesagt, Menschen bekommen ein Arbeitslosengeld und tun dann nichts dafür. Hier ist das ganz anders." In Bad Vöslau wird eine Resolution für die Beibehaltung der Aktion vorbereitet. Der parteilose Stadtamtsdirektor hofft, dass alle Parteien sie mittragen werden. (András Szigetvari, 2.12.2017)