Karas: Die Idee Europa ist Antwort auf Nationalismus und Populismus.

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Wenn von der EU erwartet wird, dass sie länderübergreifende Probleme wie zum Beispiel Flüchtlings- und Wirtschaftskrise bewältigen soll, muss man ihr auch die entsprechenden Kompetenzen und Mittel übertragen, sagt der EU-Abgeordnete Othmar Karas (ÖVP). Direkte Demokratie dürfe nicht instrumentalisiert werden, die Politik müsse die Bürger aber wieder zu Beteiligten machen. Die Fragen stellten Mirijam Haller, Jakob Lorenzi und Valentin Ledoldis, Teilnehmer der Medienakademie, am Europäischen Mediengipfel in Lech.

Herr Karas, wie sehen Sie die Herausforderungen für die EU vor dem Hintergrund erstarkender Nationalismen?

Ich verstehe die Idee Europa als Antwort auf den Nationalismus und den Populismus. Es ist bedrückend, dass der Zustand der europäischen Union und die Herausforderungen zum Nährboden des Populismus werden. Für mich ist das ein Richtungskampf zwischen jenen, die aufeinander Rücksicht nehmen wollen und die Zusammenarbeit fördern und jenen, die Herausforderungen als Anlass dafür nehmen, eine Renaissance des Nationalstaates einzuleiten.

Gefragt ist die verantwortungsvolle Mitte: Wie gehen die Regierenden und die Medien mit diesen Veränderungen, den Problemen und den Chancen um? Gehen sie einen populistisch-nationalen oder einen aufklärenden Weg? Daher ist es für mich auch eine Frage der Zukunft der Europäischen Demokratie. Es klingt verführerisch zu sagen, dass die direkte Demokratie gestärkt gehört. Nur wird diese ja nicht gestärkt, sondern instrumentalisiert; gegen die Rolle der repräsentativen Demokratie, gegen die Parlamente, gegen die Gewaltentrennung. Das halte ich für gefährlich. Denn wer spielt denn mit der direkten Demokratie? Parteien, Nationalisten. In Katalonien hatten wir eine illegale Abstimmung. Bei dem Brexit stimmte man ab, in Ungarn stimmte man ab, Erdoğan stimmte ab. Es wird mit den Sorgen und Ängsten der Menschen gespielt.

Was kann die Politik da konkret machen?

Es muss klar sein, dass die Mehrheit der Menschen nicht wie die Nationalisten denkt, sie braucht sich vor den Populisten nicht fürchten. Sie darf aber auch nicht schweigen. Sie muss sich mit ihnen auseinandersetzten. Die Politik muss die Bürger wieder zu Beteiligten machen.

In den verschiedenen Krisen hat sich die Stimmung gegen die EU verstärkt, weil die Hoffnung, dass sie alle Probleme löst, nicht sofort eingetreten ist. Die Instrumente dafür waren auch nicht da. Seitdem aber die Flüchtlingszahlen zurückgegangen sind und mit Griechenland das letzte Land aus dem Europäischen Rettungsschirm austritt, steigt auch wieder die Zustimmungsrate zur EU. Die Menschen haben das Gefühl, dass sich etwas zum Positiven bewegt hat. Daher muss Politik an Lösungen arbeiten – und sie muss zugeben, was Sache ist. Sie darf mit Sorgen und Ängsten nicht spielen.

Derzeit wird von der EU auch mehr verlangt, als man ihr erlaubt als Gemeinschaft zu tun. Da entsteht ein Widerspruch, wo sich der Bürger im Stich gelassen fühlt. Grenzen aufzeigen und Notwendigkeiten im politischen System darzustellen anstatt Schuld zuzuweisen, ist daher meiner Meinung nach eine wesentliche Voraussetzung.

Inwieweit sollten die Kompetenzen erweitert werden?

Ich bin dafür, dass die EU das tun darf, was sie tun soll. Wenn man beispielsweise will, dass sie die Ursachen für das Flüchtlingsproblem lösen soll, dann braucht man eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Entwicklungs- und Investitionspolitik. Dann muss aber der Außengrenzschutz eine Gemeinschaftsangelegenheit sein. Und dann braucht die EU aber auch ein Budget dafür und eine bessere Kompetenzverteilung. Denn wenn wir die EU nicht stärken und nicht zum Sprecher des Kontinents in der Welt machen, dann gewinnt der Nationalismus. Dann werden wir noch mehr, als wir es heute schon sind, Verlierer der Globalisierung. Wir sind der politisch zersplittertste Kontinent der Welt.

Wenn man sich die Wahlbeteiligung anschaut, könnte man meinen, dass viele Menschen in Europa und in der EU das Gefühl haben, dass sie nicht mitbestimmen können. Woran liegt das?

Weil ihnen auch zuhause nicht gesagt wird, dass sie mitbestimmen können. Weil wir die Zusammenarbeit zwischen Nation, Region und EU nicht im Sprachrepertoire und im Kommunikationsrepertoire haben und weil die Europaparlamentswahl in einem hohen Ausmaß durch das Wahlrecht nationalisiert ist. Daher bräuchten wir ein geschlossenes europäisches Wahlrecht in der Form eines Zweistimmenwahlrechts. Deshalb hat sich das Parlament bei der Wahl zum Kommissionspräsidenten für das Spitzenkandidatenmodell eingesetzt. Ich bin auch für eine Europäisierung der Innenpolitiken und für eine Änderung des Rates. Es kann nicht sein, dass die nationale Exekutive auf der europäischen Ebene legislative Funktionen erfüllt.

Vor sieben Jahren haben Sie das Bürgerforum gegründet, um die Begeisterung junger Menschen für die EU zu wecken.

Ich habe das Bürgerforum gegründet, um den Menschen zu zeigen, dass die Rolle Österreichs in Europa ein gemeinsames Anliegen des Staates, der Bürger und der tragenden politischen Kräfte ist. Und nicht Spielball. Ich wollte eine Plattform schaffen, die Menschen, die sich mit Europa auseinandersetzen, eine Begegnungsstätte zur Verfügung stellt. Wir haben jetzt ein Modell gefunden mit Europastammtischen in den Gemeinden. Gemeinsam mit den Europagemeinderäten soll in den Bundesländern eine Debatte gestartet werden, um den Zusammenhalt zwischen der EU und den Regionen zu fördern.

Was erwarten Sie sich von der kommenden Regierung für die EU-Ratspräsidentschaft 2018?

Sie soll jene Themen fokussieren, die bereits auf der Agenda stehen. Die Grundsatzreden zur Lage der EU von Juncker und Macron haben bereits wertvolle Inputs geliefert. Auch im sozialen Bereich und in der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik müssen die angestrebten Ziele fokussiert werden. Bei diesen Bereichen erwarte ich mir, dass Österreich als Motor wirkt.

Was ist eigentlich Ihre Zielvorstellung der EU?

Meine Zielvorstellung der EU ist, dass sie zum Sprecher des Kontinents in der Welt wird und dass sie daher in allen Politikfeldern, die ein Nationalstaat alleine nicht lösen kann, gemeinschaftsrechtliche Grundlagen schafft.

Sie sprechen von einer Föderation?

Die EU ist ein politisches Projekt "sui generis". Es gibt auf der Welt kein vergleichbares Gebilde. Und ich hoffe auch, dass wir dieses Modell "sui generis" im Sinne einer vertieften Zusammenarbeit in allen Bereichen, die ein Staat alleine nicht lösen kann, weiterentwickeln werden. Das ist dann sozusagen ein föderaler Bundesstaat. Die EU muss eine politische Union werden, egal wie sie heißt. Sie muss vor allem handlungsfähig werden. Das ist sie jetzt noch nicht, da die Nationalstaaten viele Blockaden eingebaut haben. (Mirijam Haller, Jakob Lorenzi, Valentin Ledoldis, 5.12.2017)