Wer das "Free Bleeding" beherrscht, sucht die Toilette im richtigen Moment auf.

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Kiran Gandhi lief 2015 den London-Marathon. Die Fotos der jungen Musikerin gingen danach um die Welt. Aber nicht, weil sie die Gewinnerin des Marathons war, sondern weil sie ihre Periode hatte. Sie verzichtete absichtlich auf Binden und Tampons, im Laufe des Marathons färbte sich ihre Laufhose rot. Damit wollte sie ein Zeichen dafür setzen, dass die Menstruation kein Tabu sein soll. Sie wollte damit auch auf jene Frauen aufmerksam machen, die dort, wo sie leben, keinen freien Zugang zu Monatshygieneartikeln haben.

Kiran Gandhi nach dem London-Marathon 2015.

Seither ist das freie Menstruieren, Free Bleeding genannt, zum großen Thema geworden. Anhängerinnen verzichten auf Monatshygieneartikel wie Binden oder Tampons und achten dafür stärker auf ihren Körper. Denn das Menstruationsblut, so ihre Erfahrung, kommt in regelmäßigen Abständen, als Schwall, der sich durch Ziehen im Unterleib ankündigt.

So kann, wer gut auf seinen Körper hört, rechtzeitig die Toilette aufsuchen, dort die Beckenbodenmuskulatur entspannen und den Unterleib massieren – und sich so eines Großteil des Menstruationsblutes entledigen. "Release" nennt sich dieser Vorgang.

Alternativen gesucht

Hinter der Bewegung steht für viele eine Abneigung gegen Monatshygieneartikel wie Binden oder Tampons, die synthetische Materialien enthalten. Es ist auch der Versuch, mehr im Einklang mit der Natur zu leben. Alisa Eresina, Gründerin von Fem Flow, bietet zur freien Menstruation mittlerweile Eintagesworkshops in Wien an.

"Meist kommen jüngere Frauen, die den Wunsch haben, sich mehr mit ihrem Körper auseinanderzusetzen", beobachtet sie. Im Workshop gibt es theoretisches Wissen, Reflexionen und praktische Übungen. Am Ende würden Teilnehmerinnen im Idealfall mit einem konkreten Plan nach Hause gehen. Wie viele von ihnen dann am Ende ganz ohne Hygieneartikel menstruieren, weiß Eresina freilich nicht. "Aber es geht bei dieser Technik nicht darum, den Körper zu kontrollieren, sondern darum, seinen Rhythmus kennenzulernen. Wir wissen ja auch, wie es sich anfühlt, wenn wir aufs Klo müssen", betont sie.

Bei der Wiener Gynäkologin Eva Lehner-Rothe hat sich bisher zwar noch keine ihrer Patientinnen über das Free Bleeding erkundigt, sie bemerkt aber, dass mehr und offener über das Thema Menstruation gesprochen wird. Auch Alternativen zu Tampons und Binden – etwa Menstruationstassen, das sind kelchähnliche Tassen, die das Menstruationsblut direkt in der Scheide auffangen und abwaschbar sind – werden häufiger verwendet. "Es gibt Frauen mit einer chronischen Pilzinfektion, die einen großen Leidensdruck haben", sagt Lehner-Rothe. Diesen Patientinnen würde sie das Ausprobieren der Menstruationstassen besonders ans Herz legen.

Sehr individuell

Auch den Trend des Free Bleeding verfolgt Lehner-Rothe mit Interesse: "Ich verstehe, dass das für manche Frauen schwer vorstellbar ist." Denn die Menstruation sei bei Frauen sehr individuell. Während die eine eine eher schwache Blutung in zeitlich abgegrenzten Intervallen hat, blutet die andere sehr stark und ohne große Unterbrechungen.

"Und jene Frauen, die genau wissen, zu welcher Zeit sie wie viel bluten, sind sicherlich eher die Ausnahme", sagt Lehner-Rothe. Zudem seien diese Kontraktionen der Gebärmutter, bei denen ein Großteil des Blutes und der Gebärmutterschleimhaut abgesetzt wird, nicht vorhersehbar. Lehner-Rothe bezweifelt, dass viele Frauen den Beckenboden im Fall einer Kontraktion wirklich so lange anspannen können, bis sie es zur nächsten Toilette schaffen.

"Und ich glaube auch nicht, dass jede Frau an sich den Anspruch stellen sollte, dass sie das können muss", meint die Gynäkologin. Auch ihren Eisprung würden manche Patientinnen sekundengenau wahrnehmen, andere hingegen gar nicht. Okay ist beides, findet die Gynäkologin. (zof, 7.1.2018)