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Bei "Mondscheinkindern" führt Sonnenlicht oft schon im Kindesalter zu Hautkrebs. Hundertprozentigen Schutz bietet nur Dunkelheit.

Foto: SERGIO MORAES/Reuters

Wien – Die Nacht ist ihre Freundin. Mögen sich andere über blauen Himmel und wärmende Sonnenstrahlen freuen – für diese Menschen sind sie eine tödliche Bedrohung. Man nennt die Betroffenen deshalb auch "Mondscheinkinder". Ihnen fehlt ein wichtiger Mechanismus zur Reparatur von DNA. Die Folgen sind verheerend. Das Erbgut einer Hautzelle nimmt oft schon bei geringen Mengen UV-Strahlung Schäden. Bei gesunden Personen werden diese Defekte schnellstens behoben, nicht jedoch bei den Mondscheinkindern. Und das führt leicht zu bösartigen Zellwucherungen. Mediziner bezeichnen die zugrundeliegende Pathologie als Xeroderma pigmentosum, kurz XP. Viele der Patienten leiden bereits vor dem zehnten Lebensjahr unter Hautkrebs. Nur der absolute Entzug von Sonnenlicht bietet wirksamen Schutz.

XP ist eine seltene Krankheit. "In Österreich gibt es derzeit nur eine Handvoll Fälle", erläutert die Molekularbiologin Joanna Loizou. Weltweit wird die Inzidenz auf etwa eine Erkrankung pro eine Million Personen geschätzt, mit regional zum Teil erheblichen Unterschieden. In Japan soll sogar eines von 20.000 Babys mit XP zur Welt kommen. Die dennoch geringe Häufigkeit ist für die Betroffenen allerdings ein Problem: Ihr Leiden interessiert Pharmaunternehmen höchstens am Rande, denn die gezielte Entwicklung eines Medikaments würde sich kaum rentieren. Abgesehen davon hat XP nicht bloß einen einzelnen Gendefekt als Ursache, wie Loizou betont. NER, der besagte Reparaturmechanismus, besteht aus einer ganzen Batterie unterschiedlicher Proteinkomponenten. Mindestens 15 davon können aufgrund rezessiv vererbbarer Mutationen fehlerhaft sein. Ist nur eine kaputt, kommt der gesamte NER-Apparat zum Erliegen.

DNA-Reparatur

Neueste Studienergebnisse von Joanna Loizou und einem Forscherteam zeigen trotzdem einen möglichen Ausweg. Die am Research Center for Molecular Medicine (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätige Expertin hat DNA-Reparaturen in den Fokus ihrer Arbeit gestellt. UV-Licht führt zur Entstehung unerwünschter Querverbindungen, sowohl innerhalb der Ketten wie auch zwischen ihnen, erklärt sie. Diese Verknüpfungen wirken toxisch. "Sie deformieren die DNA-Doppelhelix." Die Transkription der Gene komme zum Erliegen, weil die ablesenden Enzyme nicht weiter an den Strängen entlanggleiten können.

NER, so schien es bislang, ist als Einziges in der Lage, solche Kettenknoten zu lösen. Aber es sind offenbar noch andere Beteiligte im Spiel. Loizou und ihre Kollegen schufen eine spezielle Zelllinie mit defektem NER. Die Wissenschafter wollten testen, ob bereits bekannte Wirkstoffe die Folgen der Genschäden irgendwie lindern könnten. Eine mögliche Zweitnutzung, sozusagen. Dieser Ansatz hat unter Forschern in den vergangenen Jahren an Popularität gewonnen – modernen Screeningverfahren für Zellkulturen sei Dank. Warum etwas neu erfinden, wenn die Pharmazie schon ein Mittel parat hält? Das CeMM verfügt für solche Untersuchungen bereits über eine eigene Datenbank mit rund 300 verschiedenen repräsentativen Substanztypen.

Man wurde tatsächlich fündig. Acetohexamid, so zeigte sich im Labor, lässt NER-defizitäre Zellen die UV-Bestrahlung überleben (vgl. Molecular Cell, Bd. 68, S. 797). Der Wirkstoff ist für Ärzte ein alter Bekannter. Sie verschreiben ihn zur Behandlung von Diabetes Typ 2. Die Experten machten allerdings noch eine weitere Entdeckung: Der Schutzeffekt beruht auf einer Wechselwirkung zwischen Acetohexamid und dem mysteriösen Enzym MUTYH.

Rolle im wachstumsaktiven Gewebe

Letzteres greift ebenfalls bei DNA-Schäden ein. Es entfernt einzelne Basen und scheint vor allem in wachstumsaktivem Gewebe eine wichtige Rolle zu spielen. "In lebendigen Organismen verursacht der Verlust von MUTYH Darmkrebs", berichtet Loizou. Doch in den "Mondscheinzellen" agiert das Enzym offensichtlich negativ. Acetohexamid wiederum hemmt den Untersuchungen zufolge die MUTYH-Produktion. Die Zellen bleiben gesund.

Wie genau das Enzym seinen mitunter schädlichen Einfluss entfaltet, ist noch ungeklärt. Aus molekularbiologischer Sicht ergibt sich aus der Studie eine Schlussfolgerung: Wenn MUTYH ausgeschaltet ist, sind auch Zellen mit defektem NER in der Lage, UV-Schäden zu beheben. Folglich muss ein weiterer, bisher unbekannter DNA-Reparaturapparat einspringen. Ein indirekter Beweis, wie er im Buche steht. "Die große Frage nun lautet: Was ist dieser andere Mechanismus?", sagt Loizou.

Für Mondscheinkinder könnte die neuentdeckte Funktion des Acetohexamid ein Hoffnungsschimmer sein. Bevor man den Wirkstoff zur Behandlung von Patienten testet, sind gleichwohl noch einige Punkte zu klären. Schädliche Nebenwirkungen wie zum Beispiel die Entstehung von Darmtumoren müssen verhindert werden. Idealerweise sollte das Acetohexamid nur in bestimmten Geweben zum Einsatz kommen, meint Joanna Loizou. Man könnte es womöglich als Salbe auf die Haut auftragen. (Kurt de Swaaf, 6.12.2017)