Juli Zeh als Thrillerautorin mit Zukunftsvorstellungen.


Foto: Thomas Müller

Wien – Deutschland, einst der stabilisierende Faktor in Europa, hat sein Antlitz markant verändert. Die 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts zeitigen verblüffende Ergebnisse: Donald Trump hat sich mit Wladimir Putin verbrüdert und damit ungewollt den syrischen Krieg beendet. Auch die Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt ist das unerwartet erfreuliche Nebenprodukt von Verhältnissen, die lokal wie international in Richtung Chaos tendieren.

Privat geht es Personen wie der Mittdreißigerin Britta eigentlich prächtig. Menschen ihrer Verdienstklasse hausen in komfortablen Wohnwürfeln. Man siedelt nach Möglichkeit in mittelgroßen Städten wie Braunschweig und labt sich im Kreise Gleichgesinnter an "Veggie-Frikadellen".

Die ganze Szenerie in Juli Zehs neuem Roman Leere Herzen strahlt sauber, wie mit erzählerischen Desinfektionsmitteln behandelt. Zur Beunruhigung besteht kaum Grund. Gewiss, Angela Merkel hat das politische Feld räumen müssen. Eine Träne rann über ihr sonst so gefasstes Gesicht; der Mob der ewig Unzufriedenen hat sie einfach aus dem Amt geschrien.

Die "Bewegung besorgter Bürger" (BBB) sorgt jetzt für strikt nationalstaatliche Verhältnisse. Eine Bundeszentrale für Leitkultur (sic!) ist atmosphärisch tätig. In den wenigen noch vorhandenen Qualitätszeitungen wird "Kulturmorphologie" betrieben, und ein neues, natürlich deutlich liberaleres Waffengesetz wird von den Volkstumspropagandisten rege unterstützt. Viele Bundesbürger sieht man an den Straßenkreuzungen Gymnastik treiben: "Sport ist öffentlich", lautet die Devise. Und weil das Oberflächendesign von Juli Zehs dystopischem Roman eine Art ewiger Gegenwart verheißt, glänzt auch die Prosa in Leere Herzen frisch poliert wie die Armaturen in einem Hotelbadezimmer der Luxusklasse.

Gemächliches Präsens

Nichts und niemand verscheucht die Erzählerin aus dem gemächlichen Präsens. Dabei gäbe es genug Grund für Verunsicherung. Britta betreibt gemeinsam mit einem gutmütigen Computer-Nerd eine Therapiestation für potenzielle Selbstmörder. Wer alle zwölf Stufen eines extrem ehrgeizigen Ausbildungsprogramms durchlaufen hat und dann immer noch lebensmüde ist, wird von Britta und Co als Terrorist an eine extrem zahlungswillige Kundschaft verhökert. Unter den Abnehmern von so viel gut trainierter Destruktivkraft finden sich grüne NGOs. Aber auch die Agenturen des Islamismus wollen auf den Zukauf von sorgfältig abgestimmter Gewalt nicht verzichten.

Der Laden pfeift. Das Gewissen drückt ohnehin niemanden mehr: Wer sich zwischen Waschmaschine oder Wahlrecht entscheiden muss, räumt der Wäschepflege unbedingt den Vorrang ein. Man lebt im Zustand der Dauersedierung: "Ich genieße es in vollen Zügen, dass mich die allermeisten Dinge nichts angehen."

Eine solch schöne neue Welt schreit nach Sabotage. Die Bedrohung für Britta ist diffus. Involviert sind tätowierte Ruhestörer, denen ausgerechnet an der gewaltsamen Restauration von Angela Merkels Kanzlerschaft gelegen ist. Wenn das nur kein Gag ist!

Was an Zehs Roman verstimmt, ist sein Plauderton. Indem die Autorin Mimikry an Verhältnissen betreibt, die sie selbst erfunden hat, huscht sie durch ein Feld von Stilblüten: "Seine aufgerissenen Augen waren wie Etiketten auf einem großen Sack voller Fragen." Man fühlt sich stellenweise an das Skript einer Tatort-Folge erinnert. Dystopisch ist der Stoff, aus dem die Bestseller sind. Nichts eignet sich besser zum Zeitvertreib als ein Weltuntergang auf Raten. (Ronald Pohl, 8.12.2017)