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Jeder, der einmal in Israel war, weiß, dass Jerusalem als Hauptstadt des Landes fungiert. Doch völkerrechtlich ist die Sache komplizierter.

Foto: Reuters / Amir Cohen

Frage: Warum ist der Schritt von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, so ungewöhnlich? Jeder, der einmal dort war, weiß, dass Jerusalem die israelische Hauptstadt ist. Warum tun das nicht auch alle anderen Staaten?

Antwort: Der Grund dafür ist, dass der Ostteil der Stadt völkerrechtlich nicht zu Israel gehört. Israel hat ihn 1967 im Sechstagekrieg, damals von Jordanien, erobert und 1980 annektiert. Dieser Schritt wurde international aber nicht anerkannt. Deshalb haben auch jene Staaten, die mit Israel sehr gute diplomatische Beziehungen pflegen, ihre Botschaften in Tel Aviv und nicht in Jerusalem.

Frage: Heißt das, die internationale Gemeinschaft erwartet, dass Israel Ostjerusalem jemals wieder abgibt?

Antwort: Die völkerrechtliche Position, die zum Beispiel für die EU weiter gilt, ist, dass Ostjerusalem zum besetzten Westjordanland gehört. Aber die überwiegende pragmatische Meinung ist heute, dass es eine mit den Palästinensern, die Ostjerusalem ebenfalls als Hauptstadt beanspruchen, ausgehandelte Lösung geben sollte. Dabei würden die Palästinenser wohl höchstens eine Hauptstadt "in Ostjerusalem" bekommen und nicht Ostjerusalem als Hauptstadt.

Frage: Die USA werden demnach also bald als einziger Staat ihre Botschaft in Jerusalem haben?

Antwort: Das dürfte nicht so schnell gehen. Der Stand ist momentan, dass es aus "logistischen Gründen" erst einmal nicht passiert und "Jahre" dauern könnte.

Frage: Kann ein US-Präsident eigentlich so einfach Botschaften verlegen?

Antwort: Der Kongress hat die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem im "Jerusalem Embassy Act" bereits 1995 beschlossen – dem Präsidenten aber die Möglichkeit gegeben, die konkrete Entscheidung dazu hinauszuschieben. Das haben seitdem alle Präsidenten – Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und selbst Trump bereits einmal – getan. Dieser "Waiver" steht alle sechs Monate an. Trump wird ihn wohl auch diesmal wieder unterschreiben.

Frage: Warum wurde der "Jerusalem Embassy Act" ausgerechnet 1995 verabschiedet?

Antwort: 1993 hatte der Oslo-Prozess begonnen, der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern. Die Absicht war, noch bis zum Ende der 1990er-Jahre den Status der Palästinensergebiete zu klären. Und der US-Kongress wollte in diesem Prozess den Anspruch Israels auf Ostjerusalem stärken.

Frage: Wird Trumps Beispiel Schule machen, werden andere Staaten in der Anerkennung folgen?

Antwort: Die überwiegende Mehrheit wohl nicht. Die EU etwa bekräftigt immer wieder die Gültigkeit der bestehenden völkerrechtlichen Positionen und kritisiert Israel für seine Politik in Ostjerusalem, die darauf hinausläuft, auch von Arabern bewohnte Teile zu judaisieren.

Frage: Aber wenn den USA ohnehin niemand folgt, dann ist es doch ein Schlag Trumps ins Wasser?

Antwort: Ganz so einfach ist das nicht. Denn die USA sind ein entscheidender Vermittler und Garant, wenn es zu einer israelisch-arabischen Verständigung kommen soll. Ohne die USA wird es keine Lösung geben.

Frage: Trump hat demnach eine wichtige Vorentscheidung zugunsten Israels getroffen?

Antwort: Ja, aber das hat auch Präsident George W. Bush im Prinzip schon getan. 2004 hielt Bush in einem Briefwechsel mit dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon fest, dass die USA nicht erwarten, dass Israel bei einem Friedensschluss mit den Palästinensern das gesamte Westjordanland aufgibt: Es sei "unrealistisch" zu erwarten, dass Israel zur Waffenstillstandslinie von 1949 zurückkehrt. Allerdings bekräftigte Bush gleichzeitig, dass die neuen Grenzen ausgehandelt werden müssen. Ein Brief hat auch keinerlei Gesetzeskraft. Dennoch war er ein wichtiges Symbol.

Frage: Warum geht es um die "Waffenstillstandslinie von 1949"? Ist nicht dauernd von den "Grenzen von 1967" die Rede?

Antwort: Damit ist dasselbe gemeint. Die Araber haben den Uno-Teilungsplan von 1947 für das ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina nicht akzeptiert und Israel nach seiner Staatsausrufung 1948 angegriffen. Israel hat dabei sein Gebiet vergrößert und auch den Westen Jerusalems erobert. Deshalb waren Israels "Grenzen" danach nicht jene des Uno-Teilungsplans, sondern die Waffenstillstandslinie von 1949. Und die hat bis zum Sechstagekrieg 1967 gegolten.

Frage: Was hat Jordanien damit zu tun, warum hat Israel 1967 Ostjerusalem von Jordanien erobert? Es soll doch den Palästinensern gehören?

Antwort: Jordanien hat 1948 das Westjordanland inklusive Ostjerusalem erobert – und 1967 verloren. Den Anspruch darauf hat Jordanien erst in den 1980er-Jahren aufgegeben beziehungsweise an die Palästinenser übertragen. Jordanien hat übrigens Ostjerusalem nach dem Krieg 1948 ebenfalls annektiert und sogar zu seiner "zweiten Hauptstadt" erklärt – auch diese Annexion wurde völkerrechtlich nie anerkannt.

Frage: Was spielt die Religion für eine Rolle?

Antwort: Weil Jerusalem für alle drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – eine große Bedeutung hat, war auch im Uno-Teilungsplan von 1947 eine Internationalisierung vorgesehen. Die religiöse Konnotation verschärft den Konflikt, sie ist emotionalisierend. Jerusalem ist der Punkt, wo der israelisch-palästinensische Konflikt zu einem israelisch-arabischen beziehungsweise zu einem Israels mit der muslimischen Welt wird.

Frage: Wie könnte da eine Friedenslösung aussehen?

Antwort: Bei den meisten pragmatischen Ansätzen überwiegt die Formel "jüdisch zu Israel und arabisch zu den Palästinensern". Das ist aber leichter gesagt als getan, die Grenze verläuft quasi im Tempelberg: Unten ist die Klagemauer, oben die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom. (Gudrun Harrer, 6.12.2017)