Raumplanung richtet sich nicht immer nach Bedarf, sondern nach wirtschaftlichen Interessen.

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Das reale Wirtschaftswachstum in den reichen Staaten der Welt habe seinen Zenit erreicht, diagnostizierten im Jahr 2016 die drei deutschen Ökonomen Steffen Lange, Peter Pütz und Thomas Kopp. Und dennoch ist Wachstum erklärtes Ziel in sämtlichen Bereichen – so auch in der Raumplanung, wo Wachsen vor allem Bauen bedeutet. Aber um welchen Preis? Diese Frage war jüngst Thema eines Symposiums in der NÖ Landesbibliothek, organisiert vom Architekturnetzwerk Orte.

Konzipiert und moderiert wurde die Veranstaltung vom Raumplaner und Stadtentwicklungsexperten Reinhard Seiß, der im Zuge seines Vortrags vor allem die Entkoppelung und Verhältnislosigkeit anprangerte, mit der im völligen Gegensatz zu ökologischen und gesellschaftlichen To-dos Raumplanung praktiziert werde. "Wir bauen und planen so, als ob alles bestens wäre, und was entsteht, wird immer größer, höher und platzgreifender", so Seiß.

Bessere Verteilung

Die logische Reaktion auf das enden wollende Wirtschaftswachstum, so Orte-Geschäftsführerin Heidrun Schlögl, wäre, das bereits Vorhandene zu verteilen. Für die Raumplanung würde das bedeuten, nicht mehr neu zu bauen, sondern Leerstand erneut zu nutzen. In der Realität passiert das jedoch nicht, was vor allem an wirtschaftlichen Interessen verschiedenster Akteure liegt.

Während im Wohnbau das Wachstum, also der Neubau von Gebäuden, noch eine gewisse Relevanz hat, da die Bevölkerung tatsächlich wächst, etwa durch Zuzug, und Wohnflächen sich ausdehnen sowie Haushaltsstrukturen sich verändern, etwa weil die Zahl der Einpersonenhaushalte steigt, ist der Neubau von Einkaufs- und Fachmarktzentren den Experten des Symposiums ein besonders schmerzender Dorn im Auge. "Die Landschaft wird malträtiert, landwirtschaftliche Flächen verschwinden", sagt Seiß und kennt auch die Gründe für das endlose Wachstum: Einzelhandel darf in Gewerbegebieten stattfinden, wo Boden günstig ist und man sich ausbreiten kann. Zudem gebe es für Fachmarktzentren immer noch Förderungen.

Falsche Anreize

Für Investoren sind Einkaufs- und Fachmarktzentren ideale Anlageobjekte, weil die Renditen durch langfristige Mietverträge, billige Architektur und wenig Ausgaben gut sind. Zudem setzen auch die Strukturen falsche Anreize, so Seiß, etwa dadurch, dass Parken beim Fachmarktzentrum gratis, in der Innenstadt jedoch kostenpflichtig sei: "Das ist eine ökonomische Schieflage."

Durch neue Flächen am Stadtrand entsteht Leerstand in Ortszentren. "Damit verschwindet nicht nur die Einzelhandelsversorgung in den Zentren, sondern die Zentren an sich", sagt Seiß. Denn deren Hauptfunktion sei es, Marktplatz und Treffpunkt verschiedenster Funktionen zu sein. "Es stehen nicht mehr nur alte Tante-Emma-Läden leer, auch der neue Einzelhandel kannibalisiert sich mittlerweile selbst."

In jedem Bundesland gebe es "wastelands" des überzogenen Handelsflächenbooms, in Oberösterreich etwa mit Uno Shopping und Pluscity in Pasching und Leonding, in Wien mit dem Gasometer-Shoppingcenter. Sie alle haben Bauland, Energie, Rohstoffe und Infrastruktur verbraucht. Zudem sind öffentliche Gelder, etwa für Straßen- und Kanalanschlüsse und Wohnbauförderung, dafür aufgewendet worden.

Leerstehende Büroflächen

Wie im Einzelhandelssektor verhält es sich auch mit Büroimmobilien. In Wien, so Seiß, gebe es bis zu eine Million Quadratmeter leerstehende Büroflächen, teils in guten Lagen. Dennoch würden jährlich 200.000 Quadratmeter neu gebaut. Auch hier stecken wirtschaftliche Interessen dahinter, denn Büroimmobilien versprechen stabile Anlageformen – "Betongold", wie Seiß es nennt. "Sie werfen in der Realität jedoch keine Renditen ab. In 20 bis 30 Jahren werden sie sich als Fehlinvestitionen entpuppen."

Und die Bauwut bedingt einen weiteren Faktor: "Einkaufs-Arbeits-Wohninseln werden durch das Auto zusammengehalten. Straßen müssen gebaut werden, denn durch öffentlichen Verkehr sind diese zerstückelten Patchworkstädte nicht mehr verbindbar", sagt Seiß, der aus seiner Studienzeit noch den Dämon des amerikanischen Stadtmodells kennt. "Mittlerweile wurde aber auch die europäische Stadt dahingehend transformiert."

Diese Befürchtung teilen auch das Publikum und die Redner auf dem Podium. In der abschließenden Diskussion ist jedoch auch ein positives Beispiel Thema: die Stadt Kopenhagen – was Raumplanung und Verkehr anbelangt, ist sie ein Vorbild. "Dort sieht man, was alles geht, wenn man nur will", sagt eine Zuhörerin. (Bernadette Redl, 10.12.2017)