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Zu den Waffen will die einstige Revolutionärin nicht mehr greifen, sie macht heute mit anderen Mitteln mobil gegen Präsident Ortega.

Foto: AP / Ariel Leon

Managua/Wien – Manche Menschen sterben, bevor sie tot sind. Für Dora María Téllez ist Daniel Ortega gestorben. Der frühere Guerilla-Kommandant und nunmehrige Präsident Nicaraguas kämpfte in den 1970er-Jahren gemeinsam mit Téllez für die Revolution gegen den rechten Diktator Anastasio Somoza. Doch er hat die damalige linke Ideologie verraten, sagt Téllez heute. Macht sei ihm wichtiger geworden.

Frustration einer Generation

Die Haare ergraut, das Hemd noch immer straff in den Gürtel gestrickt, nennt die heute 62-jährige Téllez in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua den Präsidenten "die größte Enttäuschung" ihrer Generation. Als junge Medizinstudentin hatte sie sich Ende der 1970er-Jahre der Revolution angeschlossen. Die Rebellen nannten sich die Sandinisten. Ihr Vorbild: Augusto Sandino, der in den 1920er- und 1930er-Jahren gegen die US-Besatzung gekämpft hatte.

"Wir mussten zu den Waffen greifen, weil die Generation unserer Eltern geschwiegen hat", begründet sie heute ihre Entscheidung. Mit 22 Jahren schließlich wurde Téllez unter ihrem Deck namen Comandante Dos berühmt: Gemeinsam mit 23 Frauen und Männern besetzte sie im August 1978 den Nationalpalast und nahm etwa 2000 Menschen als Geiseln. Sie drohten, die rund 65 Angehörigen des Somoza -Regimes nach und nach zu erschießen, wenn verhaftete Mitstreiter nicht freigelassen und ihnen zehn Millionen US-Dollar übergeben würden. Drei Tage später waren die Kämpfer frei. Sie verließen mit einer Million US-Dollar das Land Richtung Panama. Téllez hatte mit dem Regime verhandelt und ihm seine erste öffentliche Demütigung zugefügt.

Überwachtes Telefon

1979 kehrte sie nach Nicaragua zurück. Téllez führte Einheiten im Kampf an der Südfront und schließlich in Zentral- und Nordnicaragua, wo sie auch mit Ortega diente. Nach dem Sieg der Revolution am 19. Juli 1979 wurde sie unter ihm als Präsidenten Gesundheitsministerin, wurde von den Vereinten Nationen für ihre Gesundheitskampagne ausgezeichnet. In den 1990er-Jahren brach sie völlig mit ihm. Téllez wurde zum Staatsfeind. "Mein Telefon wird überwacht, die Polizei folgt mir überall außerhalb Managuas hin, und ich bekomme keinen Job mehr im Land", erzählt die 62-Jährige von den Auswirkungen ihrer öffentlichen Kritik an Ortega.

Und doch will sie sich nicht den Mund verbieten lassen und vergleicht den Präsidenten mit dem Ex-Diktator Somoza: "Es gibt wieder eine Familie, die Macht und Kapital anhäuft", sagt Téllez. Korruption, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Straffreiheit für Regimeangehörige – gegen all das habe sie eigentlich gekämpft, sagt sie. Jetzt sei es zurück: "Das Schlimmste ist, dass wir den Himmel bereits erreicht hatten und wieder hin ausgeflogen sind."

Ortega drehte Opposition ab

Um gegen Ortega politisch vorzugehen, gründete sie 1995 gemeinsam mit Mitstreitern die MRS, die Sandinistische Erneuerungsbewegung. Als Opposition zur Regierung funktionierte die Partei bis 2008 – dann ließ Ortega ihr von Gerichten den legalen Status entziehen. Eine Woche vor der Entscheidung war Téllez in den Hungerstreik gegen die "Diktatur" getreten, musste aber schließlich nach zwölf Tagen abbrechen. Ärzte hatten sie vor irreparablen Schäden gewarnt.

Dass Comandante Dos wieder zu den Waffen greift, schließt Téllez aus: "Es darf keinen Krieg mehr geben. Wir haben damals einen hohen Preis bezahlt", sagt sie. Für sie müssen freie Wahlen wieder durch Demokratie hergestellt werden: "Sonst lernt das Land wieder nicht aus seinen Fehlern."

"Kein Amt legitimiert"

Téllez glaubt, dass die Ablehnung Ortegas bei der Bevölkerung immer größer wird. Als Indikator dafür nennt sie etwa die geringe Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftswahlen 2016. Laut der obersten Wahlbehörde nahmen 66 Prozent der Wahlberechtigten teil. Die Opposition spricht von geschönten Zahlen – mehr als 70 Prozent hätten sich enthalten.

Obwohl bei den vergangenen Wahlen – wie auch bei den kommunalen Wahlen Anfang November – internationale Wahlbeobachter im Land sind, sieht Téllez die Manipulation der Wahlen bereits im Vorfeld. Nur von Ortega zugelassene Kandidaten dürften sich der Wahl stellen. De facto gebe es keine Wahlfreiheit: "Kein offizielles Amt ist im Moment legitimiert", sagt sie.

Doch sie glaubt an Änderung: "Ortegas Regime funktioniert wie im 20. Jahrhundert", sagt Téllez. "Doch nun ist das Zeitalter des Internets. Die Leute vernetzen sich." Somozas Kontrolle der Presse und der öffentlichen Meinung habe funktioniert, weil die Grenzen dicht waren. Doch nun könnten sich die Nicaraguaner über soziale Medien informieren. (Bianca Blei, 10.12.2017)